Am Anfang war das E-Mountainbike. Keiner denkt sich etwas Böses, gerade noch freut man sich über die Neuanschaffung, aber langsam und unaufhaltsam beginnt sich dein Leben zu verändern. Flügelschlag des Schmetterlings, das Chaos nimmt seinen Lauf: Du bist mit dem E-MTB-Virus infiziert, mit dem Ergebnis, dass nichts mehr so sein wird, wie es war. Genau dein Ding, oder?
Das Leben ist Veränderung, oder wie James Yorke, der Vater der Chaostheorie, zusammenfasst: „Wir müssen jederzeit bereit sein, die Pläne zu ändern.“ Was hat das mit uns zu tun? Schließlich haben wir doch nur ein E-Mountainbike gekauft, ein bisschen Fun, Spaß im Trailpark, ein neues Hobby, mehr ist es nicht. Sicher? Lasst euch gesagt sein: Es ist alles, und noch viel, viel mehr. Hier erfahrt ihr, warum E-Mountainbiken euer Leben auf den Kopf stellen wird und woran man das erkennt.
Warnung: Der folgende Text greift zur Kunstform der Satire: Das heißt, Übertreibung als Überhöhung oder die bewusste Bagatellisierung bis ins Absurde wurden in Kauf genommen. Dennoch bleibt: In allem steckt ein wahrer Kern.
Geldbeutel
Gewöhn dich daran: Dein Geldbeutel wird regelmäßig leer sein, und der Stand deines Kontos wird dir Tränen in die Augen treiben. Sobald wieder etwas Geld reinkommt, muss es sofort ausgegeben werden: Die neue Öhlins-Federgabel war schon lange fällig und die atmungsaktiven Racing Pants von Fox dürfen natürlich auch nicht fehlen. Bike, Parts, Schützer, Klamotten – dazu kommen Urlaube, Lift-Tickets für den Bikepark und demnächst muss auch über einen neuen fahrbaren Untersatz nachgedacht werden, siehe Punkt neue Mobilität. Das SILCA Secret Chain Blend-Kettenwachs für schlappe 100 €/kg ist ums Zigfache teurer als das native extra vergine Olivenöl eines 3-Sterne-Kochs. Das Geld dafür sparst du dir wortwörtlich vom Munde ab, indem du abends im Bikepark mal wieder die Ravioli aus der Dose löffelst.
Statussymbole
Früher hat die goldene Rolex Daytona im Juwelier-Schaufenster deinen Blick angezogen, jetzt stehst du zwar noch immer auf hochwertiges Edelmetall, aber stattdessen sind es goldglänzende Ketten für deine sündhaft teure Funkschaltung. Während noch vor Kurzem Anzüge aus feinstem Tuch für dich geschneidert wurden, überraschst du deinen Freundeskreis jetzt in einem Outfit, in dem du als Clowneinlage für einen Kindergeburtstag Furore machen könntest, wenn du in deinen farbenfrohen Lieblings-Bike-Jersey bei einer Gartenparty auftauchst. Apropos Geburtstag: Spätestens, wenn du zu einer Runde After-Ride Bier-einlädst, anstatt ein paar Fläschchen Moët für alle beim Lieblingsitaliener springen zu lassen, merkst du, dass sich dein Leben drastisch verändert hat.
Äußeres Erscheinungsbild
Es war die perfekte Entspannung, sich mal eben bei der Maniküre in den Stuhl fallen zu lassen und die Handmassage zu genießen. Cut. Heute lebst du ganz entspannt mit einem schwarzen Streifen Dreck unter den Fingernägeln. Hygiene ist, wenn du deine Fahrradkette mit einer Zahnbürste pflegst oder neue Tubeless-Reifen massierst, damit sie leichter auf die Felge springen. Wenn du etwas zurechtschneidest, dann sind das die Züge vor dem Cockpit anstatt der Fingernägel. Egal, denn passend zum neuen Gesamtbild trägst du jetzt immer Schürfwunden an den Unterarmen und Ellenbogen wie Trophäen mit dir herum. Selbst die Frisur macht vor dem neuen Lifestyle nicht halt: Früher war ein Besuch inklusive gepflegter Unterhaltung beim Barbershop alle 2 Wochen Pflicht. Heute trägst du einen kleinen Oberlippenbart wie die vielen erfolgreichen Franzosen beim UCI Downhill World Cup. Die Frisur folgt jetzt deiner Mullet-Reifenwahl: Business in the Front, Party in the Back.
Ach ja – du bist in der Form deines Lebens, hast 15 Kilo abgenommen und nutzt den Motor nur noch, um eine Extra-Runde im Bikepark zu drehen, nachdem der Lift schon geschlossen hat. Dabei schwindet das Tageslicht schneller als der Stand deines Akkus.
Verletzungen
Zeige, dass du Mountainbiker bist, ohne zu sagen, dass du Mountainbiker bist: Blaue Flecken und Narben an den Schienbeinen sind deine besten Freunde und machen Tattoo-Studio-Besuche obsolet. Der Lifestyle steht dir auch so ins Gesicht …pardon … an den Beinen geschrieben. Aber was sind schon blaue Flecken, Prellungen und gebrochene Knochen, wenn man mit einem E-Mountainbike über Stock und Stein rauschen kann und neue persönliche Rekorde aufstellt. Narben werden euer neuer Schmuck sein und wie durch stammestypische Initiationsrituale bekennt ihr mit euren Kratzern durch Dornen und spitze Äste stolz die Zugehörigkeit zu einem neuen Tribe.
Seltsame Angewohnheiten
Du bist zu Hause in den Untergrund abgetaucht: Während in vergangenen Tagen die Waschküche klare No-Go-Area war, besitzt du heute ein Arsenal an Reinigungsmitteln, das jeden Tatort-Cleaner neidisch werden lässt. Das Wasserlilien-Limetten-Feinwaschmittel wurde ersetzt durch einen speziellen Ölflecken-Löser, der jetzt Stammgast in der Wäschetrommel ist. Und irgendwo hinter den 5 verschiedenen Lack-Polish- und Rahmenpflegemitteln von Muc-Off findet sich auch noch eine normale Packung Waschmittel – könnte ja mal jemand gebrauchen. Wenn du nicht gerade in der Waschküche in deinem Bike-Laboratorium arbeitest, findet man dich in der Werkstatt, deinem 2. Wohnzimmer, weil es immer eine Kleinigkeit zu schrauben gibt. Kleiner Tipp: Hier darf ein Kühlschrank oder eine Kühlbox für das Feierabend-Bier nicht fehlen, schließlich muss der geschundene Körper ausreichend mit Mineralien versorgt werden.
Dein Interesse für eine „erdige Note“ beschränkte sich bislang nur auf Edel-Weine aus der Toskana. Neuerdings kannst du am Geruch der bloßen Erde feststellen, mit welchem Gelände du es zu tun hast: Wie ein Trüffelschwein erkennst du zielsicher „Hero Dirt“ oder das berühmt-berüchtigte „Black Ice“ – nein, keine neue Deo-Note, sondern die schwarze Erde, die so gut wie gar keinen Grip in Kurven bietet.
Kommunikation
In Englisch standest du immer auf einer schlechten 4 und in Französisch warst du quasi geistig abwesend? Deine Lehrer würden sich wundern: Noch nie hast du eine Sprache so schnell gelernt wie den Bike-Talk. Während du dich früher an den perfekten Formulierungen von Kafka erfreut hast (haben solltest), brillierst du heute am Bike-Stammtisch und kennst 25 unterschiedliche Wörter für das Geräusch, das ein driftender Hinterreifen in der Kurve produziert: braap, skidd, slip, …
Das Treffen mit alten Freunden wird immer häufiger von Kommunikationsbarrieren überlagert: Während sie dir von ihrem Strandurlaub auf Teneriffa erzählen, fragst du, ob es einen Trail vom 3.715 m hohen Pico del Teide bis hinunter zum Strand gibt. Andersherum: Wenn du von deinem Urlaub in Whistler erzählst und wie sich die Entscheidung ausgezahlt hat, vorne einen dicken Assegai aufzuziehen, erntest du nur verständnislose Blicke – und du kannst dir sicher sein, dass du so schnell nicht mehr eingeladen wirst.
Mindset
Noch vor Kurzem hast du Leute vorschnell nach ihrem Aussehen und ihren Klamotten beurteilt, mittlerweile beurteilst du Leute vorschnell nach dem Bike, das sie fahren. Während du Bosch bisher nur mit deinem Akkuschrauber in Verbindung gebracht hast, verfolgst du jetzt die jährlichen Bosch eBike Systems-Produktvorstellungen mit gleicher Begeisterung wie Film-Fans die Oscar-Verleihung. Und klar: Das Wort „Finale“ weckt bei deinen Freunden Assoziationen an die Fußball-WM. Du jedoch schwelgst bei dem Begriff in Erinnerungen an dein letztes Bike-Camp und Party Laps bei Enduro-Rides im letzten Herbst. (Grüße gehen raus an Michi Schneider)
Apropos Medienverhalten: Auf Instagram und Tiktok bekommst du nur noch E-Mountainbike-Content eingespielt und du trainierst so lange Sprünge, bis sie perfekt für die sozialen Medien aufbereitet werden können. Wenn du dann mit schmutzigen Klamotten und breitem Grinsen deinen neuen Airtime-Rekord postest, kannst du dir der Ehrfurcht der Community sicher sein. Hoch hinaus willst du aber nur in den Bergen, denn seitdem du E-Mountainbike fährst, simulierst du akute Flugangst, wenn dein Partner einen gechillten Strandurlaub vorschlägt. Doch der eigentliche Grund ist, dass man mit dem E-Bike-Akku nicht fliegen darf, und so hast du eine höhere Chance, in einen Bike-Urlaub zu fahren, anstatt barfuß in Bali am Strand abhängen zu müssen.
Benzinpreise interessieren dich nicht mehr, sondern nur noch, wie weit man mit einer Akkuladung kommt und ob du es schaffst, das Trailcenter einmal komplett abzufahren.
Neue Mobilität
In der Garage, wo früher dein Cabrio stand und sich alte Zeitschriften *hust* stapelten, findet sich jetzt dein Bike-Stand und eine fein sortierte Werkstatt mit drei unterschiedlichen Kassettenabzieher-Nüssen. Das Cabrio muss vor der Garage parken und wurde schon so lange nicht mehr bewegt, dass du ab und zu vergisst, das Verdeck zu schließen. Die einzige Benzinschleuder mit einer Öffnung nach oben, für die du dich inzwischen begeistern kannst, ist der Toyota Tacoma Pick-up (ggf. mit einer Motorsäge für die Trail-Pflege). Auf den Toyota lassen sich die E-Bikes der ganzen Familie locker in unter 3 Minuten aufladen und du wärst in null Komma nichts in PDS (Frankreich). Mit dem Allradantrieb könntest du es bestimmt sogar noch bis zum Einstieg der verstecktesten Trails hinauf schaffen. Alternativ steht die Anschaffung eines Vans auf der Agenda. Denn du bist erst dann zum vollendeten Mountainbiker mutiert, wenn du abends den Bikepark gar nicht mehr verlassen musst.
Keine Freunde, keine Freizeit, kein Geld! Bist du noch zu retten? E-Mountainbike hat dein altes Leben Stück für Stück, aber gründlich auf den Kopf gestellt. Gut so! Denn nur dann entstehen ganz neue Perspektiven. Und es erschließen sich neue Buddys, neue Prioritäten und neue Horizonte von ganz alleine. Dein Leben war noch nie besser als heute. Du musst los? Ach so, klar – der Bikepark hat gerade aufgemacht!
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Words: Susanne Feddersen, Rudolf Fischer Photos: Illustrationen: Marvin Langner