In unserem bislang größten Vergleichstest haben wir 30 angesagte und moderne E-Mountainbikes über die Trails gejagt und spannende Erkenntnisse gesammelt. Was sind die heißesten E-Mountainbike-Trends 2023, wo liegen Potenziale und wo Risiken? Was sollte man vor dem Kauf unbedingt wissen?

      1. Hoch lebe die wachsende Vielfalt!
      2. Glaube weder der Optik, noch den Eckdaten!
      3. Top-Modell ≠ Top-Performance
      4. Neue E-Bike Generation = neue Probleme?
      5. Die zwei Gesichter der Integration
      6. Es reicht! Bitte mehr Akkuoptionen statt mehr Akkugröße!
      7. Welche nützlichen Features wünschen wir uns am E-Bike?
      8. Hier geht es zu unserem großen Vergleichstest.

Hoch lebe die wachsende Vielfalt!

Die E-MTB-Welt ist 2023 vielfältiger denn je. Auch wenn viele Hersteller und manche Magazine eng abgesteckte Einsatzzwecke wie bei analogen MTBs propagiert haben, gab es solche bei E-MTBs in der Realität noch nie. Das ändert sich auch 2023 nicht, dennoch wird das Spektrum breiter. Das hat klare Gründe: E-MTBs sind vielfältiger und der Federweg, die Fahrwerkseffizienz sowie das Gewicht haben einen geringeren Einfluss auf die Performance als bei analogen Bikes. Viel wichtiger sind eine gute Gewichtsverteilung, gelungene Integration des E-Antriebssystems und natürlich stabilere Komponenten. Denn durch die Power des Motors besteht eine höhere Belastung für den Antrieb und E-Mountainbikes legen in der Regel längere Strecken zurück. Doch von jeder Regel gibt es Ausnahmen: Light-E-MTBs zeigen ein leichtfüßiges Handling, einen sich sehr natürlich anfühlenden Motorsupport und – durch die geringere Unterstützungskraft – weniger Belastungen auf die Komponenten. So ermöglichen sie, dass bestimmte Einsatzbereiche noch viel besser abgedeckt werden können und sogar einige Spezialisten entstehen, wie man sie aus der analogen Bike-Welt kennt. Obwohl sie auf ähnliche Motorsysteme zurückgreifen, fahren sich das SCOTT Lumen und das Thömus Lightrider wie leichtfüßige Cross-Country-Bikes, während das SIMPLON Rapcon Pmax TQ wie ein agiles und gleichzeitig potentes Bike daherkommt, das einem analogen Enduro-Bike gleichkommt. Das zeigt, wie universell manche Motorsysteme eingesetzt werden können und welch unterschiedliche Einsatzbereiche sie abdecken können – doch auch hier gilt: Am Ende kommt es immer auf ein stimmiges Gesamtkonzept an und das beste Antriebssystem ist nur so gut wie das Bike, in dem es steckt.

Glaube weder der Optik noch den Eckdaten!

Der Federweg eines Bikes bestimmt nicht zwangsläufig das Einsatzgebiet. Viel Federweg deutet nicht gleich auf Ballerqualitäten hin. Das Cannondale Moterra Neo  LT1 sieht zwar auf den ersten Blick so aus und protzt mit bulliger Optik und Coil-Dämpfer wie ein Bodybuilder. Beim Fahren überzeugt es aber durch eine bequeme Sitzposition, guten Komfort und cleveren Alltags-Features, wie Licht und abschließbarem Akku, als bester Tourer im Test. Auch das Orbea WILD kommt wie eine Ballermaschine daher und ist es auch. ABER: Durch das starke Fahrwerk punktet es auch mit guten Toureneigenschaften und ist effizienter als viele andere Kandidaten im Test. Wie auch bei den Bikes kann man bei den Motoren den nackten Fakten auf dem Papier nur bedingt vertrauen. Bei 12 Motorsystemen im Test kommen 8 davon mit ähnlichen Eckdaten, verhalten sich auf dem Trail jedoch sehr unterschiedlich. Schon fast ein alter Hut, aber wir wollen es dennoch nochmal betonen: Bosch und Shimano versprechen ein gleiches Drehmoment, verhalten sich in vielen Situationen jedoch sehr unterschiedlich. Mit seinem smoothen Fahrgefühl, der Dynamik und der großen Trittfrequenz-Bandbreite sorgt der Bosch-Motor im Uphill für Shuttle-Feeling und lässt den Shimano EP8 hinter sich. Stark abhängig vom Verbrauch des Motors und damit vom gewählten Fahrmodus und der Fahrweise ist die Reichweite. So schafft es das Orbea Rise mit Shimano EP801 RS-Motor mit 60 Nm und kleinem 540-Wh-Akku ähnlich weit wie das BULLS SONIC EVO EN-SL 1 mit Shimano EP801 mit 85 Nm und großem 750-Wh-Akku. Fakt ist: Die rohen Eckdaten wie Federweg, Akkugröße oder Drehmoment sind nicht die allein ausschlaggebenden Kriterien für das Einsatzgebiet des Bikes und sagen erst recht nichts darüber aus, ob das Rad sich für euch „richtig“ anfühlt. Die beste Lösung ist immer das Bike auf dem Trail zu fahren!

Top-Modell ≠ Top-Performance

An den Topmodellen von Herstellern finden sich meist nur teure Carbon-Komponenten, die Leichtbau versprechen und mit glänzenden Beschichtungen in Gold oder Oilslick einiges hermachen (sollen). Das kommt vielleicht gut auf dem Papier oder im Verkaufsgespräch, aber im realen Einsatz führt es häufig zu Kompromissen bei der Trail-Performance oder Langlebigkeit. Ein weiteres Problem sind Mogelpackungen, die einem auf den ersten Blick eine hochwertige Ausstattung vorgaukeln, bei näherem Hinsehen sich aber sogar als Performance-Nachteil entpuppen. So kombiniert z.B. Mondraker am Crafty Carbon XR LTD ein teures SRAM X01-Schaltwerk – was im Bike-Shop oft als Verkaufsargument genommen wird – mit einem günstigen Schalthebel der GX-Gruppe und einer Kette der noch günstigeren NX-Gruppe. Am

KTM Macina Prowler Exonic funkelt die FOX 38 Factory-Gabel mit einer goldenen Kashima-Beschichtung, aber die Performance bleibt aufgrund der weniger sensiblen FIT4-Dämpungskartusche auf der Strecke. Optisch steht sie der High-End-Federgabel von FOX in nichts nach, gaukelt aber eine bessere Performance vor, als man letztendlich bekommt. Doch das betrifft oft nicht nur einzelne Komponenten, sondern auch ganze Ausstattungsvarianten. Für unsere Test-Bikes haben die Hersteller Pivot, FOCUS, Orbea und SIMPLON eine teurere Ausstattungsversion im Angebot, die aber im Trail-Alltag keinen Mehrwert liefert. Im Gegenteil: Sie spart vielleicht am Gewicht, aber eben auch bei der Trail-Performance und – potenz. Deshalb haben wir bei der Modellauswahl für dieses Vergleichstest-Testfeld direkt gegengesteuert. Das SCOTT Lumen und Trek Fuel EXe kamen allerdings jeweils einzig in der teuersten Ausstattungsvariante und hätten voraussichtlich mit einer günstigeren Ausstattung besser in diesem Vergleichstest abgeschnitten. Auch wenn leichte Reifen zwar das Gewicht reduzieren, verringern sie gleichzeitig die Traktion und sind meist pannenanfälliger. Selbst wenn man primär auf Schotterwegen unterwegs ist, lohnen sich robustere Reifen durch ihr Extra an Komfort. Genauso wie leichte Reifen sparen Carbon-Laufräder Gewicht und sorgen für einen besseren Antritt, sind aber je nach Modell für die meisten Fahrer auf dem Trail zu steif und direkt. Kassiert man dann doch mal einen Durchschlag – was bei mehreren Jahren Gebrauch beinahe unabdingbar ist – führt es oft zu teuren Totalausfällen. Am SCOTT Lumen muss dann z. B. das komplette One-Piece-Laufrad inklusive Nabe getauscht werden, was schlappe 2.500 € pro Laufrad kostet. In unseren Tests geben wir euch deshalb Empfehlungen, wie ihr bereits beim Kauf ordentlich Geld sparen könnt.

Neue E-Mountainbike Generation = neue Probleme?

So viele Defekte und Probleme wie in diesem Vergleichstest hatten wir schon lange nicht mehr. Die Hersteller haben sich zwar bei der Komponentenwahl in Bezug auf das Einsatzgebiet verbessert oder sie bieten Konfiguratoren an, um sich das Bike individuell für die eigenen Ansprüche zusammenzustellen. Dafür hatten wir jedoch mit vielen Defekten und Problemen bei den Antriebssystemen zu kämpfen. Mit jeder neuen Motorengeneration kommen neue Funktionen und Veränderungen hinzu, die manche Hersteller besser und manche schlechter im Griff haben. Dieses Jahr hat man besonders deutlich gesehen, dass die Qualitätskontrolle vernachlässigt wurde bzw. die Prozesse noch unausgegoren sind. Das ist nicht nur bei Herstellern von Motoren der Fall, sondern auch bei denen von Bikes. Sowohl die korrekte wie sichere Integration und Positionierung der E-Komponenten und Bedienelementen als auch fehlerfrei funktionierende Software sind eine große Herausforderung. Das Resultat: unreife Produkte! Vor allem bei Light-E-MTBs gab es zahlreiche Fehler bis hin zum Totalausfall.

Die zwei Gesichter der Integration

Integration ist in den letzten Jahren ein großes Thema geworden, immer mehr Marken legen die Leitungen durch die Steuersätze und verbauen einteilige Cockpits. Letzteres sieht zwar schick aus und fügt sich schöner in das Gesamtbild ein als eine herkömmliche Vorbau-Lenker-Kombination, geht aber auf Kosten der Anpassbarkeit des Fahrers – und gerade bei einem MTB ist diese sehr wichtig! Auch innenverlegte Züge, die durch den Steuersatz oder den Vorbau verlaufen, sorgen für einen cleanen Look, bedeuten aber Mehraufwand beim Schrauben. Wir sind zwar Fans von einem cleanen Look, aber freuen uns auch über einfache Servicebarkeit. Im Jahr 2021 war ein ins Oberrohr integriertes Display wie am Specialized Turbo Levo noch ein echtes Novum. Doch mittlerweile kommen viele Bikes mit integrierten Displays, die in Kombination mit minimalistischen Remotes für einen cleanen Look und einfachere Bedienbarkeit sorgen, ohne dass sie Probleme bergen. Denn an Displays wird von Seiten des Kunden eh nicht geschraubt und dafür sind sie bei Stürzen und dem Transport besser gesichert. Neben rein optischen Integrationslösungen gibt es auch solche, die einen echten Mehrwert bringen. Während in den vergangenen Jahren nur wenige Hersteller wie Specialized oder MERIDA Multitools verbaut hatten, ziehen jetzt immer mehr nach, wie das überarbeitete Orbea Rise, das SCOTT Lumen oder das Trek Fuel EXe . So hat man immer das Nötigste für Reparaturen oder Nachjustierungen dabei, vergisst nichts und kann vielleicht sogar den Rucksack zu Hause lassen.

Es reicht! Bitte mehr Akkuoptionen statt mehr Akkugröße!

Jahr um Jahr sind die Akkus immer weiter gewachsen – viele User hatten Reichweitenangst und wollten immer größere Akkus. Doch auch die Industrie hat längst erkannt, dass größere Energiespeicher selten Vorteile bei Trail-Spaß, Handling oder Handhabung bieten. Denn beim momentanen Stand der Technik bedeutet mehr Kapazität in der Regel auch mehr Gewicht. Außerdem zeigen die Daten der Leserumfrage und die einiger Hersteller, dass die großen Akkus kaum leergefahren werden. 65 % der Teilnehmer in unserer Leserumfrage wünschen sich in Zukunft einen Akku mit einer Kapazität zwischen 600 Wh bis 800 Wh. 60 % der Befragten sind aktuell mit einem Akku kleiner als 600 Wh unterwegs. Sprich ein größerer Akku ist immer noch für viele ein Benefit, um erst einmal auf den heutigen Technik-Stand upzugraden. Dennoch scheint die Industrie erst einmal einen Höhepunkt der Akkukapazität erreicht zu haben und Reichweitenangst sollte allmählich ihren Schrecken verlieren. Zudem lassen sich E-Mountainbikes im Notfall auch ohne Akku noch nach Hause treten, falls es doch einmal nicht reicht, und ihr bleibt nicht wie mit eurem Auto chancenlos am Straßenrand liegen. Viele Hersteller gehen dafür mehr auf die individuellen Bedürfnisse der Kunden ein und bieten unterschiedliche Akku-Optionen oder auch Range Extender an, um das Gewicht der im Bike verbauten Akkus so niedrig wie möglich zu halten. So kann das eigentliche Bike leichter sein, mit einem besseren Handling punkten und bei Bedarf trotzdem eine große Reichweite haben. Neben modularen Akkukonzepten wünschen wir uns Akkus, die nicht zwingend zum Laden entnommen werden müssen – wer hat schon Lust, vor oder nach der Fahrt den Akku ein- oder auszubauen. Außerdem muss die Akkuentnahme mit Schlüsselzwang verschwinden: FOCUS SAM² und JAM² gehen mit gutem Beispiel voran, denn der Akku wird trotz Schloss nicht sofort verriegelt und kann dann bei Bedarf abgeschlossen werden.

Welche nützlichen Features wünschen wir uns am E-Mountainbike?

Viele nutzen das Bike für viele verschiedene Einsatzgebiete wie Touren, Trails und Pendeln gleichermaßen. Deswegen ist es gut und wichtig, wenn mehr sicherheitsrelevante Alltags-Features wie ein Licht für vorne und hinten oder reflektierende Schriftzüge den Weg auch an potenten Bikes finden. Solche Features bringen beim Pendeln oder bei Touren einen deutlichen Mehrwert – und auf dem Trail keinen Nachteil.

Connectivity ist aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken und macht auch vor E-MTBs nicht Halt. Zahlreiche Funktionen lassen sich über das Smartphone steuern und einstellen – bislang braucht es dafür aber viele Apps. Wir wünschen uns eine App für alles, wie z. B. die Trek Central App, in der sich Motor- und Bike-Setup, Luftdruck und Navigation checken lassen. Zudem sind viele Apps noch sehr verwirrend aufgebaut und es dauert, bis man sich darin zurechtfindet. So könnten auch Analysen zur Reflektion des eigenen Rides helfen, die tiefsitzende Reichweitenangst zu besiegen.
Geht’s nach dem Ride für ein Bier in die Bar oder in eine Hütte, will niemand seinen zweirädrigen Liebling außer Sichtweite abstellen – egal ob 15.000-€-Bike oder 5.000-€-Bike. Also liebe Bike-Hersteller, packt das Thema an und verseht eure Bikes mit einem Diebstahlschutz, wie es z. B. Bosch mit ihrem eBike Lock und dem eBike Alarm mit lautem Warnton vormacht. Ein optionales GPS zum Orten des Bikes gibt zusätzliche Sicherheit. Neben der besseren Connectivity sollte die Qualitätssicherung verbessert werden – gerade die jüngste Generation an Light-Motoren hat viele Fehler mit sich gebracht. Die Marktreife ist in unseren Augen bei vielen Modellen allerdings (noch) nicht gegeben, denn über 50 % des Light-Testfelds hatte mit Problemen oder sogar Ausfällen zu kämpfen. Bei Bikes, die im Durchschnitt 12.394 € kosten, ist das nicht akzeptabel und mehr als enttäuschend! Da muss man selbst als Early Adopter zweimal überlegen! Doch nicht nur für die Kunden, auch für die Bike- und natürlich Motoren-Hersteller zieht das einen Rattenschwanz mit sich, da durch die Fehler und die daraus resultierenden Verzögerungen zusätzlich Aufwand und zusätzliche Kosten entstehen. Kurz: Es wird teuer! E-Bikes sind vor allem kompatibilitäts- und softwareseitig extrem komplex und erfordern ein anderes Level an Qualitätsmanagement und -kontrolle. Doch es gibt auch einige gute Nachrichten und Hoffnung in Form von Software-Updates, die Abhilfe schaffen können.

Fakt ist: Die E-MTB-Welt 2023 ist vielfältiger als je zuvor. Es gibt zwar bessere Produkte, gleichzeitig aber auch einige Bikes, die noch nicht so funktionieren, wie sie es sollen! Hier müssen einige Hersteller noch ihre Hausaufgaben machen, denn das ist ein No-Go und schadet der Reputation der E-Bike-Welt. Fail fast, learn faster – der beste Weg zu Wachstum. Die gute Nachricht: Viele E-MTB-Hersteller sind auf einem super Weg und entwickeln nicht nur eine Menge an spannenden neuen Features, sondern verbessern auch ihre Organisationen, Prozesse und Strukturen – ein elementarer Bestandteil für eine bessere User Experience!


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Words: Mike Hunger Photos: Peter Walker, Mike Hunger

Über den Autor

Mike Hunger

Von Slopestyle und Landschaftsfotografie, hin zu Enduro und Actionfotografie. Mike probiert gerne neue Dinge aus und hat eine Vorliebe für Action. Und Handwerk: So zieht es ihn mit seinem Syncro-Van, den er selbst restauriert und umgebaut hat, regelmäßig auf verschiedenste Roadtrips. Natürlich immer mit dabei ist sein Bike und seine Kamera, um die feinsten Trails von Italien bis in die Alpen unter die Stollen zu nehmen und die schönsten Momente festzuhalten. Durch seine Ausbildung als Industriemechaniker, seiner Erfahrung aus dem Radsport und seinen Foto-Skills kann er das Know-How perfekt in den journalistischen Alltag umsetzen und testet jetzt als Redakteur die neuesten Bikes und Parts. Als “Foto-Nerd” hält er außerdem die Tests fotografisch fest und sorgt im Magazin für geiles Bildmaterial.