Diese Saison läuten Bikes, wie das neue FOCUS Jam² SL, die nächste Generation der Light-E-MTBs ein. Sie versprechen ein besseres, leichtfüßiges Handling und begeistern damit vor allem Trailjunkies und Analogbike-Fans. Zusammen mit FOCUS Bikes haben wir den Reality Check gemacht: Sind Light E-MTBs die besseren Mountainbikes?

Ein besseres und einfacheres Handling, ein sexy Design und ein neues Hoch an Fahrspaß und Glücksgefühlen auf dem Bike: Die Liste der Versprechen der neuen Light-E-MTBs ist lang. Versprechen oder doch nur Versprechungen? Wir machen zusammen mit FOCUS Bikes den Reality Check und sind dazu mit der erfahrenen Mountainbikerin Katrin in die Dolomiten gefahren. Warum Katrin? Wenn Katrin aufs Bike steigt, zieht sie mit ihrem Skill und Style neidische Blicke auf sich. Doch nicht nur weil sie schneller fährt als die meisten Typen (inklusive uns), sondern weil sie auch verdammt cool und lustig ist – good times ahead! Lange Tagestouren mit weit über 1.000 Hm bestreitet sie ohne Probleme aus eigener Muskelkraft. Allerdings würde sie gerne noch etwas mehr aus den einzelnen Touren herausholen oder mehrere Tage in Folge unterwegs sein, ohne Rest-Days zwischen kräftezehrenden Etappen einlegen zu müssen. Während sie ihr analoges Mountainbike in- und auswendig kennt, hat Katrin auf E-MTBs bislang nur wenig Erfahrung gesammelt.

Peter: Hey Katrin, was erwartest du von diesem Ride?
Katrin: Ich habe zwei Anforderungen an ein E-Mountainbike, da lasse ich nicht mit mir verhandeln. Damit sich ein E-MTB für mich lohnt, muss ich erstens auf meiner Feierabendrunde ein intensiveres Bike-Erlebnis mit mehr Abfahrten in kurzer Zeit haben oder auf einem Bike-Trip über den Tag verteilt mehr Trail-Kilometer sammeln, ohne am Abend komplett im Ar*** zu sein. Zweitens: Das Motorsystem sollte mich dabei möglichst unaufdringlich unterstützen, statt mich durch sein Gewicht einzuschränken. Insgesamt erwarte ich von einem E-MTB somit ein verspieltes und leichtfüßiges Handling, am besten, wie ich es auch von meinem analogen Mountainbike gewohnt bin.
Peter: Und wie waren deine E-MTB-Erfahrungen bisher?
Katrin: Ich habe schon E-MTBs ausprobiert, doch die haben nicht zu meiner Fahrweise gepasst. Ein 25 kg schweres Bike und die entsprechende Leistung waren für mich einfach over the top. Bergab kostet mich ein “ausgewachsenes” E-Bike so viel Kraft im Oberkörper, dass ich am Abend eigentlich genauso fertig bin, wie wenn ich mit meinem analogen Bike fahre. Außerdem hat auf dem E-MTB das Tempo nicht ganz gestimmt:Bergauf musste ich auf meine Freunde mit ihren analogen Bikes Rücksicht nehmen. Bergab musste ich mich selbst zurückhalten, um mit meinen Kräften zu haushalten – das passiert mir auf dem Mountainbike sonst eigentlich nie.

FOCUS Jam² SL 9.9

Wir machen mit Katrin das Experiment und tauschen ihr analoges Bike gegen ein FOCUS Jam² SL. Als Vertreter der neuen Light-E-MTB-Generation soll das Jam² SL das Beste aus zwei Welten vereinen: die Fahrperformance analoger Bikes kombiniert mit einer komfortablen E-Unterstützung. Möglich macht das der neue FAZUA Ride 60-Motor, der speziell für den Einsatz in Light-E-MTBs entwickelt wurde. Durch sein geringeres Gewicht und seine kompakte Bauform soll er sich nur minimal auf die Fahreigenschaften auswirken und dabei den Herstellern gleichzeitig die maximalen Freiheiten bei der Ausgestaltung des Bike-Designs erlauben. Passend zum Motor besitzt das E-MTB einen 430-Wh-Akku, der kleiner und leichter ist als der Akku in Full-Size-E-MTBs. Durch den sparsamen Motor lassen sich damit ähnliche Reichweiten erzielen wie mit deutlich größeren Akkus in den Full-Size-Allroundern.
Trotz E-Unterstützung kommt das FOCUS Jam² SL auf ein Gewicht von nur 18,8 kg in Größe M. Und nicht nur das Handling erinnert dadurch eher an ein analoges Bike, auch optisch muss man schon zweimal hinschauen, um festzustellen, dass es sich beim FOCUS Jam² SL um ein E-MTB handelt. Nur das etwas voluminöse Unterrohr deutet auf den E-Antrieb hin.

Wir haben für Katrin ein Programm aus einer Pflicht und einer Kür zusammengestellt. Der Pflichtteil besteht aus einer langen Tagestour mit vielen Höhenmeter, bei dem auch technische Anstiege zu bewältigen sind. Direkt im Anschluss, noch am gleichen Tag, wollen wir das volle Abfahrtspotential des Light-E-MTBs ergründen und lassen dazu den Akku im Auto liegen. Für den letzten Aufstieg nehmen wir stattdessen die Gondel. Der Akku lässt sich beim FOCUS Jam² SL mit nur wenigen Handgriffen in Sekunden entnehmen. So wird das E-MTB nochmal knapp 2,3 kg leichter und bringt nur noch 16,5 kg auf die Waage. Beste Voraussetzungen für ein Riders-High-Erlebnis bei Katrin.

Am zweiten Tag gehen wir schließlich auf einen kurzen, aber intensiven Trail-Ride, um zu sehen, ob Katrin müde Knochen hat oder ob sie auf dem FOCUS noch genauso abziehen kann wie am ersten Tag.

Tag 1

Peter: Ohne es gefahren zu sein, was ist dein erster Eindruck?
Katrin: Okay, mit dem Bike kann ich mich anfreunden. Es sieht ziemlich modern aus. Bei den E-MTBs, die ich bisher gefahren bin, konnte ich das schwerfällige Handling schon vor der Fahrt im Stand erahnen. Hier ist es hauptsächlich das Unterrohr, das etwas dicker ausfällt. Mal schauen, ob es auch so gut fährt, wie es ausschaut.

Den Flip-Chip in den Kettenstreben drehen wir auf die lange Position, der zweite Flip-Chip in der Dämpferaufnahme dient dazu, dass sich die Geometrie durch die verlängerten Kettenstreben nicht verändert. Die Steuersatzschalen stehen auf einem Lenkwinkel von 64,5°, die verlängerten Kettenstreben und der flache Lenkwinkel dienen beide einem Zweck: dem stabileren Handling bergab. Die lange Position der Kettenstreben hilft zusätzlich bei Kletterpassagen bergauf, indem sie den Schwerpunkt weiter nach vorne verschiebt und so für mehr Traktion unter dem Vorderrad sorgt.

Wir treffen uns auf einem Parkplatz in St.Vigil. Zum Aufwärmen geht es erstmal auf den Col d’Ancona, den Nachbarberg des Kronplatzes. Im Sommer herrscht hier eingeschränkter Liftbetrieb, wir erklimmen die ersten 400 Hm daher mit E-Unterstützung und brauchen dafür nur knapp 15 Minuten. Oben angekommen legen wir einen kurzen Stopp ein, hauptsächlich um den Ausblick zu genießen. Im Rocket Modus leistet der Fazua Motor im FOCUS JAM² SL 60 Nm und schiebt für ein Light-E-MTB doch recht kraftvoll mit an.

Peter: Wie war der erste Aufstieg?
Katrin: Die rosa Stufe (Rocket) schiebt schon ordentlich, so dass ich mich nicht wirklich anstrengen musste. Darum bin ich die meiste Zeit in der blauen Stufe gefahren (River). Kurz bevor wir hier oben angekommen sind, ist das erste Lämpchen ausgegangen. Wenn der Akku weiter so durchhält, wird das ein Tag mit ziemlich vielen Höhenmetern.

Wir nehmen den Piz de Plaies Trail mit richtig vielen Sprüngen und Kurven zurück ins Tal von St.Vigil. Katrin gibt das Tempo vor und wir haben Mühe dranzubleiben. Und das, obwohl sie den recht anspruchsvollen Trail zum ersten Mal fährt. In St.Vigil überreichen wir Katrin die Schlüssel für ihr zweites Testfahrzeug des Tages, einen Porsche Cayenne E-Hybrid mit Heckgepäckträger.

Peter: Wir dachten uns, ein Speedfreak wie du würde schlechte Laune bekommen, wenn wir dich auf oder in ein langsames Vehikel setzen würden. Darum geht es jetzt weiter im Porsche.
Katrin: Und ich darf den jetzt fahren?
Peter: Ja, aber das Bike musst du auch selbst auf den Heckgepäckträger aufladen.
Katrin: Fair enough!

Beim Beladen zeigt sich, dass Katrin nicht nur weiß, wie man Bikes im Heck ihres Ford Transit Campers verstaut, sondern auch, wie man Bikes sicher am Heck transportiert. Hier erweisen sich Light-E-MTBs als besonders benutzerfreundlich und punkten in Sachen Handhabung dank des geringen Gewichts. Aus St. Vigil nehmen wir den Furkelpass zur Talstation Ruis am Kronplatz. Laut Google Maps dauert die Strecke 14 Minuten, Katrin braucht aber nur 11.

Katrin: Vroooom, uii!
Peter: Katrin, chill bitte, wir haben noch den ganzen Tag Zeit.

Wir nehmen uns die Südseite des Berges vor und machen Laps auf dem Furcia Trail sowie die Variation CC Top-Line und den Crazy Bunny. Katrin ist sichtlich begeistert und wir sind uns sicher, dass das nicht nur am perfekten Wetter liegt, das wir für unseren Testzeitraum Ende September erwischt haben.

Wenn Katrin in die Luft geht, ist vom Crazy Bunny Jumptrail nichts mehr zu sehen.
Wird es steiler und anspruchsvoller, nutzt Katrin den Boost-Modus. Dann schiebt das FOCUS Jam² SL kurzzeitig mit maximal 450 Watt Leistung an und bezwingt selbst knifflige Schlüsselstellen.

1200 Hm später, nach unserem dritten Aufstieg auf den Kronplatz – teils über die Schotterstraße, teils über ein kleine Kletterpassage – zeigt das minimalistische Fazua HUB-Display nur noch einen Punkt Akkustand an. Katrins Laune ist immer noch in Hochform und sie ist zu Scherzen aufgelegt.

Katrin: Muss ich ohne Akku bei dem Bike etwas beachten?
Peter: Nee, im Prinzip kommt jetzt das, was du am besten kannst: Mountainbike fahren.

Bergauf geht es diesmal mit der Gondel. Auf den bisherigen Abfahrten hatte Katrin die Möglichkeit, sich mit den über 120 Kurven des Furcia Trails bestens vertraut zu machen. Jetzt geht es darum, sich die Ideallinie ins Gedächtnis zu rufen und die Kurven so schnell und flüssig wie möglich abzuspulen. Dabei muss sich Katrin voll auf den Trail konzentrieren und darf sich von nichts ablenken lassen. Das Vertrauen darauf, dass das Bike funktioniert, hat sie über den Tag verteilt aufbauen können. Während sie noch den ganzen Vormittag zu Späßen aufgelegt war, wirkt sie jetzt allerdings todernst. Wir biegen in den Trail ein. Nach einer langgezogenen Kurve drückt Katrin auf der folgenden Geraden den ersten Sprung weg und pusht das Bike mit viel Körpereinsatz durch drei Wellen, um Speed zu generieren. Wie Katrin den Rest der Abfahrt bestritten hat, muss sie uns als Erfahrungsbericht im Tal wiedergeben, denn nach der ersten Geraden hat sie uns abgehängt.

Peter: Und wie wars?
Katrin: Schnell! Als ich von der offenen Passage oberhalb der Baumgrenze in das trockene Waldstück eingebogen bin, musste ich sogar kurz etwas Tempo rausnehmen, da ich immer wieder vom Licht geblendet wurde. Wäre es heute nicht so hell, hätte ich vielleicht durchgezogen und mir eine Bestzeit geholt.

Peter: Du suchst doch jetzt nur nach einer Ausrede…
Katrin: Nein, wirklich!

Wir belassen es dabei und fahren zurück nach St.Vigil, um unsere Bikes aufzuladen und uns auf den nächsten Tag vorzubereiten.

Tag 2

Für Tag zwei starten wir direkt in St. Vigil und nehmen die entspannten Trails durch den Naturpark Fanes-Sennes-Prags Richtung Pederü und zurück in Angriff. Der Anstieg hat nur eine geringe Steigung, auf knapp 12 km Strecke erklimmen wir 350 Hm. Was den Trails im Vergleich zum Kronplatz an Steigung fehlt, machen sie mit ihrem Naturspektakel wieder wett. Umringt von den steilen Klüften der angrenzenden Berge durchziehen der Vigilbach und ein verwinkelter Trail das Hochplateau. Wir drehen den Flip-Chip in den Kettenstreben wieder zurück auf die ursprüngliche kurze Position, um mehr Agilität aus dem FOCUS JAM² SL rauszukitzeln.

Katrin sprintet los, als ob ihr gerade jemand die QOM-Bestzeit auf ihrem Hometrail in Innsbruck geklaut hätte. In zwei aufeinanderfolgenden offenen Schotterkurven drückt sie das FOCUS Jam² SL in eine tiefere Schräglage, als uns das in so manch gut gebauten Anliegern gelingt und verschwindet aus unserem Blickfeld.

Peter: Können wir einen Tick langsamer machen!? Den High-Speed-Test haben wir doch schon gestern durchgezogen und über 25 km/h hilft dir der Motor ja auch nicht weiter.
Katrin: -.-

Wir setzen den Ride in einer entspannten Gangart fort und fühlen uns etwas schuldig, weil wir Katrin in ihrer Art von “Fun auf dem Bike haben” ausbremsen mussten. Statt vor uns davon zu rasen, nutzt Katrin die Zeit auf dem Bike nun, um Landschaft und Strecke etwas genauer auszukundschaften. Den Blick auf den Trail geheftet entgeht ihr keine Welle oder Wurzel, über die sie gekonnt das Bike in die Luft zieht. Wieder zurück in St.Vigil hat Katrin auf dem flachen Trail am Vigilbach entlang vermutlich genauso viel Airtime gesammelt wie auf der Jumpline am Kronplatz gestern.

Peter: Und wie ist dein Fazit nach zwei Tagen auf dem FOCUS Jam² SL? Hattest du ein Riders-High-Erlebnis?
Katrin: Respekt! Ich hab wirklich nicht damit gerechnet, dass mir ein E-MTB so sehr taugt. So ein Light-E-MTB ist nicht vergleichbar mit einem normalen E-MTB, wie ich es davor probiert habe. Da liegen Welten dazwischen! Ich werde meinem Mountainbike für den Bikepark oder eine einfache Tour schon treu bleiben. Ich könnte mir aber gut vorstellen, für Biketrips mit täglichen Ausfahrten oder die schnelle Feierabendrunde auf ein Light-E-MTB umzusteigen. Gerade im Winter, wenn der Waldboden etwas aufgeweicht ist, kann das Pedalieren zur Tortur werden.
Peter: Apropos Tortur, was machen die Beine jetzt und wie war es unterwegs?
Katrin: Ich merke auf jeden Fall, dass ich echt viel Zeit im Sattel verbracht habe, aber mal im Ernst: Es gab keinen Moment, in dem ich das Bike vor Anstrengung in die Böschung werfen wollte oder so. Selbst in den steilen Anstiegen nicht. Mein Laktatspiegel war niedrig, das Endorphin-Level hoch. Eigentlich könnten wir morgen nochmal eine Runde ranhängen!
Peter: Kommt drauf an, wie viel Aperol wir nachher trinken… 🙂

Durch das leichtfüßige Handling und den natürlichen Motorsupport sorgen Light-E-MTBs nicht nur für ein kurzes Hochgefühl, sondern für langanhaltenden Spaß auf dem Trail. Ob man Team Mountainbike oder Team Light-E-MTBs ist, kann man daher erst wissen, wenn man beides probiert hat. Und in Zukunft wird der Unterschied zwischen beiden Gattungen sogar noch geringer ausfallen. Nach zwei Tagen hat Katrin zwar keine 180°-Kehrtwende vollzogen, wir würden uns aber nicht wundern, wenn wir sie in Zukunft mit einem Light-E-MTB auf ihren Hometrails in Innsbruck entdecken würden.


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Words: Rudolf Fischer Photos: Peter Walker, Julian Lemme

Über den Autor

Rudolf Fischer

In seinem früheren Leben war Rudolf in der Innovationsförderung tätig und hat Patentbewertungen im Millionen- und Milliardenbereich durchgeführt. Heute widmet er sich als Redakteur für DOWNTOWN und E-MOUNTAINBIKE nicht weniger spannenden Aufgaben. Als Data-Nerd beschäftigt er sich intensiv mit Zukunftsthemen wie Connected Mobility, testet aber natürlich auch gerne die neuesten Bikes, und zwar täglich. Entweder beim Pendeln oder zusammen mit dem Team bei unseren großen Vergleichstests. Der technisch orientierte Diplom-Betriebswirt ist so vielseitig wie ein Schweizer Taschenmesser. Beispiele gefällig? Rudolf beherrscht u. a. Front-, Side- und Backflip – zwar nicht auf dem Bike, aber per pedes in der Stadt. Seine Parkour-Karriere hat er mittlerweile jedoch an den Nagel gehängt. Darüber hinaus spricht er Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch und etwas Esperanto. Beim Versuch, sich selbst Japanisch beizubringen, ist er jedoch kläglich gescheitert. Wichtig zu wissen: Im HQ ist Rudolf bekannt, gefürchtet und (manchmal auch) gehasst für seinen trockenen Humor im Ricky-Gervais-Stil. Natürlich lacht er am meisten selbst darüber …