Bremsentuning is not a crime! Denn sie sind wohl das am meisten unterschätzte Bauteil eines E-Mountainbikes – und gute Bremspower bedeutet, dass ihr mit mehr Sicherheit und Selbstvertrauen auf den Trails unterwegs seid. Hier erfahrt ihr, wie ihr das meiste aus euren Bremsen herausholt und sie einfach selbst tunen könnt.

Wer später bremst, ist länger schnell. Diesen zugegeben etwas ausgelutschten Spruch haben die meisten von euch wahrscheinlich schon mal gehört. Aber es steckt auch etwas Wahrheit drin. Denn hat man die Power beim Bremsen, gibt das einem die Sicherheit und Kontrolle, den Anker später zu werfen. Damit bekommt man aber nicht nur mehr Geschwindigkeit, sondern vor allem mehr Selbstbewusstsein und somit im Endeffekt mehr Spaß auf dem Trail. Zudem bedeutet mehr Bremspower weniger schmerzende Hände und Unterarme bei langen Abfahrten, da die Finger weniger stark zupacken müssen. Klar also, dass es sich lohnt, das Maximum aus euren beiden Stoppern herauszuholen.

Hydraulische Scheibenbremsen – wie sie an allen modernen E-Mountainbikes zu finden sind – sind ein sehr komplexes System mit vielen Variablen, die die Performance beeinflussen. Hier wollen wir uns jedoch nicht mit der trockenen Theorie herumschlagen, sondern mit der Praxis beschäftigen: Wir zeigen euch, wie ihr anhand von Upgrades an Bremsbelägen und -scheiben effektiv eure Bremse tunen könnt. Zudem haben wir ein paar Profi-Tricks von SRAM-Mechaniker Carsten mit dabei. Und das Beste? Für das allermeiste, was wir hier zeigen, benötigt ihr keine riesige Werkzeugbox, ein Multitool reicht komplett aus.

Bremsbeläge – Die heimlichen Champions der Bremse

Die wenigsten denken vermutlich viel über ihre Bremsbeläge nach. Es ist ja eigentlich nur ein Verschleißteil, das einfach so lange wie möglich halten soll, oder? Absolut nicht, denn die Wahl des Belags ist maßgeblich für die Reibung auf der Bremsscheibe verantwortlich und hat somit einen riesigen Einfluss auf das Bremsgefühl. Grundsätzlich kann man Bremsbeläge in zwei Kategorien unterteilen. Es gibt metallische Beläge, auch oft Sinterbeläge genannt. Sie sind sehr hitzebeständig und lange haltbar. Dafür brauchen sie aber auch länger, um auf die optimale Betriebstemperatur zu kommen und ihre volle Power zu entfalten. Organische Beläge, die auch Resin-Beläge heißen, bieten bereits im kalten Zustand viel Biss und sind generell leiser. Allerdings neigen sie bei zu hoher Temperatur dazu, deutlich Bremskraft zu verlieren. Welcher Typ von Belägen standardmäßig verbaut ist, hängt vom Hersteller und Modell ab.

Man kann aber natürlich auch die beiden Arten an seinem Bike mischen. So kann man z. B. durch die Kombination aus organischen Belägen an der Vorderbremse und metallischen Belägen an der hinteren Bremse von beiden Vorteilen profitieren. Vorne bremst man seltener. Aber wenn die Vorderbremse mal eingesetzt wird, also bei schnellen Vollbremsungen oder sehr steilen Passagen, benötigt man schnell viel Bremspower. Organische Beläge packen direkt voll zu, ohne erst auf Betriebstemperatur kommen zu müssen. Hinten lässt man die Bremse oft über eine lange Zeit schleifen, weshalb hier die höhere Hitzebeständigkeit von metallischen Belägen hilfreich ist. Letztendlich bleibt es aber Geschmacksache, welche Beläge man fährt, denn gute Performance können beide Typen bringen.

Doch wie geht man beim Wechsel der Bremsbeläge vor? Zunächst einmal bietet es sich an, das Rad auszubauen. Dazu müsst ihr zuerst die Steckachse entfernen. Das geht je nach Modell mit einem Schnellspanner oder einem 6er-Inbus. Die Achse kann dann einfach zur Seite herausgezogen werden. Beim Hinterrad am besten in den schwersten Gang schalten, dadurch lässt sich das Rad einfacher herausnehmen.
Als Nächstes muss die Schraube, die die Beläge an Ort und Stelle hält, herausgeschraubt werden. Je nach Hersteller müsst ihr davor eventuell noch einen Sicherheitsclip an der Rückseite entfernen. Dann können die Beläge einfach nach oben oder unten herausgezogen werden, je nach Modell und Marke.

Die neuen Beläge werden dann in den Bremssattel hineingeschoben und mit der Schraube und eventuell dem Sicherheitsclip befestigt. Nach jedem Belagwechsel solltet ihr die Schraube, die den Ausgleichsbehälter verschließt, öffnen und danach die Bremskolben mit einem Bremskolbenspreizer oder einem geeigneten Werkzeug zurückdrücken. Dadurch fließt überschüssige Bremsflüssigkeit heraus und das stellt sicher, dass das System nicht überfüllt ist. Zudem ist es ratsam, beim Wechsel von organischen auf metallische Beläge auch die Scheiben zu tauschen. Die weicheren organischen Beläge bringen eine andere Mikrostruktur in die Oberfläche der Bremsscheibe und verringern so die Bisskraft, wenn ihr mit metallischen Bremsen fahrt. Ein weiterer Profi-Tipp von Schrauber Carsten: Spreizt die Spange, die bei SRAM-Bremsen die Beläge hält, mit einem 6er-Inbus wieder auf, wenn sie nach ein paar Belagwechseln etwas ausgeleiert ist.

Bremsscheiben – Auf die Größe kommt es an

Wer bereits ein paar Bike-Tests von uns gelesen hat, wird bemerkt haben, dass wir oft die Größe der verbauten Bremsscheiben monieren. Und das hat einen guten Grund: Eine größere Scheibe bietet einen längeren mechanischen Hebel für die Bremse und somit mehr Power. Zudem bedeutet die größere Masse eine bessere Hitzebeständigkeit. Das macht den Tausch zu einer größeren Scheibe zu einem einfachen, kostengünstigen Upgrade für mehr Bremspower. Aber Achtung! Für leichte Fahrer kann eine größere Scheibe auch Nachteile haben. Durch das geringere Fahrergewicht kann es passieren, dass die Scheibe sich nicht ausreichend erwärmt, um eine optimale Betriebstemperatur zu haben. Denn es gibt bei der Bremsentemperatur einen Sweetspot, an dem die Reibung zwischen Scheibe und Belägen maximal ist.

Beim Bremsscheibenwechsel muss man zuerst das Rad ausbauen, wie beim Wechsel der Bremsbeläge oben beschrieben. Dann löst man die Bremsscheibe von der Nabe. Je nach Modell ist die Scheibe mit 6 kleinen Schrauben oder einem speziellen CenterLock-Ring befestigt. Beim Anbringen der neuen Scheibe muss man immer die Laufrichtung beachten. Bei den allermeisten Herstellern sind die Bremsscheiben richtig herum angebracht, wenn die Schrift nach außen zeigt. Auf der Beschriftung ist außerdem immer die richtige Richtung angezeigt.

Aus klein …
… wird groß.

Damit die Bremszange noch auf die größere Scheibe passt, muss der Abstand zwischen der Bremszange und der Radachse vergrößert werden. Dafür setzt ihr am besten einen Bremszangen-Adapter ein oder tauscht den vorandenen gegen einen größeren Adapter. Dazu werden einfach die beiden Schrauben gelöst, die die Zange an der Gabel bzw. dem Rahmen befestigen. Der neue Adapter wird dann mit diesen Schrauben – oder längeren, falls benötigt – wieder befestigt. Auch hier muss man die richtige Richtung bei der Montage beachten, der Pfeil zeigt immer nach oben. Die Zange zunächst nur locker anschrauben, da sie später noch zentriert werden muss.

Das Rad mit der neuen Bremsscheibe wird eingesetzt und mit der Steckachse befestigt. Um die Bremszange auf der Scheibe zu zentrieren, kann man das Rad einfach andrehen und die Bremse dabei langsam ziehen. Dann mit gezogener Bremse die Schrauben an der Zange anziehen. Falls die Scheibe dann immer noch leicht schleift, kann man die Position der Zange noch mit Augenmaß korrigieren.

Zum Zentrieren des Bremssattels über der Scheibe zieht man den Sattel mit gezogener Bremse fest.
Manchmal muss man die Position des Bremssattels trotzdem noch ein wenig korrigieren.

Tipps und Tricks von Profi-Schrauber Carsten

Wenn die Bremse ein schlechtes Bremsgefühl oder einen schwammigen Druckpunkt hat, hilft es oft, die Bremskolben zu mobilisieren. Dazu baut man das Rad wie oben beschrieben aus, lässt die Bremsbeläge jedoch drin. Dann den Bremshebel ein paar Mal ziehen. Dadurch wandern die Beläge Stück für Stück zusammen, bis sie sich berühren. Die Bremskolben werden dabei weiter herausgedrückt als bei normalen Bremsvorgängen, wodurch sich Verklemmungen oder Verklebungen lösen können. Solange die Beläge noch in der Zange drin sind, muss man sich aber keine Sorgen machen, dass sie zu weit herauskommen oder gar herausfallen könnten. Danach drückt man die Kolben einfach wieder in ihre Ursprungsposition zurück. Das kann entweder mit dem von uns verwendeten Bremskolbenspreizer oder auch einfach mit der Transportsicherung gemacht werden.

Wenn das nicht helfen sollte und ihr immer noch unzufrieden mit dem Bremsgefühl seid, lohnt sich oft ein schnelles Entlüften der Bremse. Da Luftblasen nach oben steigen und sich so im Hebel ansammeln, reicht es meistens, die Bremse am Hebel zu entlüften. Dazu die Schraube des Ausgleichsbehälters der Bremse lösen, eine Spritze mit Bremsflüssigkeit füllen und anbringen. Achtet dabei darauf, dass die Spritze am Einfüllende ein Schraubgewinde hat, das zu eurer Bremse passt, und verwendet auf jeden Fall die richtige Bremsflüssigkeit. Bei E-Mountainbikes kommt Bremsflüssigkeit auf Mineralöl- oder Glykolbasis (DOT) zum Einsatz und man darf die Flüssigkeiten nicht miteinander mischen. Was in eurer Bremse drin ist steht meistens auf dem Hebel drauf

Haltet die Spritze senkrecht über der Bremse und zieht dann den Kolben der Spritze sanft nach oben, damit die Luft durch den entstehenden Unterdruck nach oben gesaugt wird. Hier müsst ihr auch nicht ziehen wie verrückt, sonst zieht das System Luft von außerhalb herein. Dann die Flüssigkeit wieder sanft hineindrücken. Nachdem ihr diesen Vorgang ein paar Mal wiederholt habt und keine Blasen mehr aufsteigen, lasst ihr den Kolben los, damit sich der Druck wieder normalisieren kann; danach löst ihr die Spritze. Hierbei am besten einen Lappen unter den Bremshebel halten, da etwas Bremsflüssigkeit auslaufen kann. Dann einfach die Schraube wieder anbringen und euer Druckpunkt sollte so knackig sein wie frisch aus dem Werk.

Wenn ihr mit einer SRAM-Bremse unterwegs seid und die Druckpunktverstellung etwas schwergängig ist, könnt ihr sie gut mit einer Kettenschlosszange anpacken. Die passt perfekt auf das Drehrad und ihr lauft weit weniger Gefahr, den Hebel dabei zu beschädigen, als mit einer Rohrzange oder Ähnlichem. Ihr habt gar keine Kontaktpunktverstellung an eurer SRAM-Bremse? Dann könnt ihr auch lediglich den Bremshebel wechseln, statt eine komplett neue Bremse zu kaufen. So kann eine CODE R nur durch Tauschen der Hebeleinheit zu einer CODE RSC gepimpt werden. Am RSC-Hebel kann man nicht nur einstellen, wie viel Leerweg der Bremshebel hat, bevor die Bremse zu verzögern beginnt. Er verfügt auch über den sogenannten SwingLink, der die Bremspower und Modulation verbessern soll.

Und zum Schluss noch ein kleiner genereller Hinweis: Wenn ihr sichergehen wollt, dass alle Schrauben sicher sitzen und ihr beim Festziehen trotzdem kein Teil beschädigt, dann zieht am besten alles mit den angegebenen Drehmomenten an.

Viele scheuen sich, selbst Hand an ihr Bike zu legen – aber Upgrades an eurem E-Mountainbike können so einfach sein! Denn auch wenn Bremsen ein sehr komplexes System sind, kann man durch super einfache Änderungen an Bremsbelägen und -scheiben eine große Wirkung erzielen. So können auch alle weniger schrauberaffinen Leute ihre Bike-Performance mit wenig Werkzeug deutlich verbessern. Den schlussendlich bedeutet eine bessere Bremse auch immer mehr Sicherheit und Spaß auf den Trails!


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Words: Simon Kohler Photos: Mike Hunger

Über den Autor

Simon Kohler

Simon liebt Geschwindigkeit. Als Downhill Skater ist er lange Zeit Rennen gefahren und mit seinem Longboard Alpenpässe runtergeknallt. Inzwischen hat er vier gegen zwei Reifen eingetauscht und heizt jetzt mit seinem Mountainbike auf Trails und Bikepark Lines. Bei verschiedensten Roadtrips durch die Alpen hat er seither einige der feinsten Trails Europas ausgekostet. Da er einige Zeit in Österreich gelebt hat, kennt er zudem die lokalen Bikeparks wie seine Westentasche. Durch sein Ingenieurstudium und seine Liebe zum Detail ist er ein echter Technik-Nerd und testet jetzt als Redakteur die aktuellsten Bikes und Parts auf Herz und Nieren. Als Frühaufsteher und selbsterklärter Müsli-Connaisseur lebt er sein Leben frei nach dem Motto „Powered by Oats. And also Legs.“