Die Diskussionen um E-Mountainbike-Rennen werden immer euphorischer:
Deutsche Meisterschaft, zentraleuropäische E-Mountainbike World Series, Weltcup mit TV-Coverage – glaubt man Agenturen, Organisatoren und manchem Bike-Hersteller, so gibt es ein riesiges ungenutztes Potenzial für den „Sport E-Mountainbike“. Wir machen den Faktencheck und sagen euch, warum der Tuning-Aspekt das kleinste Problem für Rennserien ist.

Seit Ausbruch des E-Mountainbike-Booms gab es immer wieder Versuche, passende Rennformate für die neuen Sportgeräte zu finden. Die Befürworter solcher E-MTB-Rennen sind sich einig: Jede Disziplin braucht auch ein Wettkampfformat, das die Sportart definiert. Diese Leute werden angetrieben von der Überzeugung, dass Leistung und Performance-Vergleich die Attraktivität einer Sportart erhöhen – und es scheint es nur eine Frage der Zeit, bis spezialisierte Profis auf E-Mountainbikes um Medaillen kämpfen. Doch ergeben Profi-Rennen mit E-Mountainbikes überhaupt Sinn? Haben Wettkampfformate nicht schon den Surf- und Snowboard-Lifestyle ruiniert?

Diskussionen um Amateur-Serien gab es in den vergangenen Jahren mehrmals. Zur selben Zeit wurden von den Organisatoren der führenden MTB-Rennserien diverse Testläufe mit unterschiedlichen Rennformaten durchgeführt: Teilnehmerzahlen von gerade einmal 10 bis 50 Personen – darunter viele Industrie-Vertreter – zeigten jedoch schnell, dass kein reales Interesse vorhanden war. Auch Berichte auf unserer Website hatten ernüchternd geringe Aufrufzahlen.

Aber ist eine Profi-Serie nicht etwas anderes? Schließlich können einige der Probleme und Argumente, die gegen E-Mountainbike-Rennen im Amateurbereich sprechen, in einer Profi-Serie relativ leicht gelöst werden. Während Motor-Tuning bei Amateurrennen kaum in den Griff zu kriegen ist, könnte eine technische Abnahme in Kombination mit einem Parc fermé in einem überschaubaren Profi-Feld durchaus funktionieren. Auch das Problem geringer Teilnehmerzahlen spielt im Profibereich kaum eine Rolle, schließlich finanziert sich eine Profiserie nicht über die Teilnahmegebühr, sondern über Sponsoren. Doch das deutlich größere Problem einer Profi-Rennserie für E-MTBs liegt ganz woanders, nämlich bei den Zuschauern.

Jedes Profi-Rennen verfolgt wirtschaftliche Ziele. Bike-Hersteller, die mit einem Team oder Sponsoring an einer Profi-Serie teilnehmen, erhoffen sich in erster Linie Sichtbarkeit ihrer Produkte, Rennerfolge, die als Verkaufsargumente genutzt werden können, oder Feedback, um ihre Produkte zu optimieren.

1. Rennerfolge als Verkaufsargument

Was macht E-Mountainbike-Racing für den durchschnittlichen E-Mountainbiker spannend? Was bewegt Biker, E-Mountainbikes zu fahren? Ist es der Wettkampfgedanke, das sportliche Streben nach Leistung oder das Erlebnis mit Freunden, Bekannten oder der Familie in Form einer zwanglosen Freizeit-Aktivität? Können 25-jährige B-Fahrer, die es ohne Motor nie in die Profiliga geschafft haben, oder alternde MTB-Profis auf Beschäftigungstherapie wirklich als Idole funktionieren, mit denen sich der Breitensportler identifizieren kann und möchte? Ist Leistungssport überhaupt noch attraktiv und erstrebenswert? Ein Rennen mit Hilfsmotor – wie soll man das einem normalen Menschen vermitteln?

2. Racing-Feedback für die Produktentwicklung

Fragt man Produktmanager der E-Mountainbike-Industrie danach, wie ihre Performance orientierten E-Mountainbikes tatsächlich genutzt werden, dann vernimmt man fast einvernehmlich: als SUV für Schotterstraßen oder als E-Enduros mit Gepäckträger, Schutzblechen, Lichtern und diversen GPS- und Smartphone-Halterungen am Lenker. Nur ein kleiner Bruchteil der heutigen E-Mountainbiker bewegt die E-Bikes in dem Terrain, für das sie gebaut wurden. Produkt-Feedback aus einer Profi-Rennserie für E-Mountainbikes wäre also so hilfreich wie Formel-1-Technologie in einem VW Polo.

3. Sichtbarkeit

Sichtbarkeit erlangt man nicht durch Medienpartnerschaften, sondern durch Zuschauerinteresse. Und genau das ist der am schwierigsten zu verkaufende Punkt. „A hard sell“, würden die Amerikaner sagen. Alle großen Mountainbike-Disziplinen leben aktuell vom Engagement einer Marke, nämlich Red Bull. Die Bike-Industrie ist nicht groß genug, um noch eine Disziplin zu pushen und nachhaltig publikumswirksam groß zu machen. Und wie viele Mountainbike-Sportarten soll es noch geben? Wer Leistung und Leiden sehen möchte, schaut olympisches Cross-Country. Wer Action und Speed sehen möchte, schaut Downhill. Adrenalin und Stunts gibt es bei der Red Bull Rampage und bei Slopestyle-Events; einzigartige Landschaften, taktisches Denken und Action bei der Enduro World Series. E-Mountainbiken lässt sich am ehesten mit dem Enduro-Sport vergleichen und auch dort hat sich gezeigt, dass Racing nicht das probate Mittel ist, um die Attraktivität des Sports zu steigern und Produkte zu verkaufen. Das Interesse an der Enduro World Series ist im Vergleich zum Downhill-Worldcup verschwindend gering.

E-Mountainbiken braucht keine Rennserie, aber Rennserien brauchen E-Mountainbikes. Die Bike-Hersteller verlagern ihre Marketing-Budgets von Mountainbikes auf E-Mountainbikes, darunter leiden natürlich die traditionellen Mountainbike-Disziplinen und Rennen, die sich mit neuen Formaten irgendwie die Zukunft sichern müssen. Der Schritt hin zu einem E-Mountainbike-Rennformat erscheint für viele Veranstalter deshalb nicht nur logisch, sondern überlebenswichtig. Als Organisatoren des E-MOUNTAINBIKE Think Tank und Herausgeber des führenden E-Mountainbike-Magazins, das die Entwicklung von Anfang an begleitet und mitgestaltet hat, erscheint uns der Nutzen eines Rennformats jedoch mehr als fragwürdig.

Falsche Freunde: E-Mountainbike = Mountainbike = Fahrrad

Wer in Marktstudien über das Potenzial „Fahrrad“ liest, muss denken, dass die Möglichkeiten riesig sind. Doch die Realität präsentiert sich ganz anders als die Verkaufsblätter von Agenturen, die das schnelle Geld wittern. Selbst unter Mountainbikern interessiert sich nur eine Minderheit für Wettkämpfe, die Mehrheit nutzt das Fahrrad als Sport- und Spaßgerät in der eigenen Freizeit. E-Mountainbikes sind so erfolgreich, weil sie einer breiteren Masse den Spaß am Radfahren ermöglichen und nicht, weil sie durchtrainierten Athleten ein paar Zusatz-Watt bieten. Gerade einmal 3,5 % unserer Leser (Daten basieren auf Leserumfrage 2017) interessieren sich überhaupt für Rennen, angesichts der Demografie des durchschnittlichen E-Mountainbike-Käufers kaum verwunderlich.

Mountainbiken als Zuschauersport hat sich in der Breite nie durchgesetzt. Angenommen E-Mountainbiken schafft es mit einem innovativen Format, verdrängt den Fußball und dessen Milliardengeschäft an TV-Rechten und wird der große, neue und publikumswirksame Fernseh-Sport – bewirkt das überhaupt, dass Otto-Normal-Bürger sich dann aufs E-Mountainbike schwingt?

Otto-Normal-Bürger verfolgen gerne Dart-Turniere, Skispringen, Biathlon oder Spaß-Formate wie Schlag-den-Raab im Fernsehen – doch kaufen sie sich deshalb in Massen Skier, Sportgewehre oder Dartpfeile? Und es ist mehr als fragwürdig, anzunehmen, dass der unter Alkoholeinfluss werfende Dartspieler in den Eckkneipen jeder deutschen Kleinstadt sich vom professionellen Dart-Tunier im Fernsehen hat inspirieren lassen. Die Relation zwischen TV-Coverage und in die Höhe schießenden Verkäufen ist ein Wunschdenken.

Aber zurück zum Thema: Durch die Unterstützung eines E-Motors werden Mountainbike-Rennen nicht spannender, als sie es heute bereits sind. Schließlich befinden sich durchtrainierte Profis in den meisten Streckenabschnitten ohnehin oberhalb des 25-km/h-Limits. Und auch das Taktik-Element „Akku“ wird den Unterhaltungswert und Spannungsbogen definitiv nicht ins Unermessliche steigern und ein Schlag-den-Raab-Format schlagen. Man schaut ja auch keine Formel 1, weil die Tankstopps so spannend sind. Egal ob XC, DH oder Enduro – das Interesse an Mountainbike-Rennen ist überschaubar und es gibt keinen Grund zur Annahme, dass E-MTB-Rennen auf mehr Interesse stoßen.

Was ist also das Potenzial der E-Mountainbikes?

E-Mountainbiken bietet so viel Potenzial für großartige Geschichten – Geschichten, die Menschen bewegen, inspirieren und faszinieren. Ein Rennformat, bei dem es um puren Leistungsvergleich geht, wäre nicht nur die langweiligste Form, E-Mountainbikes in Szene zu setzen, sondern auch die dümmste. Denn ein Rennformat kann die wahren Möglichkeiten eines E-Mountainbikes gar nicht darstellen. Wären wir in der Schule, wäre der einzige Kommentar des Lehrers zum Deutschaufsatz ein knappes „6 – klarer Fall von Thema verfehlt“. Schließlich ist E-Mountainbiken keine Sportart der Extreme, und kann einem breiteren Publikum deshalb auch nicht durch Extreme schmackhaft gemacht werden. Fußball, ein gelegentlicher Ausflug ins Grüne zum Spielen und Grillen – das sind die Themen des Mainstreams. Übertragen auf das E-Mountainbike heißt die Message: weniger Extremismus!

E-Mountainbiken ermöglicht den Menschen ein neues Leben mit neuen Erlebnis-Möglichkeiten, sei es mit den Freunden, der Familie, auf dem Arbeitsweg oder in Form eines Trail-Abenteuers. E-MOUNTAINBIKE-Redakteur Manfred Schmitt sagt dazu: „Anstatt mit Racing neue Probleme zu erschaffen und mit der Tuning-, Fairness- und Reglements-Problematik die E-Mountainbike-Entwicklung gefährden, würde jeder Player davon profitieren, auf die wahren Bedürfnisse der Zielgruppe einzugehen. E-Mountainbikes sprechen neue Zielgruppen an und deshalb braucht es andere Ansätze für die Vermarktung als bei klassischen Mountainbikes. Alles andere ist Zeit- und Ressourcenverschwendung.

Was also tun? Rennserie ja oder nein?
Wer den Text bis hier hin gelesen hat, kann sich die Antwort denken. Doch viel wichtiger als die Diskussionen um Rennserien ist die Frage, wie man E-Mountainbiken tatsächlich in der Breite kommunizieren und den E-Mountainbike-Kuchen vergrößern kann (viele Händler klagen über extrem schlechte Rendite). Warum kooperiert noch kein Bike-Hersteller mit der stärksten E-Mobility-Marke der Welt – nämlich Tesla? Warum gibt es noch fast keine Kooperationen mit Promis, Fußballstars oder Schauspielern, die darüber berichten, wie E-Mountainbiken ihr Leben verändert hat? Denn Familie, Fitness, Work-Life-Balance, Nachhaltigkeit und Outdoor-Erlebnis sind die aktuellen Boom-Themen der Gesellschaft – E-Mountainbikes passen perfekt zu diesen Trends!

Oder lasst uns über destruktive Geschäftsmodelle nachdenken: Was passiert, wenn Tesla oder Motorenhersteller wie Bosch ein E-Bike/E-Mountainbike launchen – welche Bikemarke ist so stark, sich dem entgegenzusetzen und keine Marktanteile zu verlieren? Oder was passiert, wenn die Tuning-Problematik in einer Profi-E-Mountainbike-Serie das Interessanteste für allgemeine Medien ist und den Sport killt wie die Dopingskandale den Rennradsport? E-Mountainbiken steht vor großen Entscheidungen und erfordert, dass wir jetzt die richtigen Weichen für die Zukunft stellen – der Fokus auf den falschen Themen ist nicht nur Zeitverschwendung, sondern auch gefährlich; das haben wir bei Surf- und Snowboard-Wettkämpfen gesehen.


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Words: Robin Schmitt Photos: Trev Worsey, Isac Paddock

Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.