Wie oft nimmst du dir etwas vor und machst es dann doch nicht? Meistens scheitern die an entspannten Abenden mit Kumpels geschmiedeten Pläne schon lange, bevor man sie überhaupt in Angriff nimmt. Wir alle werden älter, die Freizeit weniger, Prioritäten verschieben sich – ob man will oder nicht. Doch jammern nützt nichts! Es gilt, aus den vorhandenen Ressourcen das Maximum an Erlebnissen herauszuholen.
Mit dem Wissen, dass es uns eh nicht gelingen würde, einen einwöchigen Bikeurlaub an der italienischen Mittelmeerküste zu organisieren, verabredeten Julian, Wolfgang und ich uns für ein zweitägiges Abenteuer in den Stubaier Alpen in Österreich. Julian, Marketing-Manager bei SCOTT und dreifacher Familienvater, kümmerte sich um unsere fahrbaren Untersätze: Drei E-Mountainbikes mit Plus-Reifen – bei diesen Monstermaßen könnte man fast meinen, der Countrysong „Big Green Tractor“ wäre speziell für diese Bikes geschrieben worden.
[emaillocker id=”8900″]Lift it up
Die Alpen sind majestätisch, wunderschön und grausam zugleich. In ihnen wurden Helden erschaffen und Tragödien geschrieben, dem Berg ist schlichtweg egal, was man gerade macht. Er ist eine Konstante der Zeit, in der es gelingt, den Stress und die Hetze des Alltags hinter sich zu lassen – und genau das hatten wir vor. Ungeachtet jeglicher Diskussionen und Ideologien um die Elektrifizierung des Sports lautete unsere Devise: Auf den E-Bikes losfahren und Spaß haben!
Statt uns per Lift auf jeglichen Gipfel gondeln zu lassen, ging es überwiegend per elektronisch potenzierter Muskelkraft den Berg hinauf. Mal ganz im Ernst – wer ist darüber nicht dankbar? Dennoch entschieden wir uns bewusst dafür, mithilfe einer Bergbahn die ersten 700 Höhenmeter Uphill zu bewältigen. Wir hatten noch einiges vor und wollten Zeit und vor allem Akku-Kapazität sparen.
Eco, Tour, Sport
Eine Herausforderung der Tour war es, sich von Beginn an die Akku-Kapazität gut einzuteilen. 1.900 Höhenmeter im Turbo-Mode waren nicht drin. Nach dem ersten Wegabschnitt mit dem Lift ging es also darum, auf den restlichen 1.200 Höhenmetern sparsam mit den Akkureserven hauszuhalten. Wenn wir eins nicht wollten, dann, dass uns irgendwo auf dem steilen Anstieg zu unserem Tagesziel, der Innsbrucker Hütte, der Saft ausging. Im Eco-Modus pedalierten wir los und bereits nach kurzer Zeit schoss mein Puls in die Höhe. Auch von meiner Rechten hörte ich angestrengte Atemgeräusche. Der Weg war brutal steil, die Übersetzung groß und die Motorunterstützung im Eco-Modus zu gering. Es half nichts: Wir schalteten geschlossen in den Tour-Mode, nur um wenig später, als der Pfad noch technischer wurde, auf die Sport-Stufe zu wechseln. Würden wir so am Ziel ankommen?
Below the clouds
Julian hatte sich nicht nur um die Bikes gekümmert, er übernahm auch die Rolle des Tourguides. Wolfi und ich folgten und wussten außer den Eckdaten der Tour nicht wirklich, was auf uns zukam. Nachdem wir die ersten 400 Höhenmeter innerhalb kürzester Zeit bewältigt hatten, erreichten wir die erste Kreuzung. Ein Weg ging rechts steil bergauf, der andere links bergab und in ein Tal hinein. Am Ende des Tals sah man einen weiteren Trail, der sich in unzähligen Kurven den kargen Berg hinaufschlängelte und nach einiger Zeit auf Schnee stieß. Er endete an einem Sattel, über dem nur wenige Meter oberhalb dunkle Wolken hingen. Gemütlich sah anders aus. Klar, dass genau das unsere Route war.
Also ging es bergab und das ziemlich zügig! Trotz des hohen Gewichts der Bikes waren selbst technische Sektionen problemlos zu bewältigen. In einer engen Kehre das Hinterrad umsetzen? Kein Thema! An Steinen abziehen? Warum nicht? Bis auf zwei kurze Selfie-Stopps, heizten wir den Trail zügig und dicht nacheinander hinab. Unten angekommen: High Five und beste Laune.
2 Balken sind 2 Balken zu viel
Der restliche Uphill erwies sich als deutlich weniger dramatisch als zunächst, von der anderen Seite aus, angenommen. Die Motoren surrten im Sport-Modus und als wir nur noch 300 Höhenmeter von der Hütte entfernt waren, aber noch immer zwei Balken bei der Akkuanzeige übrig hatten, gab es nur noch ein Ziel: im Turbo-Modus den Akku leerfahren! Schließlich hatten wir vorher geklärt, ob wir auf der Hütte die Akkus laden können und ein Ladegerät in den Rucksack gepackt. Gelungen ist es uns aber nicht, denn Schnee stoppte unseren Vorwärtstrieb und machte Fahren unmöglich. Tragen war angesagt. Bei frostigen 5°C und starkem Wind wurden die Finger am kalten Metall der Kurbel, an der wir die Räder auf dem Rücken hielten, immer kälter. Nach kalt kam dann taub und der Punkt, an dem wir uns wünschten, endlich die Hütte zu erreichen. Eine gute Tourplanung ist im alpinen Gelände unerlässlich, Julian wusste Bescheid und brachte uns nach kurzer Zeit ins Warme. Endlich!
Akkus laden
Im Inneren war es warm, trocken und windgeschützt. Zeit, die Akkus zu laden – und zwar nicht nur die der Bikes, sondern auch die eigenen! Mit Weißbier, Kaspressknödel und Leberkäs war das im Nu geschehen.
Alles, was uns jetzt noch fehlte, war eine gehörige Portion Schlaf! Das letzte Licht war kaum hinter den wolkenverhangenen Bergen verschwunden, da entschieden wir uns auch schon, die warme Gaststube zu verlassen und uns im kühlen Bettenlager in unsere dünnen Hüttenschlafsäcke und unter die extra dicke Federbettwäsche zu verkriechen, natürlich nicht ohne noch etwas über das Erlebte zu philosophieren und eine Runde Techtalk zu betreiben. Am meisten beschäftigte uns die Frage, wie wohl der sehr technische und steile Trail vom nächsten Tag mit den E-Mountainbikes zu fahren sein würde.
Sun’s out, guns out
Am nächsten Morgen war sie dann da: die Sonne! Und zwar genau in dem Moment, als wir eine kurze, haarige Schiebepassage hinter uns gelassen hatten und nach einer Linkskurve in die eigentliche Abfahrt einbogen. Keine zwei Minuten später begann am Berg ein halber Striptease und wir rissen uns die warmen Daunenjacken vom Körper.
Nicht nur die Sonne heizte uns ordentlich ein – auch der Trail hatte es in sich. Ein Handtuch-breiter Pfad, gepaart mit etlichen Spitzkehren, ist fahrtechnisch bereits eine Herausforderung. Geht es dann an der Seite noch hunderte Meter steil gen Tal, steigt der Puls auch ohne körperliche Belastung! Voll fokussiert wählten wir unsere Linien, bremsten an, lenkten ein und jubelten über jede gemeisterte Kehre.
Stück für Stück arbeiteten wir uns hinab, hatten es dabei aber nicht sonderlich eilig. Denn erstens waren wir noch immer sehr früh dran und zweitens hatte die Sonne es noch nicht über den Berg ins Tal geschafft und auf Scheiben-Kratzen am Auto hatten wir wahrlich keine Lust. Also legten wir noch einen Stopp ein, machten ein zweites Frühstück und genossen die grandiose Aussicht. Es war keine 16 h her, seit wir unsere Tour gestartet hatten und wir hatten schon so viel erlebt und gelacht.
Hätten wir mit normalen Bikes genauso viel Spaß gehabt? Vermutlich schon, aber mit den E-Mountainbikes war es anders. Entspannter, sorgloser, noch stressfreier. Sie haben unseren Aktionsradius vergrößert, Fahrspaß bergauf beschert, uns in gleicher Zeit mehr erleben lassen und das ist genau das, was wir mit unseren geringen (Zeit-)Ressourcen wollten: Urlaub machen ohne Urlaub zu nehmen. Wir waren am Vortag nach dem Mittagessen aufgebrochen und kehrten am nächsten Tag pünktlich zum Mittagessen zurück. Das macht die Frau oder Freundin happy und uns ebenso – denn wer will schon Ärger zu Hause?
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