Viva la Revolution! Pinion verspricht mit der MGU E1.12 nicht weniger als den Tod des Schaltwerks am E-MTB. Dafür integrieren sie ihr Pinion-Getriebe direkt in den Motor. Der soll nicht nur mit ordentlich Power überzeugen, sondern auch fast wartungsfrei und damit sehr langlebig sein. Ob uns das Feuer der Revolution erfasst hat?

Dieser Test ist Teil unseres großen E-Bike-Motoren-Vergleichstest. Einen Überblick über alle 13 von uns getesteten Motorensysteme, spannende Hintergrundinfos und eine Kaufberatung, worauf ihr beim E-MTB-Kauf achten solltet, erhaltet ihr hier!

Pinion MGU E1.12 | 85 Nm | 4,1 kg | Hersteller Website

Ein Schaltwerk, das geschützt vor Dreck und Beschädigungen in einer Hülle liegt und zusätzlich noch am Schwerpunkt des Bikes zur optimalen Gewichtsverteilung beiträgt. Klingt nach Fantasie? Gibt es aber schon längst in Form von Pinion-Getrieben. Allerdings konnten die sich wegen einiger Schwächen nie so wirklich auf dem Markt für analoge MTBs durchsetzen. Aus diesem Grund packt Pinion das Getriebe jetzt einfach in einen eigens entwickelten Motor und holt zum ganz großen Schlag auf den E-Bike Markt aus. Nach 5 Jahren Entwicklungszeit ist das Ergebnis die Pinion MGU. MGU steht dabei für Motor Gearbox Unit: In der abgekapselten Einheit, die Motor und Getriebe kombiniert, finden die Gangwechsel elektrisch statt, was ein Schaltwerk oder eine Nabenschaltung obsolet macht. Jetzt könnte man sich fragen, wofür der Aufwand, wenn es doch auch richtig gute Schaltwerke gibt? Schaltwerke kämpfen mit einigen konstruktionsbedingten Schwächen, die einem als Fahrer und Mechaniker das Leben schwer machen. Besonders die exponierte Position am Hinterrad sorgt dafür, dass man gern mal Steine oder andere Hindernisse mitnimmt, und der dauerhafte Dreckbeschuss sorgt für zusätzlichen Verschleiß und eine begrenzte Lebensdauer. Außerdem trägt das Schaltwerk inklusive Kassette durch seine Position an der Hinterradachse zur ungefederten Masse bei, die die Hinterbau-Performance verschlechtert. Alles Punkte, die sich mit einem Getriebe in Luft auflösen sollen.

Die Pinion MGU gibt es in vier Modellen: E1.9 mit 9 Gängen und E1.12 mit 12 Gängen, zusätzlich noch jeweils eine Speed Variante für S-Pedelecs bis 45 km/h. Pinion ist zwar nicht der erste Hersteller, der Fahrrad-Motor und Getriebe kombiniert, könnte aber der erste sein, der eine breitere Masse damit erreicht. Denn die MGU E1.12 war bereits beim Launch ein marktreifes Produkt und hat auch das Potenzial, anderen Ansätzen wie dem Riemenantrieb neuen Schwung im Offroad-Segment zu verleihen, denn so kann der Riemen nun endlich ohne eine Nabenschaltung eingesetzt werden. Das Einsatzgebiet reicht weit und es wurden bereits Cargo-Bikes, E-City-Bikes und auch E-Road-Bikes mit dem Motor mit Pinion-Getriebe vorgestellt. In Sachen E-Mountainbikes wird der MGU E1.12 zum Zeitpunkt unseres Vergleichstests bereits in Modellen von BULLS, SIMPLON und ROTWILD verbaut. Was die Pflege und den Service angeht, soll nur alle 10.000 km ein Ölwechsel nötig sein. Sonst brauchen Motor und Getriebe keinerlei Pflege. Sollten dennoch Probleme auftauchen, ist der E-Bike-Integrationsriese FIT, der das System rund um den Motor beisteuert, die erste Anlaufstelle. Zusätzlich gibt es noch von Pinion geschulte Händler. Kann ein Problem hier nicht direkt gelöst werden, geht es zur Problembehandlung weiter zu Pinion selbst. Außerhalb Europas ist das Händler- und Servicenetzwerk aktuell noch dünn, soll aber in den nächsten Jahren ausgeweitet werden.

Die Pinion MGU E1.12 im Detail – Pinion-Getriebe trifft auf Industriemotor

Trotz integriertem Pinion-Getriebe ist die MGU E1.12 kaum größer als ein herkömmlicher Full-Power-E-Bike-Motor. Vor allem über die Optik am Hinterrad stolpert man bei der ersten Betrachtung. Denn hier fehlt das Schaltwerk. Stattdessen findet sich hier nur noch ein Ritzel mit einer kleinen Führung, über das die Kette oder der Riemen läuft. Pinion lässt den Bike-Herstellern die Wahl, ob sie auf eine herkömmliche Kette oder einen Riemen setzen. In Sachen Verschleiß und Pflege ist der Riemen weniger anspruchsvoll als eine Kette. Hinter dem Motor wird der Riemen von einem recht markanten Spanner auf Spannung gehalten, der mit seinen großen Federn einen etwas industriellen Look ausstrahlt. Kommt eine Kette zum Einsatz, fällt der Spanner am Motor weg, dafür wird dann ein Kettenspanner am Hinterrad nötig. Die Waage kommt beim Pinion MGU E1.12 erst bei 4,1 kg zum Stehen. Im Vergleich zu den anderen Full-Power-Motoren im Test, die sich meist um die 3 kg bewegen, ist das eher schwer. Allerdings müsste man der Fairness halber bei den anderen Motoren Schaltwerk und Kassette dazu addieren.

Der massive Riemenspanner sorgt mit seiner freiliegenden Feder beim Anschauen für Industrie-Feeling – nicht gerade elegant.
Eleganter geht es dafür am Hinterrad zu, wo man nur noch ein Ritzel mit einer kleinen Führung braucht.
Mit einer Kette wandert der Spanner ans Hinterrad, sodass auf den großen Riemenspanner am Motor verzichtet werden kann.

Der Motor in der Motor Gearbox Unit basiert auf einem veredelten bürstenlosen Motor für Industrieanwendungen und bringt bis zu 600 W Maximalleistung auf den Riemen oder die Kette. Ein maximales Drehmoment gibt Pinion allerdings nicht an, da die Kraft, die über das Kettenblatt übertragen wird, davon abhängt, in welchem Gang sich das interne Pinion-Getriebe befindet. Unser Labortest hat gezeigt, dass die MGU ähnlich kraftvoll ist wie der Bosch Performance Line CX und etwas kraftvoller als der Shimano EP801. Die Fahrerleistung wird mit bis zu 400 % übersetzt und ist damit vergleichbar mit den kräftigen Aggregaten Bosch Performance Line CX Race und Brose Drive S Mag.

Um alles abseits des Motors kümmert sich Systemintegrator FIT. Der deutsche Hersteller bietet 4 Akkus zur Auswahl an: entnehmbare Akkus mit 480, 720 und 960 Wh und einen voll integrierten, nicht entnehmbaren 700-Wh-Akku. Zusätzlich kann noch ein Range Extender mit 468 Wh verbaut werden, was zusammen mit dem großen Akku über 1.400 Wh Akkukapazität ermöglicht. An der Front kann das FIT Display Compact einfach in die dafür vorgesehene Halterung eingeklickt werden und auch gegen das größere FIT Display Comfort getauscht werden. Beide leben aber wegen der exponiert vor dem Vorbau platzierten Halterung ein gefährliches Leben. Die recht klobige FIT Basic-Remote am Lenker ist mit einem kleinen Joystick in der Bedienung etwas gewöhnungsbedürftig. Vor allem dann, wenn der Untergrund unebener ist, und auf dem Trail ist die Bedienung mit dem Joystick anspruchsvoll. Bei der ersten Benutzung der Remote erschrickt man erstmal kurz wegen dem Vibrationsfeedback beim Tastendruck. Allerdings merkt man so gut, dass eine Verstellung vorgenommen wurde, und die Vibration lässt sich auch ausschalten. Über die FIT E-Bike Control App kann man sich mit dem Motorsystem verbinden. Im Gegensatz zum Panasonic GX-Motorsystem, das ebenfalls auf die FIT App zurückgreift, lassen sich hier auch die Motoreinstellungen an die eigenen Bedürfnisse anpassen. Dafür wurde das Interface in Zusammenarbeit mit Pinion entwickelt. Auf einer Karte kann man sich die Reichweite des Motorsystems in den unterschiedlichen Fahrmodi ansehen, allerdings wird hierfür nicht wie bei Bosch ein Höhenprofil berücksichtigt. Ebenso kann man über die App die letzte bekannte Position des E-Bikes anzeigen lassen, die aktualisiert wird, solange das Motorsystem eingeschaltet ist. Für einen Bewegungsalarmdienst muss der FIT E-Bike Tracker nachgerüstet werden.

Bis auf den fest verbauten 700-Wh-Akku sind alle erhältlichen FIT-Akkus darauf ausgelegt, aus dem Bike entnommen zu werden.
Das FIT Display Compact bietet alle grundlegenden Infos, die man so braucht. Vor dem Vorbau ist es allerdings sehr exponiert verbaut und lebt ein gefährliches Leben.
Mit Vibrations-Feedback macht die FIT Basic-Remote klar, ob man den Knopf nun erwischt hat oder nicht. Allerdings gehört sie nicht gerade zu den elegantesten Remotes.
Der Schalthebel für das Pinion-Getriebe sieht aus wie … ähm ja, ein Schalthebel. Gummierte Oberflächen und gutes haptisches Feedback sorgen hier für angenehme Schaltvorgänge.

Die Pinion MGU E1.12 im Test – Kein Berg zu steil

Auf dem Bike stehen euch die vier Unterstützungsmodi ECO, FLOW, FLEX und FLY zur Auswahl. FLOW und FLEX sind dynamische Modi. Im FLY-Modus – dem stärksten Modus – ist die Kraftentfaltung unmittelbar und direkt. Auch auf steilen Rampen schiebt euch der Pinion MGU E1.12 mühelos nach oben und liefert sich hier ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den stärksten Motoren im Test, wie dem Panasonic GX oder dem Brose Drive S Mag. Allerdings macht ihn die stürmische Kraftentfaltung besonders für Anfänger nicht gerade einfach zu beherrschen. Auf unsauberes und unrundes Treten reagiert der Motor mit Schwankungen und verzeiht hier keine Fahrfehler. Im FLEX-Modus ist der Motor schon deutlich leichter dosierbar, obwohl hier bereits die volle Leistung abrufbar ist. Das integrierte Pinion-Getriebe bietet eine große Bandbreite von 600 %. Zum Vergleich: Eine herkömmliche Kettenschaltung hat eine Bandbreite von bis zu 520 %. Dadurch ermöglicht das Pinion-Getriebe, bergauf im Kriechgang zu schleichen und in der Ebene auch jenseits der 25-km/h-Marke aus eigener Kraft noch einen draufzusetzen. Auch in den steilsten Anstiegen braucht man sich keine Sorgen um das Schalten machen, weil man am Pinion-Getriebe ohne Rücksicht auf Verluste auch unter Volllast smooth schalten kann. Von Gang 4 auf 5 und 8 auf 9 merkt man, dass der Schaltvorgang deutlich länger dauert, weil hier zwei Zahnradpaarungen gleichzeitig gewechselt werden. Auch ohne zu treten kann geschalten werden.

Ein großer Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Motor mit einer Kettenschaltung ist, dass Motor und Getriebe bei der Pinion MGU E1.12 clever vernetzt sind. Dem System ist ständig bekannt, wo die Kurbel gerade steht, welcher Druck auf ihr lastet und wo sich aktuell die Getriebezahnräder befinden. So kann das Getriebe den bestmöglichen Zeitpunkt zum Schalten abwarten: den Totpunkt, an dem der geringste Druck auf dem Pedal liegt. Schaltet man aber unter Volllast, spürt man einen Versatz am Pedal und tritt kurz etwas ins Leere. Auch die Smart.Shift-Funktion wird durch die clevere Vernetzung möglich. Mit ihr schaltet das Getriebe, wenn nicht getreten wird, automatisch in den Gang, der im Zusammenspiel mit der aktuellen Geschwindigkeit eine in der FIT E-Bike Control App vordefinierte gewünschte Kadenz ermöglicht. Dadurch hat man direkt den passenden Gang parat, wenn man wieder antreten möchte. Der elektrische Schalthebel bietet eine gelungene Ergonomie mit angenehmem Druckpunkt. Durch das integrierte Getriebe variiert die Lautstärke des Pinion MGU E1.12 stark. Zum einen gibt das Getriebe ein mahlendes Geräusch von sich, das besonders in den leichtesten vier Gängen am lautesten ist. Dazu kommt das elektrische Surren des Motors, das ebenfalls in den leichtesten vier Gängen sehr laut ist, weil der Motor hier sehr hochdreht. In den schwereren Gängen nimmt die Geräuschkulisse dann deutlich ab. Das ist allerdings kontraintuitiv und störend, weil man sich eher im Uphill im kleinen Gang mit seinen Bike-Buddies unterhält und nicht bei höherem Tempo, wenn die Fahrgeräusche sowieso überwiegen.

Fazit

Pinion gelingt mit der MGU E1.12 Motor-Getriebe-Einheit ein Einstand nach Maß und lässt großen Versprechungen auch spannende Taten folgen. Die Kombination aus einem kraftvollen und direkt ansprechenden Motor und Pinion-Getriebe hat das Zeug dazu, den E-Bike-Markt nachhaltig zu verändern. Für den wirklich ambitionierten Einsatz ist die Schalt-Performance jedoch noch nicht gut genug und auch Themen wie Service und Preispunkt sind für viele Bike-Hersteller noch Abwägungssache. Aktuell ist der Motor ideal für Langstrecken-Tourer, die auch vom geringen Wartungsaufwand und den smarten Schalt-Features profitieren.

Tops

  • geringer Wartungsaufwand
  • geringe ungefederte Masse am Hinterrad
  • Schalten unter Volllast

Flops

  • hohe Lautstärke in unteren Gängen
  • in bestimmten Gängen unsaubere Schaltvorgänge
  • stürmische Kraftentfaltung
  • bauartbedingt hohes Gewicht
  • klobiger Riemenspanner

Für mehr Informationen besucht pinion.eu


Das Testfeld

Einen Überblick über unseren großen E-Bike-Motoren-Vergleichstest erhaltet ihr hier

Alle Motoren im Test: Bosch Performance Line CX | Bosch Performance Line CX Race (zum Test) | Bosch Performance Line SX (zum Test) | Brose Drive S Mag (zum Test) | FAZUA Ride 60 (zum Test) | GIANT SyncDrive Pro2 (zum Test) | Panasonic GX Ultimate (zum Test) | Pinion MGU E1.12 | Shimano EP801 (zum Test) | Specialized SL 1.2 (zum Test) | Specialized 2.2 (zum Test) | TQ HPR 50 (zum Test) | Yamaha PW-X3 (zum Test)


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Words: Mike Hunger Photos: Diverse

Über den Autor

Mike Hunger

Von Slopestyle und Landschaftsfotografie, hin zu Enduro und Actionfotografie. Mike probiert gerne neue Dinge aus und hat eine Vorliebe für Action. Und Handwerk: So zieht es ihn mit seinem Syncro-Van, den er selbst restauriert und umgebaut hat, regelmäßig auf verschiedenste Roadtrips. Natürlich immer mit dabei ist sein Bike und seine Kamera, um die feinsten Trails von Italien bis in die Alpen unter die Stollen zu nehmen und die schönsten Momente festzuhalten. Durch seine Ausbildung als Industriemechaniker, seiner Erfahrung aus dem Radsport und seinen Foto-Skills kann er das Know-How perfekt in den journalistischen Alltag umsetzen und testet jetzt als Redakteur die neuesten Bikes und Parts. Als “Foto-Nerd” hält er außerdem die Tests fotografisch fest und sorgt im Magazin für geiles Bildmaterial.