Trigger-Warnung: Hier geht es um Alkoholkonsum, rollende Freudenbringer und den richtigen Oechsle-Gehalt. Wir trafen einen Adligen mit Rocker-Vergangenheit, entdeckten einen Keller voll Wein und Hügel mit versteckten Trails, um herauszufinden, warum E-Biken viel mehr ist als Trails fahren und Wein nicht das einzige Rauschmittel auf dieser Fahrt.

Nur eine halbe Stunde nördlich von Stuttgart beginnt das Trail-Paradies: Diese Region, rund um Beilstein, ist nicht nur für ihr umfangreiches und (für Baden-Württemberg) außergewöhnlich legales Trail-Netzwerk bekannt, sondern auch für ihre guten Weine. Also haben wir unsere E-Bikes geschnappt und sind mit einem Winzer zu einer Feierabendrunde mit anschließender Weinverkostung aufgebrochen. Dabei wurde nicht nur über Wein, Barrique-Ausbau und die richtigen Bike-Klamotten sinniert, sondern auch über das Leben und die Freiheit – aber lest selbst.

Mit kleinem Weingut kommt große Verantwortung: Weingut Graf Adelmann

Unser Winzer und Trailguide aus der Region war Felix, sorry Felix Graf Adelmann von Adelmannsfelden … Für uns ganz schön viel Adel in einem Namen. Daher einfach nur Felix, denn Biker sind per Du. Immer.

Felix hat das Weingut Graf Adelmann seines Vaters übernommen und auf Links gedreht: neue Sorten, neues Etikett und alles Bio. Letzteres eher aus Idealismus gegenüber Körper und Natur als aus wirtschaftlichen Gründen, denn der Output pro Hektar Reben sank dadurch auf weniger als die Hälfte des deutschen Durchschnitts-Weinguts. Gleichzeitig bedeutet Bio aber auch mehr Handarbeit, also hat Felix die Verantwortung über ein Dutzend Mitarbeiter und eine Menge Verpflichtungen übernommen – alles, was der Mittvierziger-Lebemann eigentlich nie wollte.
Wie bekommt man da noch Freiheit in seinem Alltag unter? Mit dem E-Bike! Schnelle Entspannung auf Knopf- oder besser Pedaldruck, mit weniger Schweißperlen auf der Stirn. Raus in den Wald, zu den Reben und auf die Trails, wo die Freiheit sich in Form engen Pfaden den Berg hinunter windet. Sorgen werden nicht im vergorenen Traubensaft ertränkt, sondern lösen sich mit jeder Pedalumdrehung mehr in Luft auf. Auf so eine „Gehirnentsanfter-Runde“ hat er uns mitgenommen, und auf den Wein am Ende mussten wir auch nicht verzichten ;).

Das E-Bike als Schlüssel zur Freiheit – Schmeiß‘ den Brainentsafter an

Nicht jeder von uns ist Burgherr, aber dennoch kennen viele von uns einen Werdegang wie den von Felix. Das Leben besteht aus Lebensabschnitten und vielen Veränderungen!
Im Teenie-Alter ist Felix vom MTB irgendwie zur E-Gitarre gekommen. Rockstar-Lifestyle: Konzerte, Alkohol, wenig Schlaf, Proben bis in die Nacht und Feiern bis in die Puppen. So oder so ähnlich läuft es wohl bei uns allen ab … Rebellion gegen Eltern, E-Bikes und das krude System. Hauptsache dagegen sein.

Dann fügt man sich meistens doch den Konventionen und dem gesellschaftlichen Druck, absolviert irgendeine Form von Ausbildung, wird sesshaft und bindet sich an irgendwas. Sei es Frau, Mann oder Hund. Am besten in einer Burg, aber diesen Kindheitstraum können sich wohl die wenigsten erfüllen, daher geben sich die meisten auch mit einer Wohnung und einem Keller voller Bikes zufrieden. Hat man diese Prozesse erst mal durchlaufen, merkt man früher oder später, was man dafür aufgegeben hat. Das Leben ist zwar voller Trubel und Ereignisse, aber die Freiheit und die Unabhängigkeit, die man früher noch so gefeiert hat, sind irgendwie auf der Strecke geblieben. Was dann folgt, wird oft als Midlife-Crisis bezeichnet. Aber ganz so schwierig muss es ja nicht sein: Um ein bisschen Freiheit zurückzuerlangen und – im Falle von Felix – die beklemmenden Burgmauern zu durchbrechen, müsst ihr nicht gleich euren Hund vor die Tür setzen. Manche kaufen sich ein schnelles Auto, ein Motorrad oder eben ein E-Bike (was sich preislich nicht wirklich unterscheiden muss ;)). Egal, wofür man sich entscheidet, es handelt sich dabei natürlich um ein Tool zur Freiheit, wobei das E-Bike sicher dasjenige mit den geringsten Folgekosten wie Versicherung, Zulassung oder TÜV (also wieder Verpflichtungen) ist, denen man ja eigentlich entkommen möchte.

Einfach aufsteigen – egal, ob in Badehose und Baumwollshirt, oder in Bike-Gear, den Handyhalter am Lenker und das Rücklicht am Sattel – spielt auf dieser Tour des Lebens alles keine Rolle. Hauptsache raus in den Weinberg, den Wald oder in die Stadt zur Eisdiele. Egal, ob der Akku randvoll oder halb leer ist: Das Teil ist ein Fahrrad, und das kann auch ohne Motor getreten werden. Und je mehr Kraft ihr in die Pedale steckt, desto weniger Energie habt ihr übrig, um euch wegen anderer Dinge zu sorgen.

Kein Alkohol ist auch keine Lösung

In vino veritas (Alkaios von Lesbos). Für Sorgen sorgt das liebe Leben. Und Sorgenbrecher sind die Reben. (Johann Wolfgang von Goethe). Schade, dass man Wein nicht streicheln kann (Kurt Tucholsky (der alte Chauvi)).
Egal, welchen Dichter man sich aussucht, irgendwie haben alle schon über (oder mit?) Wein philosophiert. Wein ist dabei nicht das klassische Betäubungsmittel. Es scheint mehr dahinterzustecken und wenn es nur das ist, was wir ihm zusprechen. Hinter Wein steckt Kultur, Wissenschaft, die ganze Welt des Ausprobierens und Scheiterns, um Erfolg zu haben – wie im wahren Leben manchmal auch.

Weingüter gibt es in den meisten Ländern wie Sandkörner am Ozean. Die Zentralisierung über große Anbieter wie die Coca-Cola Company bei Softdrinks hat auf dem Weinmarkt (zum Glück) nie geklappt. Dafür sind die Exklusivität des Produkts und der individuelle Charakter der Weine und Winzer viel zu entscheidend für den Erfolg. So bleibt auch hier Raum für Freigeister wie Felix, die sich auf einem Wein-Kongress lieber ein Bier bestellen und die Etikette (außer auf den Flaschen) nicht ganz so genau nehmen. Und so vielseitig wie die Weinlandschaft ist auch die E-Bike-Community – jeder fährt wie, wann, mit wem und vor allem wie lange er oder sie mag. Der Motor kann dabei ein ausgleichendes Element zwischen unterschiedlichen Fitness-Levels sein, aber niemals der Kern der Aktivität. Denn das, worum es wirklich geht, findet in den Köpfen der Teilnehmer und nicht unter den Reifen der Bikes statt.

Irgendwann am Tag oder im Leben kommt jeder an einen Punkt, wo er sich wieder mehr spüren möchte, mehr Freiheit und Extreme braucht oder einfach mal den Kopf freikriegen muss. Ein ganzes Weingut oder auch nur ein Gläschen guter Wein helfen vielleicht kurzfristig, aber eine Runde auf dem E-Bike kann noch viel berauschender sein und bringt einen an neue Orte und Erlebnisse – ohne Kopfschmerzen am nächsten Tag. Man muss einfach nur aufsteigen und losfahren!


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als E-MOUNTAINBIKE-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, dass der E-Mountainbike-Sport auch weiter ein kostenloses und frei zugängliches Leitmedium hat! Jetzt Supporter werden!

Words: Julian Schwede Photos: Julian Schwede

Über den Autor

Julian Schwede

Juli ist es gewohnt, mit großen Kalibern umzugehen. Er schraubt nicht nur gerne an seinem Bike, sondern hat nach seiner Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker an der Königsklasse der Kraftfahrzeuge – Omnibussen – getüftelt und gewerkelt. Als ihm die Entwicklung auf Elektroantriebe im Großformat zu langsam ging, hat er technische BWL studiert und nebenher Tische aus Carbon gebaut. Während sein Dirtbike aus dicken Alu Rohren geschweißt ist, besteht sein Fully ebenfalls aus den schwarzen Fasern und hat ihn schon auf einige Gipfel gebracht. Doch auch angeseilt erklimmt er Berge gern über Klettersteige oder senkrecht an der Wand. Mittlerweile fährt er statt seinem eigenen Bike fast nur noch Bikes aus dem Office-Keller und testet sie auf Leib und Lenker. Neben Bike Reviews kümmert Juli sich auch um das tägliche Newsgeschäft und bezeichnet sich selbst als rasenden Reporter “Carlos Columbus”.