Schwiegermutters Liebling oder Bad-Boy. Specialized hat mit dem Turbo Levo und dem Turbo Kenevo gleich zwei extrem heiße E-Mountainbikes im Angebot. Aktuell steht das Kenevo mit 180 mm Federweg aber noch im Schatten seines “kleinen” Bruders, der auch unseren Vergleichstest in der letzten Ausgabe gewinnen konnte. Aber warum eigentlich? Kann ein E-Mountainbike zu viel Federweg haben? Und welches ist jetzt das Bessere?

Ginge es rein um die Verkaufszahlen und Modellvielfalt, würde das Levo das firmeninterne Duell sofort für sich gewinnen. Allerdings ist dieser Vergleich auch unfair, schließlich gibt es vom langhubigen Kenevo aktuell nur eine Ausstattungsvariante. Um herauszufinden, welches Bike das bessere Gesamtpaket bietet und mehr Fahrspaß auf Adrenalin-Jagd im anspruchsvollen Gelände liefert.

Was ist eigentlich der Unterschied?

Ein Blick auf die Featureliste zeigt zahlreiche Gemeinsamkeiten. Worin unterscheiden sich dann aber das für 6.299 € erhältliche Kenevo aus Aluminium und das mit 7.299 € zweitteuerste Carbon Levo voneinander?

Fangen wir mit den Gemeinsamkeiten an. Specialized setzt bei beiden Bikes auf die aktuelle Version des firmeneigenen Motors, der in Zusammenarbeit mit Brose entstanden ist. Seine Energie zieht der Motor aus identischen, formschön ins Unterrohr integrierten Akkus mit 504 Wh. Am Akku seitlich wird der Ladestand angezeigt. Außerdem verzichtet Specialized bewusst auf ein gängiges Display am Lenker. Stattdessen findet sich dort eine kleine Remote-Bedienung, mit der die Fahrmodi gewählt werden – top!

Beide Bikes rollen auf breiten 27,5” x 2,8” Specialized Butcher-Reifen, die tubeless auf Roval-Felgen montiert sind. Diese sind beim Levo passend zum Hauptrahmen aus Carbon und beim Kenevo aus Aluminium. Gestoppt werden die E-Mountainbikes von kraftvollen SRAM CODE R-Bremsen mit 200er Scheiben vorne und hinten. Ein Magnet an der hinteren Bremsscheibe zeigt das durchdachte Integrationskonzept aller Turbo-Modelle. Der Geschwindigkeitssensor ist crashsicher und nahezu unsichtbar in das Ausfallende integriert.

Doch was unterscheidet jetzt die Bikes voneinander? In erster Linie der Federweg und das Gewicht. Der Öhlins TTX 22 M Stahlfederdämpfer generiert satte 180 mm Federweg am Hinterbau des Aluminium Kenevos. Gepaart mit einer 180er RockShox Lyrik RCT3 sollte das potente Fahrwerk ausreichend Reserven auch für super hartes Gelände bieten. Das Levo ist über 2 kg leichter. Zur Gewichtsersparnis tragen der Hauptrahmen und die Felgen aus Carbon, aber auch das Luftfahrwerk bei. Bei den Federelementen des Levos dreht Specialized den Spieß um und verbaut eine Öhlins RXF36 Federgabel mit 150 mm Hub und einen RockShox Monarch RT3 Dämpfer, der dem Hinterbau 135 mm Federweg entlockt. Der Dämpfer hat die Autosag-Funktion, wodurch das richtige Setup kinderleicht ermittelt werden kann. Eine Besonderheit des Kenevo ist die versenkbare Sattelstütze: Die Specialized Command Post WU senkt und hebt sich nicht nur auf und ab, sondern neigt die Sattelspitze dabei auch zusätzlich nach oben. Dadurch soll der effektive Hub am hinteren Teil des Sattels 150 mm betragen. Die Sattelspitze hingegen ragt weit nach oben. Sitzen möchte man auf dem schrägen Sattel dann nicht mehr, was vor allem bei halb abgesenktem Sattel im Uphill störend ist. Aber auch die Stütze des Levo leistet sich Schwächen. Mit nur 125 mm Hub bringt auch sie den Sattel nicht weit genug nach unten.

Specialized Levo FSR Expert Carbon 6Fattie im Detail

Federgabel Öhlins RXF36 150 mm
Dämpfer RockShox Monarch RT3 Autosag 135 mm
Motor/Akku Specialized 1.3 / 504 Wh
Schaltung SRAM X1/X01
Bremsen SRAM Code R
Sattelstütze Specialized Command Post IRcc
Vorbau Specialized Trail 60 mm
Lenker Specialized Trail alloy 780 mm
Laufradsatz Roval Traverse Carbon
Reifen Specialized Butcher GRID Gripton 27,5″ x 2,8″
Gewicht 21,86 kg
Preis 7.299 €

Easy
Mit dem AutoSag-Ventil lässt sich der Dämpfer schnell und einfach auf das Körpergewicht einstellen
Kein Bildschirm, kein Problem
Mit der kleinen Remote werden die Fahrmodi gewählt. Der Ladezustand wird direkt am Akku gezeigt
Geschmeidig
Die Kabelports sind formschön in den Carbonrahmen integriert
Immer griffbereit
Das SWAT-Minitool sitzt gut versteckt, aber immer griffbereit über dem Dämpfer

Geometrie des Specialized Levo FSR

Größe S M L XL
Oberrohr 554 mm 581 mm 611 mm 644 mm
Steuerrohr 95 mm 100 mm 130 mm 150 mm
Lenkwinkel 66,1° 66,1° 66,1° 66,1°
Sitzwinkel 74,2° 73,9° 73,6° 73,3°
Kettenstrebe 459 mm 459 mm 459 mm 459 mm
Radstand 1157 mm 1185 mm 1215 mm 1250 mm
Reach 386 mm 411 mm 430 mm 456 mm
Stack 598 mm 603 mm 630 mm 649 mm

Specialized Kenevo Expert 6Fattie im Detail

Federgabel RockShox Lyrik RCT3 180 mm
Dämpfer Öhlins TTX 22 M Coil 180 mm
Motor/Akku Specialized 1.3 / 504 Wh
Bremsen SRAM CODE R
Schaltung SRAM GX
Sattelstütze Command Post WU
Vorbau Specialized Trail 45 mm
Lenker Specialized Trail alloy 780 mm
Laufräder Roval Traverse alloy
Reifen Specialized Butcher GRID Gripton 27,5″ x 2,8″
Gewicht 23,96 kg
Preis 6.299 €

Super satt
Der Öhlins TTX 22 M Stahldämpfer arbeitet sehr feinfühlig
Gut versteckt
Der Geschwindigkeitssensor ist gut geschützt in die Sitzstrebe integriert. Der zugehörige Magnet ist sicher an der Bremsscheibe befestigt.
Drop it – in the bin
Die WU-Post liefert auf dem Papier zwar 150 mm Hub, schränkt mit ihrer Bauhöhe die Bewegungsfreiheit aber zu sehr ein
Wer braucht schon Schlüssel
Der Akku lässt sich mit einem 6er Inbus ausbauen. Akkuschlüssel zu Hause vergessen – Fehlanzeige!

Geometrie des Specialized Kenevo

Größe S M L XL
Oberrohr 566 mm 597 mm 626 mm 655 mm
Steuerrohr 100 mm 110 mm 120 mm 130 mm
Lenkwinkel 65° 65° 65° 65°
Sitzwinkel 75,2° 74,8° 74,6° 74,3°
Kettenstrebe 443 mm 443mm 443 mm 443 mm
Radstand 1177 mm 1205 mm 1233 mm 1261 mm
Reach 407 mm 431 mm 455 mm 478 mm
Stack 601 mm 610 mm 619 mm 629 mm

Mit welchem Bike komme ich besser auf den Berg?

Beim Wettrennen auf die nächste Berghütte hängt das Levo das Kenevo locker ab. Das straffere Fahrwerk arbeitet effizienter und schluckt weniger Energie als das satte 180 mm Heck des Kenevo. Dadurch hat man das Gefühl mit dem Levo etwas schneller und sportlicher den Berg hinauf zu kommen und genießt obendrein noch die etwas größere Reichweite. Bergauf mit dem E-Mountainbike stehen wir aber nicht sonderlich auf die KOM Jagd. Was zählt, ist der Trailspaß bergab und auch bergauf. Deshalb müssen wir doch etwas tiefer in die Materie abtauchen.

Auf beiden Bikes sitzt man leicht gestreckt in einer sportlich-zentralen Position. Sie ist super ausgewogen, sodass auch entlegene Hütten ohne anschließenden Besuch beim Chiropraktiker erreicht werden können. Biegt man von der Waldautobahn ab und pedaliert die Trails bergauf, ist der geringe Energieverlust durch die Kinematik des Kenevos weniger zu spüren. Der feinfühlige Stahlfederdämpfer generiert beim Rollen über Kanten und Wurzeln mehr Traktion. Mit dem Kenevo meistert man aber trotz mehr Federweg nicht zuletzt wegen der etwas niedrigeren Front und dem Plus an Traktion die steileren Rampen.

Was zählt, ist Fahrspaß!

Sowohl mit dem Kenevo als auch dem Levo hat man am Gipfel die Qual der Wahl, welchen Trail man nehmen möchte. Denn mit beiden Bikes lässt sich nahezu jeder Trail spielerisch meistern. Dafür sorgen nicht zuletzt die ausgewogenen Geometrien. Das Kenevo bietet aufgrund des längeren Hauptrahmens mehr Bewegungsfreiheit nach vorne und hinten. Durch die zentral ins Bike integrierte Position kennt man an Bord des Kenevos keine Überschlagsgefühle. Die Sattelstütze allerdings trübt den Fahrspaß. Durch den geringen Hub und den großen Überstand lässt sich der Sattel nicht tief genug absenken. Obendrein gibt sie laute Geräusche von sich, wenn sie abgesenkt belastet wird.

Auch auf dem Levo steht man klasse in das Bike integriert. Allerdings ist der Hauptrahmen etwas kürzer als beim Kenevo. Deshalb muss etwas aktiver gearbeitet werden um sicher auf Kurs zu bleiben. Andererseits lässt sich zusammen mit dem längeren Vorbau in Kurven spielerisch viel Druck aufs Vorderrad geben. Resultat: Super viel Grip am Vorderrad und extrem schnelle und präzise Richtungswechsel. Der Hinterbau mit 135 mm Federweg ist relativ straff abgestimmt. Dadurch passt auch das Heck trotz weniger Federweg super zum Charakter des Levos. In Kurven sackt es nicht weg und bietet guten Gegenhalt. Diese Kombination macht das Levo zu einem wahren Kurvenräuber. Im direkten Vergleich kann sich das Fahrwerk des Kenevos problemlos als Bügeleisen betiteln. Steine, Wellen und Wurzeln bügelt es einfach glatt und gibt weniger Schläge an den Fahrer weiter. Und das, ohne zu viele Informationen vom Untergrund für sich zu behalten. Dabei fleht es seinen Fahrer förmlich an, schneller zu fahren. Denn erst bei höheren Geschwindigkeiten zeigt das Kenevo, was wirklich in ihm steckt. Offene Highspeedkurven und angsteinflößend weite Sprünge meistert das Kenevo dank des Fahrwerks und der abfahrtsorientierten Geometrie souverän und ohne böse Überraschungen. Aber auch in langsamen technischen Sektionen kann es mit viel Grip und ausreichender Wendigkeit punkten. Die zwei Kilo Mehrgewicht sind spürbar, fallen beim Fahren aber nicht unangenehm auf. Auf dem Trail sorgt der generell niedrige Schwerpunkt beider Bikes für ein klasse Handling in Kurven und Laufruhe im harten Gelände.

Was ist jetzt das Richtige für mich – Levo oder Kenevo?

Um eines vorweg zu nehmen: Beide Bikes glänzen mit ausgewogener Geometrie, durchdachten Features und großartiger Performance auf dem Trail. Das wendige Levo generiert bei aktiver Fahrweise permanent Speed und lässt sich dabei spielerisch ums Eck zirkeln. Wer einen Allrounder sucht, um bergauf effizient unterwegs zu sein und im Downhill nicht nach den allerkrassesten Linien giert, wird mit dem Levo super glücklich. Trotz des Plus an Federweg meistert das Kenevo technische Uphills besser und spielt im Downhill in einer anderen Liga. Verblockte Trails machen mit dem Kenevo in beide Richtungen extrem viel Spaß. Vor Bikeparkstrecken und harten alpinen Trails muss es sich nicht verstecken, ohne auch auf der entspannten Feierabendrunde fehl am Platz zu sein.

Mit seinem Plus an Reserven, mehr Grip und schier endloser Stabilität bei Highspeed zeigt das Kenevo dem Levo, sobald das Gelände härter wird, wer der Boss ist. Obendrein ist es 1.000 € günstiger als der kleine Bruder, verzichtet aber gänzlich auf Carbon. Mehr Gewicht bedeutet in diesem Duell mehr Federweg, mehr Reserven, mehr Speed und vor allem mehr Spaß auf dem Trail – bergauf wie bergab.

Mehr Infos auf specialized.com


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Words: Photos: Valentin Rühl