Den Specialized 2.2-Motor kennt man aus einem der populärsten E-MTB-Modelle am Markt – dem Specialized Turbo Levo. Was den Motor besonders macht und wie er sich gegen die starke Konkurrenz von Bosch & Co. schlägt, erfahrt ihr in diesem Test!

Dieser Test ist Teil unseres großen E-Bike-Motoren-Vergleichstest. Einen Überblick über alle 13 von uns getesteten Motorensysteme, spannende Hintergrundinfos und eine Kaufberatung, worauf ihr beim E-MTB-Kauf achten solltet, erhaltet ihr hier!

Specialized 2.2 | 90 Nm | 2,98 kg | Hersteller-Website

Specialized hat bereits mit der ersten Turbo-Levo-Generation neue Maßstäbe gesetzt und ist als Bike-Hersteller einen einzigartigen Weg gegangen. Getreu dem Firmen-Motto „Innovate or die“ haben die Amerikaner die Entwicklung von Motor und Software in die eigene Hand genommen. Na gut, beim Motor hat man sich die Expertise vom Motorenhersteller Brose mit ins Boot geholt und den Specialized 2.2-Motor entwickelt, der auf dem Brose Drive S Mag basiert. Gerade in seiner ersten Version hatte der Brose-Motor häufig Probleme mit dem internen Riemen. Das Aggregat wurde seitdem aber leicht mechanisch überarbeitet und die Software nachgebessert, entsprechend wurden die technischen Probleme weniger.

Specialized setzt in seinem Produktportfolio auf zwei Motoren: den Full-Power-Motor 2.2 und den Minimal-Assist-Motor SL 1.2, den wir ebenfalls getestet haben. Der Specialized 2.2-Motor kommt bei der kalifornischen Bike-Brand in E-Mountainbikes wie dem Turbo Levo, in Trekking- und Citybikes wie dem Vado und in E-SUVs wie dem Turbo Tero X zum Einsatz. Im Gegensatz zu den meisten Bike-Herstellern hat Specialized ein tiefgreifendes Motorsystem-Know-how sowie In-house-Kompetenz und will auch die Hoheit über das Motorsystem besitzen. Dafür scheuen die Kalifornier keine Mühen und haben ein rund 70-köpfiges Team im Schweizerischen Cham, das sich nur um die E-Sparte kümmert. Dass bei Specialized Motor und Bike aus demselben Haus kommen, bringt viele Vorteile bei der Entwicklung und Abstimmung der einzelnen Komponenten aufeinander mit.
Zudem ist Specialized damit weniger abhängig von den Motorherstellern und ihren Entwicklungsgeschwindigkeiten bzw. Modellzyklen. Auch für den Kunden gibt es offensichtliche Vorteile: nahtlose Schnittstellen, eine starke User-Experience, und bei Service-Fällen ist der Ansprechpartner sofort klar.

Specialized 2.2: Das Motorsystem im Detail – Alles aus einer Hand

Mittlerweile gehört das zwei Jahre alte Specialized 2.2-Motorsystem zu den alten Hasen im Test. Das macht sich vor allem hardware-seitig bei den Proportionen bemerkbar. Besonders der Tretlagerbereich um den Motor fällt recht klobig aus. Der Specialized 2.2 setzt auf das gleiche Innenleben wie der Brose Drive S Mag, der die Motorkraft mit einem System aus Riemenantrieb und doppeltem Klemmkörperfreilauf überträgt. Dadurch ist kein Tretwiderstand beim Pedalieren ohne Motorunterstützung spürbar, und man kann das Bike auch im Falle eines leeren Akkus noch relativ entspannt nach Hause treten. Selbst bei den Eckdaten unterscheidet sich der 2.2 vom Drive S Mag nicht und setzt ebenso auf ein maximales Drehmoment von 90 Nm und eine maximale Tretunterstützung von 410%. Damit gehört er laut Datenblatt zu den stärksten Motoren im Test und muss sich nur Muskelprotzen wie dem Panasonic GX Ultimate geschlagen geben, die sowohl auf dem Papier (95 Nm) als auch auf dem Trail mehr Leistung entfalten. Gerade was die Spitzenleistung betrifft, die Specialized mit 565 Watt mechanischer Leistung angibt, kommt er nicht ganz an die Top-Performer ran, wie etwa ein Bosch Performance Line CX mit seinen 600 Watt. Aber Vorsicht: Die Werte auf dem Papier geben nur bedingt Aufschluss über die Performance eines Motors, am wichtigsten ist immer noch die Fahrperformance auf dem Trail, wo der Specialized sich z. B. deutlich besser kontrollieren lässt als der Panasonic GX Ultimate. Der Zeiger der Waage bleibt beim Specialized 2.2 bei 2,98 kg stehen, womit er unter den Full-Power-Motoren im Testfeld der schwerste ist, abgesehen vom Pinion MGU E1.12. Der Bosch Performance Line CX in der Race-Limited-Variante ist rund 200 g leichter.
Auch bei den Anbauteilen rund um den Motor überlässt Specialized nichts dem Zufall, nimmt alles selbst in die Hand und entwickelt eigene Akkus, natürlich zugeschnitten auf die eigenen Bikes. Der Specialized 2.2-Motor wird je nach Bike und Ausstattungsvariante von einem 500- oder 700-Wh-Akku gespeist, der sich aus dem Unterrohr entnehmen lässt. Gesteuert wird der Specialized-Motor über das ins Oberrohr integrierte Specialized MasterMind-Display (TCU), das sozusagen das Gehirn des Motorsystems darstellt. Das kleine und schlanke Farbdisplay zeigt alle relevanten Informationen wie Geschwindigkeit, gewählte Unterstützungsstufe oder Akkustand in 1%-Schritten an. Heutzutage ist es zwar nichts Neues mehr, ein Display in das Oberrohr zu integrieren. Specialized gehörte aber zu den ersten und ist mit ihrer Lösung immer noch Benchmark. Unterwegs steuert man das System über die minimalistische Lenker-Remote, die sich einfach mit dem linken Daumen bedienen lässt und gutes haptisches Feedback gibt. Alles an diesem System ist auf eine hohe Trail-Tauglichkeit ausgelegt. In der Einstiegsklasse bestückt das Team von Specialized seine E-Bikes mit dem Specialized Turbo Connect Display (TCD), das stark an einen Tacho der 90er erinnert und nicht über den Funktionsumfang der Anzeige von Basisinformationen hinausgeht. Für das Premiumsegment, besonders im Trekking-Bereich, hat Specialized noch das MasterMind TCD-Farbdisplay im Programm. Es besitzt einen ähnlichen Funktionsumfang wie das im Oberrohr integrierte TCU-Display und noch einige Extras speziell für das Einsatzgebiet, wie eine Anzeige für das Übersetzungsverhältnis einer Enviolo-Getriebenabenschaltung.

Das schön ins Oberrohr integrierte Specialized MasterMind TCU-Display gibt Auskunft über alle relevanten Informationen wie Geschwindigkeit, Unterstützungsstufe oder Akku-Stand.
Die minimalistische Lenker-Remote überzeugt mit guter Haptik und cleaner Optik.

Zu guter Letzt hat bis vor kurzem die Specialized Mission Control-App das Gesamtpaket abgerundet, nun wurde sie von der neuen Specialized-App abgelöst. Die neue Applikation macht aber nicht alles anders, sondern greift einen Großteil der Funktionen und Features der Mission Control-App auf. Die gut strukturierte Anwendung lässt sich auch ohne Informatikstudium einfach bedienen. Die unterschiedlichen Unterstützungsstufen Eco, Trail und Turbo lassen sich in Sachen maximaler Motorleistung, Ansprechverhalten und Fahrgefühl anpassen. Hier schlägt einem die App drei verschiedene Presets vor: Universal, Battery Friendly und Racing, die sich in ihrer Charakteristik unterscheiden. Was bei der Mission Control-App in der Vergangenheit über Regler passiert ist, geschieht nun über ein Diagramm, bei dem sich die Punkte der einzelnen Unterstützungsmodi auch nach Belieben und ohne Limitierung verschieben lassen. So kann z. B. der Eco-Modus zum Turbo-Modus umgepolt oder alle drei Unterstützungsstufen gleich stark gemacht werden – ob man das wirklich braucht, ist fraglich. Dennoch lassen sich deutlich tiefgreifendere und detailliertere Motoreinstellungen vornehmen als bei der Brose E-Bike-App. Geplante Touren lassen sich zwar aufzeichnen, aber eine Navigationsfunktion wie bei der Bosch eBike Flow- oder der Brose E-Bike-App stehen nicht zur Verfügung. Das Feature Smart Control aus der bisherigen Mission Control-App hat es zum Testzeitpunkt noch nicht in die neue Specialized-App geschafft. Damit konnte man die Motorunterstützung automatisch regeln lassen, um eine vordefinierte Strecke mit der verbleibenden Akkukapazität zu bewältigen. Die Funktion soll aber per Update kommen. Macht man auf der Tour Rast und lässt das Bike draußen stehen, kann man über die System Lock-Funktion das Motorsystem lahmlegen, und ein leiser Alarmton sorgt für zusätzliche Aufmerksamkeit. Das hält zwar Diebe nicht physisch vom Entwenden des Bikes ab, macht aber zumindest das System unbrauchbar.

Die Specialized Mission Control-App wird durch die neue Specialized-App ersetzt.
Entweder wählt man bei den Unterstützungsstufen aus drei verschiedenen Presets aus oder passt sie im Diagramm nach eigenen Vorlieben an.

Der Specialized 2.2-Motor im Test – Der Alleskönner?

Auf dem Trail kann man beim Specialized 2.2 aus den drei Unterstützungsstufen Eco, Trail und Turbo wählen. Ein praktisches Feature ist die Micro-Tune-Funktion, mit der man eine Feinjustierung der Motorunterstützung in 10%-Schritten vornehmen kann und die leicht per Klick an der Remote zu aktivieren ist. So lässt sich das Anstrengungs-Level genau am richtigen Punkt halten. Im Turbo-Modus in der Standardeinstellung sorgt der Specialized 2.2-Motor bergauf für Shuttle-Feeling und arbeitet ähnlich kraftvoll wie der Bosch Performance Line CX-Race im Race-Modus, liefert aber nicht den gleichen Punch. Dafür setzt die Unterstützung im Vergleich nicht zu plötzlich ein, und die Motorpower ist einfacher zu dosieren, was auch zu einem natürlicheren Fahrgefühl beiträgt.

Schwankende Trittfrequenzen bringen den Motor nicht aus der Ruhe, so werden auch Einsteiger mit einem unrunden Tritt nicht direkt aus dem Sattel gehoben. Der großzügige Nachlauf im Trail-Modus spielt seine Vorteile an Stufen oder Hindernissen aus und wird damit ein angenehmer Begleiter für technische Uphills.
Im Gegensatz zu Bosch oder Shimano ist der Specialized 2.2-Motor in der Abfahrt absolut leise und stört nicht mit einem lauten Klappern, selbst im Downhill in roughen Trail-Abschnitten.

Genau wie Bosch und Shimano entwickelt Specialized kontinuierlich das System und den Funktionsumfang der Motoren weiter. Mit der neuen Software geht Specialized neue Wege und bringt mit den „Jump Stats“ die Gamification – wie man es z. B. von Zwift kennt – auf die realen Trails. Diese Funktion zeichnet die Länge und Weite eurer letzten Sprünge auf, sodass sich die Diskussion, wer am meisten Airtime hatte, ein für alle Mal erledigt.

Fazit

Alles aus einer Hand: Specialized bietet ein ganzheitlich entwickeltes Paket aus Motor, Displays, Akkus, Remotes und Connectivity, das auf die eigenen Bikes zugeschnitten ist und eine super Performance abliefert. Auf dem Trail punktet der Specialized 2.2-Motor mit einem natürlichen Fahrgefühl und ist für Einsteiger wie Experten trotz seiner Power einfach zu beherrschen. Chapeau! Zudem bietet der 2.2-Motor viele Individualisierungsmöglichkeiten für Trailrider. Lediglich an den klobigen Motor-Dimensionen sieht man, dass das System im Vergleich zur Konkurrenz ein paar Jahre auf dem Buckel hat.

Tops

  • einsteigerfreundlich
  • ganzheitlich gedachtes Motorsystem
  • leise in der Abfahrt

Flops

  • klobige Drive-Unit

Für mehr Informationen besucht specialized.com


Das Testfeld

Einen Überblick über unseren großen E-Bike-Motoren-Vergleichstest erhaltet ihr hier

Alle Motoren im Test: Bosch Performance Line CX | Bosch Performance Line CX Race (zum Test) | Bosch Performance Line SX (zum Test) | Brose Drive S Mag (zum Test) | FAZUA Ride 60 (zum Test) | GIANT SyncDrive Pro2 (zum Test) | Panasonic GX Ultimate (zum Test) | Pinion MGU E1.12 (zum Test) | Shimano EP801 (zum Test) | Specialized SL 1.2 (zum Test) | Specialized 2.2 | TQ HPR 50 (zum Test) | Yamaha PW-X3 (zum Test)


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Words: Mike Hunger Photos: Diverse

Über den Autor

Mike Hunger

Von Slopestyle und Landschaftsfotografie, hin zu Enduro und Actionfotografie. Mike probiert gerne neue Dinge aus und hat eine Vorliebe für Action. Und Handwerk: So zieht es ihn mit seinem Syncro-Van, den er selbst restauriert und umgebaut hat, regelmäßig auf verschiedenste Roadtrips. Natürlich immer mit dabei ist sein Bike und seine Kamera, um die feinsten Trails von Italien bis in die Alpen unter die Stollen zu nehmen und die schönsten Momente festzuhalten. Durch seine Ausbildung als Industriemechaniker, seiner Erfahrung aus dem Radsport und seinen Foto-Skills kann er das Know-How perfekt in den journalistischen Alltag umsetzen und testet jetzt als Redakteur die neuesten Bikes und Parts. Als “Foto-Nerd” hält er außerdem die Tests fotografisch fest und sorgt im Magazin für geiles Bildmaterial.