FOCUS überarbeitet gerade wie viele Hersteller die Gewichtsfreigabe und das zulässige Gesamtgewicht der E-MTBs für den Trail-Einsatz. Wir haben mit Mitarbeitern von FOCUS und der Muttergesellschaft Derby Cycles über die Entwicklung von E-MTBs für schwerere Fahrer gesprochen. Welche Hürden gibt es? Wo liegen die Grenzen des Machbaren?

Maurice von Kahlden ist Mitarbeiter bei FOCUS und Testfahrer im Projekt: Systemgewicht 150 kg.

E-MOUNTAINBIKE: Bevor wir tief in das eigentliche Thema einsteigen, könnt ihr euch kurz für unsere Leser vorstellen? Wer seid ihr und was ist eure Aufgabe bei FOCUS bzw. Derby Cycles?

Kai: Hi, ich bin Kai Fischer, der Leiter des Prüflabors von Derby Cycles, und verantwortlich für die hausinternen Prüfungen inkl. Ermüdungsprüfungen, Trommelprüfstand, Fall- und Aufpralltests. Ich kümmere mich auch um das Setup der Prüfstände und darum, dass alle vorgegebenen Normen, externe wie interne, eingehalten werden.

Fabi: Mein Name ist Fabian Scholz. Ich bin der leitende Ingenieur bei FOCUS, das heißt: für die technischen Lösungen und technischen Errungenschaften zuständig. Ich habe quasi den Blick auf alle Projekte und koordiniere sehr viel. Ich kümmere mich zusammen mit Kai um die Erarbeitung der internen Tests, die unsere Bikes durchlaufen.

Patrick: Ich bin Patrick Laprell und fürs Marketing von FOCUS zuständig. Aber eigentlich mache ich von allem ein bisschen was.

Kai Fischer
Fabian Scholz
Patrick Laprell


E-MOUNTAINBIKE: Ihr habt in Kooperation mit der Technischen Universität Hamburg ein Projekt zum Thema zulässiges Gesamtgewicht gestartet. Dabei geht es um die Belastung von E-Mountainbikes auf dem Trail und die reale Belastung, die von schweren Piloten dabei ausgeübt wird. Wie kam das zustande und was sind eure Beweggründe dafür?

Patrick: Wir sehen die Entwicklung des zulässigen Gesamtgewichts als einen wichtigen Prozess an. Wir wollen allen ermöglichen, E-Mountainbikes von FOCUS fahren zu können, und Leute, die unter- oder oberhalb des Durchschnitts liegen, nicht ausschließen. Deshalb ist es eines unserer Ziele, das zulässige Gesamtgewicht unserer E-MTBs auf 150 kg anzuheben.

Kai: Da man die Daten für eine sinnvolle Prüfung auf dem Prüfstand bei solchen Belastungen nicht einfach extrapolieren kann, haben wir Testfahrten mit schwereren Fahrern durchgeführt, um zu sehen, welche Belastungen tatsächlich auftreten. Die Daten dienen uns als vernünftige und realitätsnahe Grundlage für spätere Tests auf dem Prüfstand. Wir haben hier auch schon Erfahrung mit vorherigen Projekten mit z. B. City-E-Bikes gemacht, die gezeigt haben, dass es zu Belastungen kommen kann, die man nicht unbedingt erwarten würde. Aus dieser Erfahrung heraus war für uns klar, dass wir auch im E-Mountainbike-Bereich Lastmessungen unter realen Bedingungen durchführen wollen, aus denen wir unsere hausinterne Prüfung ableiten.

E-MOUNTAINBIKE: Es gibt bereits Tests, die E-Bikes absolvieren müssen, bevor sie überhaupt auf den Markt dürfen: die ISO 4210 und die EN 15194. Ist es dann überhaupt nötig, darüber hinausgehende Tests durchzuführen?

Fabi: Wir testen nach diesen Normen und überfüllen sie jetzt schon, haben aber höhere Anforderungen an E-MTBs, als die Normen vorgeben. In der Realität macht es einen deutlichen Unterschied, ob man ein Systemgewicht von 150 kg mit einem eher passiven Fahrer oder einem sportlich aktiven Fahrer definiert. Bei der klassischen E-Bike-Tour um den See treten andere Lasten auf als bei einem anspruchsvollen Singletrail oder im Bikepark. Wir sind der Meinung, dass solche Unterschiede nur mit Testfahrten abgebildet werden können, und haben deshalb unsere hauseigenen Tests durchgeführt. Dabei geht es uns in diesem Projekt um dem sportlichen Trail-Biker, der ggf. auch mal im Bikepark unterwegs ist.

Unsere Messungen haben ergeben, dass E-Mountainbikes auf dem Trail bis zu 50 % höhere Belastungen aushalten müssen, als die aktuelle Norm vorschreibt.

E-MOUNTAINBIKE: Das heißt also, dass es aktuell keine Norm gibt, die speziell für E-Mountainbikes entwickelt wurde und die Belastungen von Trail-Fahrten in irgendeiner Weise abbildet?

Kai: Nein, aktuell gibt es keine Norm für die Einsatzzwecke Enduro und Downhill und schon gar nicht bezüglich des zGG. Ich bin Mitglied im Normenausschuss beim DIN und setze mich dort aktiv dafür ein, dass Normen für Mountainbikes und E-Mountainbikes entwickelt werden. Aktuell gibt es noch keine Norm, die das beschreibt, und also auch keine einheitlichen Prüfverfahren für die Industrie. Es gibt bereits Ansätze, aber solche Normen brauchen einfach Zeit. Ein Problem hierbei ist, dass es keinen linearen Zusammenhang zwischen Fahrergewicht und Belastung am Bike gibt. Wir haben auch schon Tests durchgeführt, bei denen Probanden dabei waren, die zu schwer für die haushaltsübliche Waage und auch für das getestete Bike waren. Teilweise haben sie die niedrigsten dynamischen Lasten verursacht. Dagegen steigt bei solch einem Probanden natürlich die statische Vorlast und die Bremslasten sind überdurchschnittlich hoch. Wenn ich aber mit meinen 100 kg aggressiv fahre, kann ich in manchen Bereichen des Rads deutlich höhere Lasten produzieren. Es kommt insgesamt sehr stark darauf an, wie man fährt und für was man das E-Bike benutzt. Um hier sicherzugehen, muss man immer mit dem schweren und zugleich sehr sportlich aktiven Fahrer rechnen, weshalb es auch immer einen gewissen Puffer gibt, den wir mit einberechnen. Das allerdings übergreifend genau zu definieren, ist schwierig.

E-MOUNTAINBIKE: Wie sehen eure Herangehensweise und euer Prüfaufbau in der Praxis aus?

Fabi: Wir haben erst mal drei Teststrecken definiert, eine Cross-Country-Strecke, eine Singletrail-Runde und eine Bikeparkstrecke, auf denen die unterschiedlichen Belastungen, die beim E-Mountainbiken auftreten können, zu 95 % abgedeckt werden. Genauso wichtig sind unterschiedliche Belastungen im Sitzen und im Stehen bergauf und bergab, sodass möglichst viele verschiedene Szenarien abgebildet werden. Dabei waren wir mit einem JAM2 9.9 DRIFTER mit T.E.C. Pack unterwegs und sind inkl. Messausrüstung auf 25 kg beim Bike gekommen.

Kai: Danach sind wir alle Teststrecken abgefahren mit zwei Kollegen, die inkl. Ausrüstung und Rucksack 125 kg wiegen, und einem Kollegen, der früher Dirt-Jump gefahren ist und inkl. Ausrüstung 115 kg auf die Waage bringt. Wir haben aktiv darauf geachtet, dass die drei Probanden einen unterschiedlichen Fahrstil haben und dass deutlich aggressivere und schnellere Fahrer und langsamere dabei sind, da der Fahrstil einen erheblichen Einfluss auf die verursachten Lasten hat.

Fabi: Als Referenz war ich mit meinen 71 kg noch dabei und bin die Strecken so schnell und aggressiv gefahren, wie ich konnte. Dabei ist genau das passiert, was Kai vorhin schon mal erwähnt hat. Obwohl ich mit Abstand der leichteste Testfahrer war, konnte ich durch meine Fahrweise in manchen Situationen die höchsten Lasten erzeugen.”

Obwohl ich mit Abstand der leichteste Testfahrer war, konnte ich durch meine Fahrweise in manchen Situationen die höchsten Lasten erzeugen.

E-MOUNTAINBIKE: Gibt es noch weitere Erkenntnisse aus eurem Test? Oder Sachen, die euch überrascht haben?

Fabi: Ja. Die Bremslasten, die verursacht wurden, waren extrem – besonders an der Federgabel. Und auch die Sattelstützlasten waren sehr hoch. Auf der anderen Seite waren die gemessenen Lasten am Lenker vergleichsweise gering. Hier decken die bereits relativ alten Normen alles ab, obwohl die Lenker breiter geworden sind. Wir waren in unserem Test mit 760 und 780 mm breiten Lenkern unterwegs.

E-MOUNTAINBIKE: Welche Komponenten limitieren eurer Erfahrung nach das zGG aktuell am stärksten?

Fabi: Wenn es um die einzelnen Komponenten geht, sind es ganz klar die Sattelstützen, Federgabeln und Dämpfer. Wir testen hier alles unabhängig vom Hersteller und nach unseren internen Standards, auch wenn der Komponentenhersteller seine Teile für das vorgesehene Maximalgewicht freigibt. Hier mussten wir auch schon mal Hersteller aus dem Sortiment nehmen, da die Komponenten unseren Anforderungen auf dem Prüfstand nicht gerecht wurden. Aus meiner Sicht als Ingenieur sind die Komponenten allerdings nur ein Faktor. Ebenfalls eine Herausforderung ist die Kinematik des Hinterbaus. Einen Hinterbau zu entwickeln, der für eine 65 kg schwere Person genauso gut funktioniert wie für jemanden, der 125 kg wiegt, ist eigentlich nicht machbar. Hier ist es schwer, die volle Bandbreite an Fahrern mit einem Bike abzudecken. Außerdem kommt man bei schweren Fahrern schnell an die Grenze des maximal erlaubten Luftdrucks in den Federelementen. Je nach Hinterbau kann es dann auch passieren, dass Druck- bzw. Zugstufe nicht mehr ausreichen, um das E-MTB sinnvoll einzustellen.

Kai: Viele Komponentenhersteller hinken wegen noch fehlender Normen den aktuellen Entwicklungen hinterher. Sie sind teilweise überfordert, unsere Anforderungen an Komponenten zu bedienen.

E-MOUNTAINBIKE: Sind Hardtails dann die Lösung?

Fabi: Klar wäre es ein Leichtes zu sagen: Dann entwickeln wir eben nur noch Hardtails. Aber dadurch lassen sich auch nicht alle Probleme lösen. Und ganz ehrlich, wer möchte auf Trails mit einem E-Hardtail unterwegs sein? Der Fahrspaß und die Fahr-Performance eines Fullys sind auf einem ganz anderen Niveau. Aus unserer Sicht ist das also keine Lösung. Wir wollen einer breiten Personengruppe ermöglichen, mit unseren E-MTBs Spaß auf dem Trail zu haben. Dazu gehört auch, dass schwerere Personen die gleichen Produkte fahren können wie leichtere.

E-MOUNTAINBIKE: Wie sieht eure Lösung dann aus?

Fabi: Wir führen viele Gespräche mit Fahrwerkherstellern wie FOX, RockShox und SR Suntour und forcieren das Thema deutlich. Bei Federgabeln sind wir hier schon auf einem guten Weg. Bei Dämpfern ist es schwieriger, weil das Problem nicht nur vom Dämpfer, sondern auch vom Hinterbau des einzelnen Bikes und der Kinematik abhängt. Die beste Lösung aus Sicht eines Ingenieurs ist eigentlich, für verschiedene Rahmengrößen und Fahrergewichte verschiedene Kinematiken zu machen. Wirtschaftlich gesehen ist das Ganze allerdings sehr schwierig, da dadurch E-MTBs deutlich komplexer und teurer werden würden. Wir wollen dem Kunden erst mal deutlich machen, dass es auch stark auf die Nutzungsklasse des E-Bikes ankommt. Wenn der Kunde weiß, in welchem Terrain er sich bewegt, und weiß, in welcher Nutzungsklasse er oder sie unterwegs ist, sind wir schon einen Schritt weiter. Eventuell hilft es schon, ein Bike zu finden, bei dem das zulässige Gesamtgewicht und der Einsatzzweck passen.

E-MOUNTAINBIKE: Kannst du das mit den Nutzungsklassen in Zusammenhang mit dem zulässigen Gesamtgewicht noch etwas ausführen?

Fabi: Das zulässige Gesamtgewicht bezieht sich immer auf ein Bike-Modell, das für einen gewissen Einsatzzweck gemacht und vom Hersteller freigegeben ist. In den Nutzungsklassen ist definiert, was man mit dem jeweiligen Bike machen darf, also z. B. auch, welche Sprunghöhe erlaubt ist, ob man damit überhaupt springen darf usw. Das hat natürlich auch immer direkten Einfluss auf das zGG. Bei einem City-E-Bike treten ganz andere Belastungen auf als im Bikepark und auf Downhill-Strecken. Das ist auch einer der Gründe, warum das zGG bei City- und Trekking-E-Bikes am Markt höher ist als bei vielen E-Mountainbikes.

E-MOUNTAINBIKE: Wo seht ihr das maximale zulässige Gesamtgewicht von E-Mountainbikes in den nächsten Jahren?


Fabi:
Für eine wirklich zuverlässige Aussage braucht es noch deutlich mehr Daten von mehreren Fahrern auf mehreren Bikes. Wenn ich mir unsere aktuellen Daten anschaue, sehe ich das zGG bei sportiver Fahrweise mit 150 kg schon ziemlich am Limit. Um darüber hinauszugehen, müssten Rahmen und Komponenten deutlich stabiler entwickelt und anders konstruiert werden. Dadurch würden die Räder deutlich schwerer werden und wir müssten wir uns mit E-MTB-Gewichten von 27 bis 29 kg zufriedengeben. Die Frage ist, wer so ein Bike wirklich fahren möchte.

E-MOUNTAINBIKE: Noch eine abschließende Frage: Sind Schäden an E-MTBs aufgrund von zu hoher Zuladung eine reale Belastung? Sprich, habt ihr Reklamationen, die auf eine zu hohe Zuladung zurückzuführen sind?

Fabi: Nein, mir ist kein einziger Fall bekannt. Allerdings sind die Räder am Markt ja noch relativ neu, sodass es noch keine Langzeiterkenntnisse gibt. Abwarten und schauen, ob was passiert, ist nicht unsere Intention – wir wollen unsere Räder so sicher wie möglich auslegen. Es lässt sich bei Reklamationen auch nicht immer feststellen, wie schwer der Fahrer tatsächlich ist oder was er mit dem Rad gemacht hat.

Danke euch für das nette und informative Gespräch! Wir finden es ein wichtiges Thema und freuen uns, dass es Leute wie euch gibt, die sich mit dem Thema so intensiv auseinandersetzen und versuchen, die Bike-Branche voranzubringen.


Mehr Informationen über FOCUS findet ihr hier: focus-bikes.com

Text: Jonas Müssig, Illustration: Julian Lemme, Bilder: Focus, Robin Schmitt


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Words & Photos: Jonas Müssig, Julian Lemme