Das neue Greyp G6 scheint die besten Chancen auf den Titel des innovativsten E-Mountainbikes 2019 zu haben. Während der Präsentation des Greyp G6 in der kroatischen Hauptstadt Zagreb fallen viele spannende Begriffe: Blockchain, Künstliche Intelligenz, Gamification of Bikes, Video-Live-Streaming, Augmented Reality: Wir sind in der Realität angekommen und haben das neue Greyp G6 bereits getestet.

Bevor wir zum Test des neuen Greyp G6 kommen, ist es wichtig, die Hintergründe des kroatischen Newcomers zu erfahren. Deshalb erklären wir in diesem mehrteiligen Artikel, was die super schnellen Hypercars von Rimac Automobili und Greyp Bikes gemeinsam haben und geben einen Ausblick auf die Zukunft von E-Mountainbikes.

Neuland und neue Player: Tech-Firmen verändern die Bike-Industrie

Als die Einladung für den Launch des Greyp G6 E-Mountainbikes bei uns eingeht, sind wir ehrlich gesagt etwas skeptisch. Ein E-Mountainbike aus Kroatien? Von einem uns bisher unbekannten Hersteller? Doch irgendwie scheinen sie zusammenzugehören: Greyp Bikes und Rimac Automobili, der Automobilhersteller, der mit seinen Hypercars alle Ferraris und Lamborghinis dieser Welt hinter sich lässt und mit seiner Software- und Elektronik-Technologie Autohersteller wie Jaguar, Porsche, Koenigsegg, Aston Martin und andere beliefert. Nach etwas Recherche ist klar, dass der Launch in der Heimat des Elektro-Pioniers Nikola Tesla sehr spannend werden kann. Zumal Mate Rimac, Gründer und CEO von Rimac Automobili und – wie wir inzwischen erfahren haben – von Greyp Bikes als der „neue Tesla“ gilt: Was 2008 in einer Garage begann, entwickelte sich innerhalb von 10 Jahren zu einem technologischen Marktführer, bei dem zahlreiche Unternehmen, wie z. B. Porsche, Investoren sind. Mate Rimac selbst ist gerade einmal 30 Jahre alt und kann auf ein Team von mittlerweile über 600 Mitarbeitern blicken!

Für einen Automobilzulieferer ist diese Mitarbeiteranzahl nicht besonders verwunderlich. Doch als wir die Mitarbeiterzahl von Greyp Bikes hören, sind wir sehr überrascht: 62 Personen, wovon über 30 als Ingenieure und Entwickler tätig sind – eine beachtliche Quote, die man in der Bike-Industrie so kaum findet! Interessanterweise sind darunter vor allem Elektro- und Softwareentwickler, und es gibt sogar einen Blockchain-Manager!

Großes Engagement, Professionalität und eine klare Vision sind während des gesamten 3-tägigen Launch-Events überall spürbar. Dass man mit Greyp die Branche verändern will, zeigt sich auch an der Tatsache, dass viele General-Interest-Medien sowie Special-Interest-Medien aus anderen Bereichen wie Fashion, Auto und Elektrotechnologie beim Launch präsent sind. Zusammen mit ein paar Vertretern englischsprachiger Bike-Medien sind wir die einzigen Bike-Fachjournalisten vor Ort. Dieser Ansatz zeigt bereits, wie stark sich die Bike-Industrie in den kommenden Jahren noch verändern wird: Neue Player, neue Technologien, neue Perspektiven!

Factory Tour: Die kroatische Elektro-Revolution von Rimac Automobili

Um Greyp Bikes zu verstehen, muss man erst einmal Rimac Automobili verstehen. Genau das gelingt uns am Firmensitz von Rimac und Greyp, in Sveta Nedelja. Der Name ist allerdings nicht Programm: Denn übersetzt heißt Sveta Nedelja heiliger Sonntag – der Taktzahl und dem Entwicklungshunger zufolge denken und tüfteln die schlauen Köpfe der über 250 Ingenieure sicherlich auch am Wochenende!

Die Firmenführung lässt sich Mate nicht nehmen und er gewährt uns trotz vollem Terminkalender persönliche Einblicke

Als wir auf das Firmengelände fahren, fühlen wir uns wie auf einer Baustelle: Ein neuer Parkplatz wird gerade planiert, die Hallen scheinen ein wenig provisorisch. Bei seiner Begrüßung warnt uns der CEO, Mate Rimac (gesprochen Rimaz), auch gleich vor: Das Team müsse in den nächsten zwei Jahren hier einfach nur überleben, die Firma platze aus allen Nähten, jede Woche kämen neue Mitarbeiter hinzu. Man plane gerade einen Campus mit Hotel, Restaurants, Unterkünften und natürlich Büros und Teststrecken für rund 2.000 Mitarbeiter.

Mate selbst ist eigentlich Ingenieur, findet aber aktuell zwischen Investorengesprächen, neuen Projekten und Deals kaum Zeit, selbst Hand anzulegen. Dafür hat er die Firma umso besser in Griff – mit klaren und ambitionierten Zielen. „Gone Fishing“, das T-Shirt unter Mates Sakko lässt die Firmenkultur erkennen, die man bei Rimac pflegt: Einerseits super professionell und strukturiert – schließlich verkauft man Supercars im Wert von jeweils mehreren Millionen Euro. Andererseits radikal, gegen die Konventionen verstoßend, wenig auf Formalitäten achtend, sehr offen und kreativ. Als wir den eher sterilen Showroom, in dem zwei der insgesamt acht Exemplare des Rimac Concept 1 stehen, verlassen, ist das Start-Up-Flair in der Firma deutlich zu spüren.

Smart Casual – trotz ultra teuren Hypercars herrscht eine lockere Atmosphäre bei Rimac

Eine Mischung aus Silicon Valley, Tüftler-Werkstatt und Marvel-Superhelden weht durch die Büros. Hunde bellen, Skype-Calls und legere Meetings in allen Ecken. Rund 70 % der Supercars werden inhouse entwickelt und gefertigt. So ist man stolz auf die eigene Carbon-Fertigung mit den riesigen Öfen, die Batteriefertigung und natürlich die Software-Entwicklung.

Aktuell haben die Kroaten nur eine Prototypen- bzw. Nestproduktion, neben dem geplanten Campus werden aber aktuell neue Fertigungshallen gebaut: Hier werden dann Produktionslinien entstehen, um 50 Exemplare des Rimac Concept 2 pro Jahr fertigen zu können. Das Concept 2 soll über knapp 2.000 PS verfügen, über 400 km/h Spitze schaffen und in knapp unter 2 Sekunden auf 100 km/h, in 11,8 Sekunden auf 300 km/h beschleunigen.

Wie bereits oben erwähnt ist Rimac nicht nur Automobilproduzent in Kleinserie, sondern vor allem Technologielieferant und zählt zu den Branchenbesten, was Batterietechnologie und Software angeht. Von aktuell fünf neuen Hypercars sind vier mit Rimac-Teilen ausgestattet. In der Batterie-Produktion dürfen wir leider keine Fotos machen und werden stattdessen mit einem „Be careful here, it’s a little dangerous” um Vorsicht gebeten. Das Batterie-Pack für den Aston Martin nimmt Mate selbst in die Hand, reicht es aber nicht weiter: „I can’t give it to you in your hands, it’s high voltage, you have to know where you can touch it“. Klar, dass – vor allem unter Elektronik-Journalisten – sofort Technologie-Gespräche über Laserschweißen, Kühlungssysteme und den C-Koeffizienten (engl. C-Rate) unterschiedlicher Battery-Packs entbrennen. Letzteres gibt an, wie schnell die Energie aus einer Batterie herausgezogen werden kann, er beschreibt also den Entladestrom (bzw. Ladestrom) eines Akkus, bezogen auf seine Kapazität. So verfügt Tesla beispielsweise über einen C-Koeffizienten von 3C bis 4C, ein E-Bike bis zu 1C und die von Rimac gefertigte Batterie für Koenigsegg über 120C! Der Preis nimmt bei steigendem C-Koeffizienten natürlich auch exponentiell zu und hängt stark vom Einsatzzweck der Batterie ab – für die Beschleunigung von Hypercars muss zum Beispiel möglichst schnell möglichst viel Strom bereitgestellt werden.

Die einzelnen Batteriezellen werden nicht inhouse produziert, sondern von Zulieferern wie Samsung oder Panasonic gekauft. Entscheidend ist laut Mate jedoch deren Verarbeitung und Batterie-Management-System (BMS): dem Packaging, dem Batterie-Kühlsystem, sowie der Software. Hier seien die Kroaten Weltspitze, bekommen wir zu hören. Dass der 700-Wh-Akku am Greyp sehr kompakt ist, würden wir später am Abend bei der offiziellen Präsentation sehen. Nach der Batteriefertigung geht es zur Fahrzeugmontage, wo wir neben drei Rimac Concept 1-Modellen auch den Seat Cupra e-Racer sehen, an dem zahlreiche Entwickler tüfteln. Das Problem: Das Auto wurde nicht von Grund auf als Elektroa-Auto entwickelt, sondern muss umgebaut werden, was in unnötigen Kompromissen und Problemen resultiere. Ein Phänomen, das man auch bei vielen E-Mountainbikes kennt. Leider herrscht auch hier Fotoverbot.

Gegen Ende des Firmenbesuchs wandern wir durch zahlreiche Großraumbüros: Hier werden Infotainment-Systeme, Systeme für autonomes Fahren und Elektromotoren entwickelt und zahlreiche Experten tüfteln an Lösungen und Entwicklungen auf den unterschiedlichsten Gebieten.

Mate ist wichtig, klarzustellen, dass sein Geschäftsmodell nicht die Entwicklung exklusiver Technologien ist. Für ihn machen solch hohe Entwicklungsinvestitionen erst dann Sinn, wenn man die Technologie anderen Herstellern anbietet.

Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.