Künstliche Intelligenz, automatische Notruffunktion, Video-Live-Streaming, Blockchain, Gamification of Bikes, Augmented Reality – wer die Präsentation des neuen Greyp G6 E-Mountainbikes verfolgt (und unseren ersten Test gelesen) hat, weiß, dass die Vernetzung und digitale Transformation des E-Mountainbikes gerade seinen Lauf nimmt. Doch was bedeutet das für uns? Wie viel Technologie brauchen wir an einem E-Mountainbike?

„Mit dem neuen Greyp G6 haben wir es geschafft, das Fahrerlebnis um eine neue Dimension zu erweitern. Die Integration von Sensoren, Prozessoren, Kameras und eSIM-Technologie in das E-Bike sorgt für ein Eco-System, das konstant mit dem Internet verbunden ist und vollkommen neue Möglichkeiten erlaubt. Wir sind der Überzeugung, dass die Präsentation dieses Bikes nicht nur einen Wendepunkt für unsere Firma, sondern auch – alle Bescheidenheit beiseite – für die Industrie darstellen wird“, Mate Rimac, CEO von Greyp Bikes und Rimac Automobili, setzt bei der offiziellen Präsentation des G6 in der kroatischen Hauptstadt Zagreb ein deutliches Signal.

Wir gehören zu den Besten im Bereich Elektronik und Software, also haben wir ein Bike um dieses Know-how herum gebaut.

Greyp Bikes ist ein bis dato fast unbekanntes Unternehmen mit namhaften Investoren wie Porsche und mittlerweile über 60 Mitarbeitern. Rund 30 Designer, Ingenieure und Entwickler treiben die Bike-Entwicklung voran, mit dem Schwerpunkt auf Software und Connectivity und mit einem immensen Know-how in der Batterie-Sparte und der eigenen Akku-Herstellung. Das Schwesterunternehmen Rimac Automobili hat über 600 Mitarbeiter und produziert nicht nur eigene, rein elektrische Supercars, sondern stellt unter anderem Elektro-Antriebe und Batterien für Supercars von Aston Martin, Koenigsegg, Jaguar und Porsche her. Für das G6 hat Greyp Bikes eine Kooperation mit der kroatischen Telekom (Hrvatski Telekom) besiegelt, um das Bike weltweit mit dem Internet zu verbinden.

„Das ist kein Bike, sondern ein Accessoire für dein Smartphone“, dieses radikale Statement von Zvonimir Sučić, CTO Greyp Bikes, zeigt, was passieren kann, wenn ein Tech-Unternehmen ein E-Bike entwickelt. CEO Mate ergänzt: „Wir gehören zu den Besten im Bereich Elektronik und Software, also haben wir ein Bike um dieses Know-how herum gebaut.“

Der Purist vs. den Technologie-Geek

Wir haben die Teammitglieder unserer Redaktion gefragt, was sie von der Digitalisierung und Vernetzung des E-Mountainbikes halten und damit eine große Diskussion losgetreten – im Folgenden lest ihr zwei konträre Meinungen von Redakteur Andreas Maschke und unserem CTO, Aaron Steinke:

Andi, Redakteur, Abenteurer und Purist

„Egal ob Abenteuer oder Overnighter – wenn ich auf dem Bike bin, dann zählt vor allem eines: Minimalismus. Ohne viel Schnickschnack und Bling-Bling bevorzuge ich, den Trail und die Landschaft zu genießen, während andere damit beschäftigt sind, das nächste Foto für Instagram zu knipsen. Durch eine zunehmende Vernetzung fürchte ich, dass man durch immer mehr Technologie stärker abgelenkt ist und seine Umgebung deutlich weniger wahrnimmt. Man ist einfach sehr viel mit dem Display beschäftigt bzw. kümmert sich um zusätzliche Dinge, die man eigentlich gar nicht braucht oder will. Für mich ist klar: Eine Informationsflut führt zwangsläufig dazu, dass es mehr Energie kostet, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Zudem besteht die Gefahr, dass Technologien und Funktionen per se integriert werden – egal ob sinnvoll oder nicht, und dass man diese mitbezahlt, mit sich rumschleppt, sich darum kümmern muss und im schlimmsten Fall keine Alternativen mehr hat. Aber bitte versteht mich nicht falsch: Auf Touren navigiere ich auch nicht mehr mit Papierkarte, eine Karten-App auf dem iPhone darf es schon sein. Auf die richtige Dosis kommt es an. Ich denke, man muss sich ein paar generelle Frage stellen:

Kann ein E-Mountainbike überhaupt puristisch sein? Jein, denn mit Motor-Batterie-Einheit, minimalen Interface-Komponenten (kleines Display und kleine Remote) ist eh schon recht viel Technik am Bike. Mir geht es jedoch um Zuverlässigkeit und eine diskrete Integration. Ein integriertes Licht und die Option, via App Einstellungen und Updates durchzuführen, erachte ich als durchaus sinnvoll.

Wie viel Technologie ist zu viel Technologie? Für mich ist die Antwort klar: alles, in das ich extra Zeit und Aufmerksamkeit stecken muss oder was regelmäßig Aufmerksamkeit fordert. Games, Live-Videos und Co mögen manche begeistern, für mich sind das aber unnötige Spielereien, die uns vom Wesentlichen ablenken – nämlich dem Biken, dem Naturerlebnis und dem Flow auf dem Trail. Vor allem dann, wenn das Bike überladen ist, Kabelsalate am Cockpit entstehen und durch die viele Technologie auch deutlich anfälliger für Defekte ist. Stell dir vor, du hast ein tolles Bike voller Technologie und diese versagt – dann ist der Trail-Spaß ganz schnell vorbei. Naja, vielleicht gibt es in Zukunft ja einen mobilen Pannenservice der automatisch gerufen wird … “.

Aaron, CTO, IT-Spezialist und Early-Adopter

„Ich bin fasziniert von den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung; in meinem Alltag messe ich Körper- bzw. Fitnessdaten über Wearable Tech, genauer gesagt einen Smart Ring. Daten sammeln heißt für mich, Optionen zu haben – egal ob für die persönliche Statistik, das Optimieren des Trainings oder für Einsatzzwecke, von denen ich heute noch gar nichts ahne.

E-MTBs bieten die perfekte Basis für technische Spielereien, da sie eh schon Akku und Technik an Bord haben. Der Schritt vom E-MTB zum „Smart-Bike“ ist kleiner als der vom nicht elektrifizierten MTB. Wie bereits gesagt, besitzen moderne E-Mountainbikes bereits sehr viel Technologie. Für die Zukunft erachte ich es jedoch als super wichtig, die Technologien, die wir bereits nutzen, besser zu vernetzen und die Schnittstellen zu vereinfachen – sei es bei der Navigation, Software-Updates, Status-Infos zum „Gesundheitszustand“ des Bikes und dem Austausch von Informationen zwischen einzelnen Anbauteilen.

Ich sehe auch das Bike als eine spannende Gaming-Plattform. Es gibt ja nicht nur zahlreiche Bike-Games fürs Smartphone, sondern auch virtuelle Rennstrecken und Wettkämpfe bei Strava oder Zwift, die auf den Trails oder dem Hometrainer ausgetragen werden. Deshalb stellt sich für mich eher die Frage: Warum das Ganze nicht auf das nächste Level heben?

Ich sehe auch den Motivationsaspekt: Wenn die Technologie bzw. die Gamification dafür sorgt, dass man öfter, höher und weiter fährt, ist das eine gute Sache. Auch kann ich mir vorstellen, dass die faszinierende Technologie neue Zielgruppen aufs Bike bringen wird.

Auch eine direkte Internetanbindung erachte ich als sinnvoll: Stell dir vor, dass du durch ein Software-Update deines Bikes auf einmal neue Funktionen erhältst – wie geil ist das denn?

Das Argument von zu viel Technologie am Bike sehe ich als recht schwach an. Schließlich kann ja jeder für sich entscheiden, ob man auf ein hoch technologisiertes Bike aufspringen will oder nicht; nur weil es eine neue Technologie gibt, muss man sie ja nicht kaufen. Außerdem bin ich der Überzeugung: Minimalismus ist ein Mindset, keine Bike-Eigenschaft – nur weil ich etwas habe, muss ich mich ja nicht davon ablenken lassen. Wer das in der heutigen Zeit nicht beherrscht, hat überall Probleme.“

Ihr seht: Die Digitalisierungs-Frage ist nicht einfach zu beantworten und wird die nächsten Jahre eine große Rolle in der Bike-Entwicklung spielen. Was haltet ihr von der digitalen Transformation im Bike-Bereich? Seid ihr für mehr Technologie am Bike oder bevorzugt ihr Purismus? Schreibt uns an hello@ebike-mtb.com


Hier findet ihr unseren Test zum Grey G6: Erster Test: Greyp G6 – kommt die Künstliche Intelligenz am E-Mountainbike?

Dieser Artikel ist aus E-MOUNTAINBIKE Ausgabe #017

Das E-MOUNTAINBIKE Magazin erscheint auf Deutsch und Englisch im digitalen App-Format. Ladet euch jetzt die App für iOS oder Android und lest alle Artikel auf eurem Tablet oder Smartphone. Kostenlos!


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als E-MOUNTAINBIKE-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, dass der E-Mountainbike-Sport auch weiter ein kostenloses und frei zugängliches Leitmedium hat! Jetzt Supporter werden!

Words: Robin Schmitt Photos: Robin Schmitt, Greyp Bikes

Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.