Szene

Interview mit BULLS-Produktentwickler Hendrik Gehring

Wer sind die Köpfe hinter den bekanntesten E-Mountainbike-Marken? Wir haben Designer, Ingenieure und Produktmanager interviewt, um mehr über sie und über die Philosophie hinter ihren Entwicklungen zu erfahren. Heute im Gespräch: BULLS-Produktentwickler Hendrik Gehring.

Bevor wir über die Produkte sprechen, lass uns kurz über dich reden: Woher kommst du und was ist deine größte Leidenschaft

Groß geworden bin ich in Norddeutschland und dort habe ich auch Maschinenbau und Design studiert. Zu Beginn wollte ich noch Autos entwickeln, doch mein erstes großes Designprojekt war ein E-Bike – und von da an war die Richtung klar. Mit dem Abschluss in der Tasche habe ich mich dann bei fast allen namhaften Fahrradherstellern beworben – und empfinde es heute noch als Privileg, von der ZEG eine Zusage erhalten zu haben.

Laut meiner Frau rede ich eigentlich nur über Fahrräder, das muss dann wohl Leidenschaft sein. Allgemein aber interessiere ich mich für alles, was sich bewegt. Wenn etwas gut aussieht, dann fährt es auch gut, das hat Niki Lauda einmal über ein Formel-1-Auto gesagt. Und da hat er Recht. Der Ansporn, etwas nicht nur funktional, sondern auch optisch besonders gut zu machen, zwingt einen dazu, sich noch intensiver mit den Details zu beschäftigen. Das ist sehr wichtig in meinem Leben. Die reine Funktion reicht nicht. Es muss auch gut aussehen. Dann ist es einfach besser.

Du arbeitest bei BULLS, für was bist du dort genau zuständig?

Seit etwa einem halben Jahr leite ich die Produktentwicklung der ZEG, zu der BULLS als Eigenmarke gehört. Vorher habe ich fast alles gemacht, was in irgendeiner Weise mit Entwicklung zu tun hat. Eingestellt wurde ich, um Komponenten für Fahrräder zu entwickeln, war dann aber bald als Grafikdesigner tätig, um Dekore für Räder zu gestalten, und habe dann den Sprung zurück in den Ingenieursbereich geschafft. Seitdem darf ich komplette Fahrräder entwickeln – was mich jeden Tag aufs Neue begeistert.

Wie bist du zu E-Mountainbikes gekommen?

Eigentlich bin ich sogar zwei Mal dazu gekommen. Nach der ersten großen E-Mountainbike-Welle 2010/11, damals noch mit Heckmotoren, war ich etwas ernüchtert, obwohl die Käufer unserer ersten E-Bikes sicher nichts falsch gemacht haben. Das änderte sich jedoch mit dem Aufkommen der Mittelmotoren schlagartig. Mittlerweile muss ich mich zwingen, klassische, konventionelle Räder ohne „E“ nicht zu vernachlässigen. Wir wollen auf gar keinen Fall zu einer reinen E-Bike-Marke werden, wie es einigen Mitbewerbern schon passiert ist.

Was war deine letzte Ausfahrt auf einem E-Mountainbike und welches Modell bist du gefahren?

Zuletzt war ich in der Nähe von Köln im Bergischen Land unterwegs – zugegeben, das ist schon eine Weile her und ich bin kein E-Mountainbike von uns gefahren. Ein E-Mountainbike-Magazin hatte behauptet, es gäbe einen Platzhirsch, der nicht unser Logo trägt. Da war ich natürlich neugierig! Wenn ich sehe, dass man Dinge verbessern kann, bin ich immer offen für sinnvolle Innovationen.

Was war bislang deine beste Ausfahrt auf einem E-Mountainbike und warum?

Spaß am Fahren habe ich immer – ob E-MTB oder klassisch. Was mich aber nachhaltig begeistert, ist das positive Feedback von echten Profis. Als Kamerafahrer hat Stefan Sahm in diesem Jahr zum zweiten Mal mit einem bis ans Limit getunten BULLS E-Stream Evo am Cape Epic teilgenommen. Zusammen mit Thomas Dietsch, einem weiteren Ex-Profi des Teams BULLS, hat er sich im Fahrerfeld bewegt und grandiose Bilder aus der Mitte des Renngeschehens geliefert. Dass beide Fahrer dabei ohne nennenswerten Defekt geblieben sind, freut mich ungemein. Das Bestehen unter den Bedingungen des härtesten Mountainbike-Etappenrennens der Welt zeigt, wie ausgereift unsere E-Mountainbikes heute sind. Dabei ist die Produktentwicklung bei der ZEG natürlich keine One-Man-Show. Mittlerweile sind wir ein 15-köpfiges Team und an der Entwicklung jedes einzelnen E-Bikes sind fünf bis sieben Leute maßgeblich beteiligt. Dazu ist Stefan Sahm nach dem Ende seiner Profikarriere in die Zentrale nach Köln gewechselt. Seine Arbeit als Testfahrer ist extrem wertvoll. Mit seiner Erfahrung findet er immer wieder Verbesserungsmöglichkeiten und kann Bikes und ihre Fahreigenschaften schnell und sicher bewerten.

Stefan Sahm war als Kamerafahrer mit dem BULLS E-Stream Evo Zebra FS 29 beim Cape Epic 2017, dem härtesten Mountainbike-Etappenrennen der Welt.

Wo bist du überwiegend mit dem E-Bike unterwegs und wo am liebsten?

Ich bin in Köln zu Hause und da liegt das Bergische Land einfach nah. Zwar lässt sich das nicht mit alpinen Regionen oder echten Mittelgebirgen vergleichen, aber Fahren kann man hier auch gut. Die Trails sind zwar nicht sonderlich lang, aber völlig ausreichend, um Spaß zu haben. In puncto Fahrspaß erinnere ich mich gern an unser letztjähriges BULLS-Händlercamp in Alicante. Dort gab es während der Zeit ein Endurorennen – und die Strecke war für den nächsten Tag fertig präpariert. Ich war auf dem BULLS E-Core unterwegs und wir sind den Kurs hinuntergedonnert. Ich fahre selten derart anspruchsvolle Strecken, aber dank des E-Core konnte ich mit den Guides, unseren Profis und meinen Kollegen gut mithalten.

Wie würdest du deinen Fahrstil beschreiben?

Einen besonderen Fahrstil habe ich nicht, glaube ich. Speziell im Hinblick auf das E-Mountainbiken verwischen bekannte Bezeichnungen und Kategorien meiner Ansicht nach auch zunehmend. Beim klassischen Mountainbike würde ich mich zur Kategorie Cross-Country/Marathon zählen, aber beim E-Mountainbike darf es gerne etwas mehr sein. Mehr Federweg, breitere und gröbere Reifen, abfahrtsorientiertere Geometrie. Während ich beim normalen MTB viel Wert auf ein geringes Gewicht lege, muss ein E-MTB vor allem „potent“ sein. Dazu verschafft gut verteiltes Gewicht einem E-Bike erst seine guten Fahreigenschaften. Das unterschätzen viele Einsteiger im E-MTB-Bereich. Was zählt, ist das Verhältnis zwischen gefederter und ungefederter Masse, sowie ein tiefer und zentraler Schwerpunkt.

Fährst du auch noch ohne „E“?

Wenn ich nach der Anzahl meiner Räder urteile, müsste ich sagen, dass ich fast nur ohne „E“ fahre – aber eigentlich bin ich den Reizen des E-Bikes verfallen.

Was zeichnet deiner Meinung nach ein gutes E-Mountainbike aus?

Fahrspaß muss das Ziel sein – und dem muss fast alles untergeordnet werden. Der entsteht aus einem sicheren Fahrverhalten, das Vertrauen schafft und dazu ermutigt, die eigenen Grenzen auszuloten, ohne dass man in Situationen gerät, die unvorhersehbar und gefährlich sind. Das gilt für jedes Leistungsniveau – und hier kann das E-MTB sehr hilfreich sein.

Dank des Mittelmotors, über den heute fast alle E-MTBs verfügen, zeichnen sie sich im Gelände durch einen tiefen und zentralen Schwerpunkt aus. So lässt sich das zusätzliche Gewicht sehr gut steuern, gleichzeitig wirkt sich das höhere Verhältnis von gefederter zu ungefederter Masse positiv auf das Fahrverhalten aus. Gut umgesetzt liegt es deutlich besser als ein normales, leichtes Rad, bei dem maßgeblich der Fahrer den Schwerpunkt bildet. Generell glaube ich weiter an die klassische Rahmenform aus Oberrohr, Unterrohr und Sattelrohr mit einem irgendwie gearteten Hinterbau. Dabei bietet es sich an, den Akku im Unterrohr zu platzieren.

Leichte Laufräder ergeben auch am E-Bike Sinn, aber auf eine Sache sollte man beim E-MTB tunlichst verzichten: Gewicht beim Reifen zu sparen. Bereits vor vier Jahren habe ich damit begonnen, Downhill-Reifen am E-Fully mit 120 mm Federweg zu fahren und glaube, so langsam ist der Markt reif dafür. Das Rad ist schwerer und ich kann es nicht so leicht durch Körpereinsatz über Hindernisse hinweg bewegen. Darum ist der höhere Pannenschutz nötig, vor allem an der Seitenwand. Der etwas höhere Rollwiderstand braucht mich beim E-MTB nicht zu stören, dafür liegen drei maßgebliche Vorteile klar auf der Hand: Grip, Grip, Grip! So werden Kurvengeschwindigkeiten und Schräglagen möglich, die vorher unvorstellbar erschienen. Auch die neuen Plus-Reifen sind am E-MTB einfach genial.

Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass E-Biker anders fahren als klassische Mountainbiker. Die Anforderungen an die Geometrie, besonders bei der Abfahrtsperformance, sind höher und Dropper Posts sind fast schon zum Standard geworden. Außerdem trauen sich E-Mountainbiker mehr zu als Fahrer mit den in vielerlei Hinsicht unterlegenen „Muskelkraft-MTBs“. Wir reagieren darauf mit stetig wachsendem Federweg, angepassten Geometrien, längerem Front-Center und flacheren Lenkwinkeln. Den Pro wird das ohnehin freuen. Essenzieller Bestandteil eines herausragenden E-Mountainbikes ist natürlich der Antrieb. Im Teillastbereich sollte er sich vornehm zurückhalten, dafür bei starkem Pedaldruck blitzartig volle Leistung bereitstellen. Dazu sollte er über die Unterstützungsmarke von 25 km/h hinaus keinen spürbaren Widerstand vorweisen, denn als Sportler kommt man schnell über diese Marke hinaus.

Wo liegen deiner Meinung nach zukünftig die größten Herausforderung bei der Entwicklung von E-Mountainbikes?

Ganz klar: Wie bekomme ich noch mehr noch kompakter verbaut? Mehr Drehmoment, mehr Akkuleistung, mehr Funktionen – alles schön tief und elegant in der Fahrradmitte verborgen. Das ist die aktuell und zukünftig größte Herausforderung für die Entwickler. Downsizing wird ein großes Thema werden – ohne Leistungseinbußen, versteht sich. Mit 250 Watt ist die Obergrenze bei den Motoren mehr oder weniger fix, bei den Akkus ist es strittig. Stefan Sahms E-Stream hat mit 650 Wh einen der größten Akkus auf dem Markt, auf einer Cape-Epic-Etappe aber muss auch er den Akku einmal wechseln.

Künftig werden sich wohl zwei Wege auftun: Auf dem einen werden mit maximalen Kapazitäten heute unmögliche Reichweiten erzielt, der andere folgt dem Light-Performance-Konzept, das optimale Leistung und Reichweite für die entsprechende Anforderung bereitstellt und ohne zusätzlichen Ballast auskommt. Auch hier sind wieder zwei Ansätze denkbar: die kompakte Bauform, die auf den Einsatz für kürzere Distanzen ausgelegt ist, oder eine Lösung, die es einem von Ausfahrt zu Ausfahrt ermöglicht, individuell zu entscheiden.

Das zweite große Thema im Hinblick auf künftige Herausforderungen ist die Systemintegration. Wenn man die Räder der vergangenen Jahre anschaut, dann sieht man, dass wir als Marke BULLS und auch als Branche mitten in einem Prozess sind. Absetzen kann sich nun der, der die besten Ideen und den längsten Atem hat, diesen Wettlauf zu Ende zu bringen. Sich diesen Innovationshunger zu bewahren und mitunter jährlich sinnvolle Neuerungen zu bringen, ist ganz sicher eine Herausforderung, der nicht jeder nachkommen kann.

Was ist dein persönliches Highlight aus eurer E-Mountainbike-Modellpalette und warum? Worauf lag der Fokus bei der Entwicklung dieses Modells?

Wir arbeiten seit einiger Zeit nach einer Art Baukasten-System. Ein einzelnes Rad zu entwickeln und in drei Spezifikationen auf den Markt zu bringen war früher vielleicht praktikabel, aber mit dem Aufwand, der hinter der Entwicklung eines modernen E-Bikes steckt, ist das heute eigentlich nicht mehr möglich. Fast jedes unserer E-Bikes besteht aus einem Unterrohr, das aus Akku und Motor eine Art Power-Unit bildet. Auf dieser Power-Unit können wir beliebige Räder aufbauen – egal ob Trekkingrad, Rennrad oder Mountainbike, egal ob Hardtail oder Fully, egal in welcher Rahmenhöhe. Alle haben etwas Besonderes, was es wiederum zu einem individuellen Highlight macht. Beim E-Stream haben wir einen 650-Wh-Akku in einer integrierten und kompakten Form verbaut, wie es kein anderer Hersteller anbietet. Beim Six50 haben wir es geschafft, den aufgesetzten Akku so perfekt in das Design zu integrieren, dass alles wie aus einem Guss wirkt. Beim E-Core dürfen wir, glaube ich, mit Recht sagen, dass es kein anderer geschafft hat, den Shimano Intube-Akku so kompakt zu integrieren wie wir.

Aber um eine konkrete Antwort auf die Frage zu geben: Mein liebstes E-Mountainbike aus unserem diesjährigen Portfolio – ich betone das, weil ich ja schon weiß, was in der Pipeline ist – ist das E-Core Di2 FS 27,5+. Das Fahrwerk ist potent, die Geometrie ist sehr vielseitig und der Shimano E8000 ist zurzeit der am besten auf die Anforderungen eines E-Mountainbikes zugeschnittene Antrieb am Markt.

Hendriks Lieblings-E-Mountainbike: Das BULLS E-Core Di2 FS 27,5+ im Test.

Was ist deine Vision für die Zukunft der E-Mountainbikes?

Ich bin mehr der Macher als der Träumer. Wenn ich eine Idee habe, dann muss ich sie umsetzen. So kommt es, dass sich in meiner Schublade wenig abgedrehte Zukunftsstudien befinden, sich aber gleichzeitig viele Dinge in der Testphase befinden und zu gegebenem Anlass auch der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Hendrik, wir danken dir für das Gespräch!

Das BULLS Six50 E FS3 mit Bosch-Antrieb im Test.

Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als E-MOUNTAINBIKE-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, dass der E-Mountainbike-Sport auch weiter ein kostenloses und frei zugängliches Leitmedium hat! Jetzt Supporter werden!

Words: Manne Schmitt Photos: Hendrik Gehring, E-MOUNTAINBIKE Magazine

Über den Autor

Manne Schmitt

Als stolzer Daddy von Robin und Max-Philip ist Manne der Mann der ersten Stunde und die „graue Eminenz“ im Redaktionsteam. Sein erstes Rad-Rennen gewann er im Grundschulalter beim Schulfest. Nach weniger erfolgreichen Versuchen im Fußball fand er über den Ausdauersport (Marathon) im Jahr 1989 seine Passion fürs Biken! Das Thema Racing verfolgt ihn noch immer, niemand im Team kennt die EWS-Profis besser als Manne. Als ehemaliger Chef-Analyst einer Landesbehörde weiß er, wie man richtig recherchiert, und findet exklusive News, die sonst niemand hat. Als Prokurist unterstützt er seine Söhne erfolgreich im Alltag – viva la familia!