Specialized mag zwar nicht das Light-E-MTB erfunden haben, hat aber mit dem Levo SL und dem hauseigenen SL 1.1-Motor die Kategorie salonfähig und der breiten Masse zugänglich gemacht. Nun kommt der Nachfolger: Was der neue Specialized SL 1.2-Motor alles kann, verraten wir euch in unserem Test.

Dieser Test ist Teil unseres großen E-Bike-Motoren-Vergleichstest. Einen Überblick über alle 13 von uns getesteten Motorensysteme, spannende Hintergrundinfos und eine Kaufberatung, worauf ihr beim E-MTB-Kauf achten solltet, erhaltet ihr hier!

Specialized SL 1.2 | 50 Nm | 1,93 kg | Hersteller-Website

Seit jeher ist Specialized dafür bekannt, alles selbst in die Hand zu nehmen. Die beliebte Bike-Marke entwickelt neben Bikes und vielen Komponenten auch ihr Motorsystem in Zusammenarbeit mit Entwicklungs- und Produktionspartnern selbst. Anfang 2020 waren die Augen groß, als Specialized die erste Generation des Light-E-Mountainbikes Turbo Levo SL mit dem eigenen SL 1.1-Motor vorstellte. Auch wenn die Amerikaner zum damaligen Zeitpunkt nicht die ersten Hersteller mit einem solchen Konzept waren, haben sie mit dem Turbo Levo SL dem Light-E-MTB-Markt ihren Stempel aufgedrückt und die Ära einer neuen Generation erst so richtig ins Rollen gebracht. Nach rund drei Jahren stellt Specialized in Kooperation mit dem Motorenhersteller MAHLE nun den neuen Specialized SL 1.2 vor, der in die Fußstapfen seines Vorgängers treten soll. Im Gegensatz zum SL 1.1-Motor soll der neue jedoch 50 Nm Drehmoment, anstelle der bisherigen 35 Nm, und eine maximale Leistung von 320 Watt anstatt 240 Watt liefern. Das sind 33% mehr Leistung und 43% mehr Drehmoment und vermutlich 100% mehr Fun. Der Specialized-Motor wird vorerst im neuen Levo SL zum Einsatz kommen und später auch den Weg in weitere Light-E-MTBs von Specialized finden, wie z. B. in das Levo SL Kids E-Bike, das wir auch schon für euch getestet haben.

Die ganzheitliche Herangehensweise der Bike-Brand bringt eine Menge Vorteile mit sich, da man schon in der Entwicklung auf ganz individuelle Anforderungen eingehen kann. Das und vieles mehr konnten wir bei unserem exklusiven Besuch im E-Bike-Entwicklungszentrum, der Turbo-Unit in der Schweiz, bereits erfahren. Das Produkt muss nicht so generalistisch und universell gehalten werden, wie es viele Motorenhersteller tun, um eine möglichst große Zahl an E-Bike-Marken zu bedienen. So kann Specialized auf maßgeschneiderte Lösungen setzen, während andere Bike-Hersteller auf die Lösungen der Motorenhersteller angewiesen sind, die meist für eine extrem breite Masse und ganz unterschiedliche Produkte gedacht sind. Auch im Service-Fall ist der Ansprechpartner sofort klar und es wechseln nicht die Zuständigkeiten, wie es bei vielen anderen Bike-Herstellern der Fall ist, die auf ein externes Motorsystem setzen. Durch einen klaren Ansprechpartner werden nicht nur die Wartezeiten minimiert, sondern auch die Nerven weniger strapaziert – hoffentlich.

Der Specialized SL 1.2-Motor im Detail – Marke Eigenbau

Auf den ersten Blick ähnelt der neue Specialized SL 1.2 seinem Vorgänger, denn er hat beinahe dieselbe Form. Damit ordnet er sich in Sachen Abmessungen über dem etwas kleineren FAZUA Ride 60 und unter dem größeren Bosch Performance Line SX ein, der TQ HPR 50 ist nochmals deutlich kompakter. Mit einem Gewicht von 1,9 kg ist der Specialized SL1.2 genauso schwer wie der bisherige SL 1.1-Motor und schwebt in derselben Kategorie wie die Minimal-Assist-Konkurrenz von Bosch oder FAZUA.
Bei der Stromversorgung setzen die Kalifornier auf Bewährtes und kombinieren den Specialized SL1.2 weiterhin mit einem internen Akku mit 320 Wh Kapazität, der auch schon im Vorgänger Anwendung gefunden hat. In Summe bringen die Kernkomponenten des Motorsystems – also Akku und Motor – ca. 3,7 kg auf die Waage und machen damit dem leichten TQ HPR 50-Motorsystem Konkurrenz. Allerdings ist eine Vergleichbarkeit des Gewichts der Motorsysteme nur die halbe Wahrheit und nicht vollends aussagekräftig, da das Gesamtgewicht des Bikes auch von den Integrationsanforderungen und -möglichkeiten der einzelnen Komponenten abhängt. Für längere Touren ohne Lademöglichkeit gibt es für den Specialized-Motor – wie gehabt – einen Range Extender mit 160 Wh, der im Flaschenhalter Platz findet und mit einem Gummiband an Ort und Stelle gehalten wird.

Der 160 Wh große Range Extender findet seinen Platz im Flaschenhalter und wird einfach an der Ladebuchse eingesteckt.

Die restliche Hardware wie Remote, Display und Ladeport wurde von den bekannten Turbo-Modellen übernommen. Die Anbauteile haben sich bereits in der Vergangenheit bewährt und machen Service und Ersatzteilbeschaffung einfacher. Das kleine und schlanke Specialized Mastermind TCU-Display zeigt alle relevanten Informationen wie Geschwindigkeit, gewählte Unterstützungsstufe oder den Akkustand in Prozent an. Gesteuert wird das System durch die minimalistische Lenker-Remote, die sich auch während des Fahrens einfach bedienen lässt und gutes haptisches Feedback gibt. Die Bedienelemente fügen sich durch ihren minimalistischen Look in die cleane Optik des Bikes ein und stören nicht: Unterwegs wird man nicht mit unnötigen Infos überschwemmt, sondern kann sich auf das Fahren konzentrieren – top!

Mit der minimalistischen Lenker-Remote steuert man das Motorsystem auch entspannt während der Fahrt.
Unterwegs wird man nicht von unnötigen Infos überschwemmt und hat dennoch alles Wichtige im Blick.

Ebenso aus dem eigenen Haus kommt die Specialized-App, die die Mission Control-App ersetzt und euch verschiedene Einstellungen zu eurem Bike und dem Motorsystem verwalten lässt. Anstatt alles neu zu erfinden, basieren bei der aktuellen App viele Funktionen und Features auf der alten Version. Sie lässt euch die drei Unterstützungsstufen Eco, Trail und Turbo in ihrer maximalen Motorleistung, ihrem Ansprechverhalten und ihrem Fahrgefühl anpassen. Für Einsteiger oder das schnelle Setup schlägt die App die drei verschiedenen Presets Universal, Battery Friendly und Race vor, die sich in ihrer Charakteristik unterscheiden, aber bei Bedarf auch auf eigene Vorlieben angepasst werden können. Neu und leider nicht ganz durchdacht ist die Anpassung über ein Diagramm, anstatt über Regler wie bei der bisherigen Mission Control-App. Im Diagramm lassen sich die Punkte der einzelnen Unterstützungsmodi nach Belieben und ohne Limitierung verschieben. So lässt sich z. B. der Eco- zum kraftvollen Turbo-Modus umkehren oder alle Unterstützungsstufen gleich stark machen. Zugleich lassen sich deutlich tiefgreifendere und detailliertere Motoreinstellungen vornehmen als bei der Brose E-Bike-App. Startet ihr auf eine Tour mit Kumpels, lassen sich die Touren zwar aufzeichnen, aber eine Navigationsfunktion wie bei der Brose E-Bike-App oder der Bosch eBike Flow-App gibt es hier nicht. Ebenso hat es das Feature Smart Control aus der bisherigen Mission Control-App bis zum Testzeitpunkt noch nicht in die neue Applikation geschafft. Über das Feature konnte das System die Motorunterstützung automatisch regeln, um eine vordefinierte Strecke mit der verbleibenden Akku-Kapazität zu bewältigen. Aber nur keine Panik, die Funktion soll per Update nachgeliefert werden. Die Anzeigen des Mastermind TCU-Displays lassen sich über die App individualisieren. Für den Stopp im Biergarten kann man mit der System Lock-Funktion das Motorsystem ausschalten. Das soll Langfingern das Entwenden des Bikes erschweren, ein (leider etwas) leiser Alarmton sorgt für zusätzliche Aufmerksamkeit.

Die Anpassung der Unterstützungsstufen im Diagramm ist nicht ganz durchdacht, da z. B. der Eco-Modus zum Turbo-Modus umgepolt werden kann.
Über die Specialized-App lassen sich die Anzeigen des Mastermind TCU-Displays auf eigene Vorlieben anpassen.

Der Specialized SL 1.2-Motor im Test – Natürlicher Flow?

Wie bei allen Specialized-Motoren kann man aus den drei Unterstützungsstufen Eco, Trail und Turbo auswählen. Auch die bekannte Micro-Tune-Funktion, die sich einfach per Klick über die Remote aktivieren lässt, ist wieder an Bord. Mit ihr lässt sich die Motorunterstützung in 10%-Schritten feinjustieren, was vor allem bei den SL-Bikes Sinn macht, um auf der einen Seite Akku zu sparen und auf der anderen Seite die benötigte Unterstützung an die Gegebenheiten und die gewollte Belastung anzupassen. Beim ersten Tritt in die Pedale unterstützt der Specialized SL 1.2-Motor natürlich und setzt auch im Turbo-Modus in der Standardeinstellung weder abrupt ein noch aus. Das sanfte Ausfaden an der 25-km/h-Grenze trägt hier seinen Teil bei. Nur der TQ HPR 50 fühlt sich noch natürlicher an.

Dennoch schiebt der Specialized-Motor spürbar, aber nicht zu stürmisch an, kann aber mit der Power eines Bosch Performance Line SX oder FAZUA Ride 60 nicht mithalten. Um das meiste aus dem Specialized SL 1.2 herauskitzeln, solltet ihr ca. in einer 80er-Trittfrequenz unterwegs sein. Es bestätigt auch unser Labortest, dass der Motor hierbei seine Leistungsspitze erreicht. Sie passt gut zum sportlichen Charakter des Motors und bietet trotz Unterstützung einen kleinen Trainingseffekt. Kommt man an einer kniffligen Stelle oder im steilen Uphill zum Stehen, fällt es im Vergleich zum TQ HPR 50 leichter, wieder in die Gänge zu kommen. Zudem schiebt der SL 1.2 in niedrigen Kadenzen etwas stärker an.
In Sachen Lautstärke hat die Geräuschkulisse im Vergleich zum Vorgänger zwar abgenommen, und die Tonlage hat sich von einem hohen in ein tiefes Summen verwandelt. Dadurch ist die Lautstärke wesentlich angenehmer zu ertragen, dennoch sind der TQ HPR 50 und der Bosch Performance Line SX noch leiser.

Fazit

Der Specialized SL 1.2 ist eine sinnvolle Weiterentwicklung, um mit den neuen leichten Motoren mithalten zu können. Er kann zwar nicht mit der Power der stärkeren Minimal-Assist-Motoren konkurrieren, überzeugt aber vor allem durch sein natürliches Fahrgefühl. Rund um den Motor bietet Specialized ein stimmiges Gesamtpaket in Sachen Remote, Display und Connectivity an. Die neue App ist teils noch etwas unübersichtlich.

Tops

  • natürliches Fahrgefühl
  • stimmiges Gesamtkonzept

Flops

  • kann in Sachen Power nicht mit den besten Minimal-Assist-Motoren mithalten
  • Motorsummen

Mehr Informationen findet ihr auf specialized.com


Das Testfeld

Einen Überblick über unseren großen E-Bike-Motoren-Vergleichstest erhaltet ihr hier

Alle Motoren im Test: Bosch Performance Line CX | Bosch Performance Line CX Race (zum Test) | Bosch Performance Line SX (zum Test) | Brose Drive S Mag (zum Test) | FAZUA Ride 60 (zum Test) | GIANT SyncDrive Pro2 (zum Test) | Panasonic GX Ultimate (zum Test) | Pinion MGU E1.12 (zum Test) | Shimano EP801 (zum Test) | Specialized SL 1.2 | Specialized 2.2 (zum Test) | TQ HPR 50 (zum Test) | Yamaha PW-X3 (zum Test)


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Words: Mike Hunger Photos: Diverse

Über den Autor

Mike Hunger

Von Slopestyle und Landschaftsfotografie, hin zu Enduro und Actionfotografie. Mike probiert gerne neue Dinge aus und hat eine Vorliebe für Action. Und Handwerk: So zieht es ihn mit seinem Syncro-Van, den er selbst restauriert und umgebaut hat, regelmäßig auf verschiedenste Roadtrips. Natürlich immer mit dabei ist sein Bike und seine Kamera, um die feinsten Trails von Italien bis in die Alpen unter die Stollen zu nehmen und die schönsten Momente festzuhalten. Durch seine Ausbildung als Industriemechaniker, seiner Erfahrung aus dem Radsport und seinen Foto-Skills kann er das Know-How perfekt in den journalistischen Alltag umsetzen und testet jetzt als Redakteur die neuesten Bikes und Parts. Als “Foto-Nerd” hält er außerdem die Tests fotografisch fest und sorgt im Magazin für geiles Bildmaterial.