Man cruist über die Landstraße. Cabrio. Wind in den Haaren. Automatik. Zeit zum Nachdenken. Warum geht das nicht auch mit dem E-Bike? Shimano hat die Auto-Shift-Funktion fürs E-Bike schon länger im Portfolio, aber kaum einer spricht darüber. Lädt das System genauso zum entspannten Cruisen ein oder taugt es auch im Trail-Geschlängel? Wir haben die Automatik-Schaltung fürs E-Bike genauer unter die Lupe genommen und getestet.
Was bedeutet Auto-Shift eigentlich? Das Shimano Auto-Shift-System ist ähnlich wie ein PKW mit Automatikschaltung. Das System überwacht die Fahreraktivität und wandelt verschiedene Sensordaten in die richtige Gangwahl um – und legt diesen Gang dann auch selbsttätig ein. Der E-Bike-Motor und die Schaltgruppe sind dafür eng vernetzt und per Kabel verbunden. Das ergibt ein geschlossenes E-Bike-System aus Motor, Schaltgruppe, Display, Motor- und Schaltungs-Remote. Der Daumen kann mit Auto-Shift bestenfalls vom Schalthebel wegbleiben – wie, wo und wann automatisch geschaltet wird, ist vom Terrain, aber auch von euren Einstellungen abhängig.
Für das Testing des komplexen Systems haben wir uns mit Propain und Shimano zusammengetan und zwei identische Bikes – bis auf Schaltgruppe und Motorsystem – bestellt. Das Propain EKANO 2 AL mit Shimano EP801 Motor und XT Di2 Schaltgruppe, FOX Factory Fahrwerk, RockShox Reverb AXS Dropperpost und Magura MT7 Bremsen. Achtung: Genau so lässt sich das Bike (noch?) nicht bei Propain konfigurieren. Exakt dieselbe Ausstattung, bis auf Motor und Schaltgruppe, hatten wir dann noch in einem EKANO 2 CF. Also Carbon-Rahmen und SRAM-Antrieb.
Die Schalt-Funktionen von Shimano Auto-Shift an der XT Di2 Linkglide
Die Freeshift Funktion – Schalten ohne zu treten, aber nicht im Stillstand
Freeshift beschreibt das Schalten während des Rollens, ohne dabei in die Pedale treten zu müssen. Der Input dafür kommt entweder von euch, also vom Fahrer selbst, oder – während Auto-Shift aktiv ist – vom E-Bike-System. Um den angeforderten Gang einzulegen, dreht der Motor das Kettenblatt selbstständig, bis der neue Gang eingelegt ist. Das sind meist rund 1,5 Umdrehungen am Kettenblatt. Davon bekommt man während der Fahrt quasi nichts mit, außer dem Klacken der Schaltung. Denn ist die Geschwindigkeit zu gering, funktioniert Freeshift nicht mehr – die Gefahr, dass der Motor euch ungewollt vorwärts schiebt, wäre hier zu hoch.
Die Startshift-Funktion – Immer der richtige Gang zum Anfahren
Startshift ist so simpel, wie es klingt. Ihr legt über die E-Tube Ride App einen Start-Gang fest. Sobald das Motorsystem nun merkt, dass ihr verzögert und voraussichtlich zu einem Stillstand kommt, schaltet das System die Gänge bis zum ausgewählten Start-Gang herunter. So habt ihr bei Ampel-Starts oder nach einer kurzen Pause auf dem Trail immer den passenden und vorher festgelegten Gang zum Anfahren eingelegt.
Die Auto-Shift Funktion – Wenn Schalten Nebensache wird
Auto-Shift ist die Königsklasse der Schalt-Helferlein. Hier übernimmt das E-Bike-Motorsystem selbständig die ganze Schaltarbeit. Durch einen Mix aus verschiedenen Sensordaten wie Kurbelumdrehungen, Neigungssensor, Geschwindigkeit und Druck auf dem Pedal (Drehmomentsensor) wählt das E-System den passenden Gang aus und legt ihn ein – vorausgesetzt ihr rollt. Bei Shimano ist das mit dem EP 801 oder EP 6 Motor kombiniert mit einer 11-fach Linkglide Di2 Gangschaltung möglich. Coast- und Startshift funktionieren auch mit der elektronischen Di2 12-fach Gangschaltungen von Shimano. Der Langlebigkeit halber bietet Shimano den vollen Automatikmodus allerdings nur bei der 11-fach Variante an – das kostet gegenüber den 12-fach Hyperglide Kassetten 55% Bandbreite. Das heißt, es bleibt eine Bandbreite von 455% gegenüber den 510%, die bei 12-fach Gruppen üblich sind. Beim E-Bike lässt sich die geringere Bandbreite in der Regel durch den größeren Motorsupport problemlos kompensieren. Laut Shimano sind beim Linkglide-System die Kassette und Kette bis zu 3x haltbarer als die 12-fach Hyperglide Variante.
Die Bedienung der Automatik-Gangschaltung – Von easy bis nerdy
Beim Shimano Automatik-Schaltsystem ist die gesamte Peripherie kabelgebunden. Top: So kann euch nie ein Einzelakku leer gehen, allerdings ist die Optik nicht ganz so clean und aufgeräumt. Die Kabel sind zwar schlanker als reguläre Bowdenzüge, fallen aber dennoch auf. Außerdem hat der Schalthebel rechter Hand noch einen Knopf mehr als die üblichen Verdächtigen zum Rauf- und Runterschalten. Der dritte Knopf ist flach und unauffällig ins Gehäuse integriert und ebenfalls gut mit dem Daumen zu erreichen, ohne die Hand vom Lenker zu nehmen. Über diesen Knopf kann zwischen zwei Automatikmodi und dem manuellen Schaltmodus gewechselt werden. Wobei ihr als Fahrer stets den Auto-Shift-Modus überstimmen könnt.
Die restliche Navigation durchs Menü findet wie gewohnt über die linke Motor-Fernbedienung statt. Hier finden sich fünf Tasten, um die Fahrmodi und Display-Anzeige zu ändern oder Schiebehilfe und Licht an- oder abzuschalten. In Sachen Connectivity verfügt das System über ANT+ und Bluetooth – so lassen sich auch over-the-air Updates durchführen.
Shimano XT Di2 Autoshift im Praxistest
Anpassen der Ride- und Schaltmodi auf die persönlichen Bedürfnisse
Über die E-Tube Ride App von Shimano lassen sich die unterschiedlichen Fahr- und Schaltmodi noch weiter konfigurieren. An Fahrmodi bietet Shimano ganze sieben Stück, die ihr alle auch noch nach euren Vorlieben individualisieren könnt. Weiterhin lassen sich auch beide Auto-Shift-Modi 1 und 2 unterschiedlich konfigurieren und anpassen. Das heißt im Klartext: Wer sich richtig reinfuchsen will und sich zutraut, das System ideal auf die eigenen Bedürfnisse zuzuschneiden, hat bei Shimano gewissermaßen freie Hand und kann das System genau für sich und seine Wünsche konfigurieren. Motor-Fahrmodi können in Sachen Unterstützungscharakter (ECO – Powerful), Drehmoment (20 – 85 Nm) und Motor-Ansprechverhalten (Sanft – Schnell) angepasst werden. Bei den unterschiedlichen Auto-Shift-Modi kann zwischen Asphalt und MTB der Regler gedreht werden. Zudem könnt ihr natürlich die gewünschte Ziel-Kadenz in der App einstellen und die Anstiegsanpassung zwischen schnell und langsam vornehmen – das senkt quasi die Hemmschwelle, bevor das System schaltet. Dadurch schaltet das System immer so, dass ihr möglichst nah an der für euch komfortabelsten Drehzahl treten könnt.
SRAM verfolgt eine andere Strategie: Mit nur zwei Unterstützungsmodi bietet es eine simple Bedienung, aber weniger Möglichkeiten zur Individualisierung. Das macht das SRAM-System gemeinsam mit der geringeren Konfigurierbarkeit in max. Power Output [W], Unterstützung in % und der Ziel-Kadenz weniger universell als das von Shimano.
Verschleiß und laufende Kosten beim Linkglide Auto-Shift-System
Klar – Real-Life-Verschleißmessung ist schwierig und vor allem unter stets unterschiedlichen Bedingungen, denn bei Matsch oder extrem staubigem Trail leidet der Antrieb natürlich deutlich mehr. Darum können wir uns hier nicht auf Erfahrungswerte, sondern nur auf Herstellerangaben beziehen. Hier spricht Shimano von einer 300% haltbareren Kassette bei der Auto-Shift-geeigneten Linkglide (11-fach) als der Hyperglide-Kassette (12-fach). Technisch scheint das – durch den weggefallenen Gang und die dadurch robustere Auslegung – plausibel zu sein. Und selbst wenn mal Ersatz fällig wird. Mit ab rund 80 € für eine neue Kassette (455% Übersetzungsbandbreite) und rund 25 € für die Kette schlägt das nicht besonders hoch zu Buche. Im Vergleich: Die günstigste SRAM T-Type Kassette (520% Übersetzungsbandbreite) beginnt bei rund 200 € und die Kette kommt mit rund 50 € dazu. Klar ist auch: Dafür muss man bei SRAM nicht auf einen Gang und damit 65% Bandbreite verzichten, auch wenn man Auto-Shift nutzen will.
Autoshift im Test auf dem Trail – Wie gut funktioniert Shimano Autoshift im Gelände?
Um die Shimano Auto-Shift-Funktion ausführlich zu testen, haben wir zwei identische Propain Ekano Bikes geordert – einmal mit SRAM und einmal mit Shimano Motor und Antrieb. Und dann sind wir zum ersten Mal mehr Up- als Downhill beim Testing unterwegs gewesen. Das heißt aber nicht, dass wir weniger Trail gefahren sind. Beim Uphill lag der Fokus ebenso auf technisch anspruchsvollen Trail-Passagen wie bergab – wenngleich natürlich die Zubringer meist über Feldwege erfolgt sind.
Vor allem im flachen, wenig technischen Gelände fallen die weichen Schaltvorgänge kaum auf. Der Shimano Motor scheint die Schaltpunkte so zu timen, dass sie stets dann stattfinden, wenn gerade am wenigsten Zug auf der Kette lastet. Bis auf zwei Konstante – Anfangsgang 4 und Wunsch-Kadenz 70 – haben wir beide Schaltmodi A1 und 2 sehr unterschiedlich konfiguriert: A1 steht bei uns voll im Fahrszenario MTB und die Anstiegsanpassung ist in der schnellsten Stufe. Bei A2 haben wir das Szenario ganz Richtung Asphalt gedreht und die Anstiegsanpassung mittig, Richtung schnell.
Ist man auf flachen, gleichmäßigen Forstweg-Uphills unterwegs, machen sich diese Anpassungen schon bemerkbar: Mit eingelegtem A2-Modus ist die Schaltfreudigkeit deutlich geringer. Ein bisschen zu vergleichen mit dem Komfort-Modus im Automatik-PKW: Tritt man mal etwas beherzter aufs Gas, schaltet die Automatik nicht gleich runter. Man tritt länger im selben Gang vor sich hin und gefühlt lässt das System höhere Schwankungen der Kadenz zu. Dagegen ist der A1-Modus wie Sport+ im sportlichen Coupé: Schaut man das Gas nur kurz an, knallt das Auto zwei Gänge runter und der Drehzahlmesser liegt kurz vor dem Begrenzer. Aufs E-Bike übertragen, macht sich das bemerkbar, indem die Gangsprünge häufiger werden – als würde das System etwas zu nervös zwischen Gängen hin- und herwechseln. Tritt man kurz stärker oder schneller in die Pedale, regelt das Schaltwerk fleißig nach und sorgt penibel dafür, dass die Wunschkadenz möglichst passend und flott anliegt. Beim Feldweg-Cruisen ist das wie mit dem Rennwagen in der Fußgängerzone – unangebracht. Biegt man hingegen auf Trail-Uphills ein, lohnt sich der Daumen-Druck, um auf A2 zu wechseln. Das System schafft es, zuverlässig einen passenden Gang einzulegen, um die Motor-Power voll nutzen zu können. So gehen auch steile, technische Climbs, ohne manuell einzugreifen. Bei SRAM gibt es diese zwei Schaltmodi nicht, hier kann die Wunschkadenz dafür schnell am Display angepasst werden – On Trail geht das kaum, aber auf Traversen könnt ihr so zwischen den verschiedenen Schaltmodi wechseln.
Aber wann kommt das System an seine Grenzen? Abwechslungsreiche Abfahrten, gespickt mit abrupten, steilen Gegenanstiegen, kann das System nicht optimal abdecken. Die Antwort darauf ist simpel – die elektrische Schaltung ist nicht mit GPS oder Kartenmaterial gekoppelt, kann also auch keine Anstiege vorhersehen. Und die Reaktionsgeschwindigkeit einer Kettenschaltung ist nun mal limitiert: Um vom schwersten in den leichtesten Gang zu kommen, muss mindestens eine bestimmte Wegstrecke zurückgelegt werden, wenn man die Gänge nicht rücksichtslos reinknallt, wovor die Automatik halt macht. Entspricht der Trail einer Achterbahn, und man kennt den Ablauf, lohnt es sich hier, die Freeshift-Funktion zu nutzen und der Automatik schon vor dem Anstieg auf die Sprünge zu helfen, indem man runterschaltet, während man auf den Anstieg zurollt. So fällt man nicht in den Drehzahlkeller und der Motor kann stets ausreichend Kraft entfalten, um euch zuverlässig den Berg raufzuschieben. Ebenso verhält es sich mit dem Automatik-Modus, wenn man Extremsituationen provoziert: Beispielsweise schnelle Tempo-Änderungen durch eine Vollbremsung. Hier schafft es keiner der beiden Motorsysteme noch rechtzeitig, den vorgewählten Start-Gang zu erreichen – egal in welchem Modus man fährt. Aber lässt man solche Extrem-Szenarien außen vor, funktioniert die Auto-Shift-Funktion tadellos… man kann die Gedanken kreisen lassen oder sich anstatt um Kadenz oder Motor-Power auf den Trail und die nächsten Hindernisse konzentrieren.
Wer profitiert am meisten von der Shimano Auto-Shift-Funktion?
Profiteure von Shimanos Auto-Shift sind klar Einsteiger in den E-Mountainbike-Sport. Es passieren weniger Schaltfehler und man braucht nicht erst selbst ein Gefühl dafür zu bekommen, bei welcher Trittfrequenz der Motor am besten arbeitet – die passende kann ja einfach vorab vom Händler eingestellt werden. Oder zwei verschiedene je nach gewähltem Modus. So liegt zwischen entspanntem Cruisen und sportlichen Trail-Uphills nur ein Daumen-Klick.
Für Fortgeschrittene, die sich darauf einlassen und nicht der Meinung sind, alles besser zu wissen als die Technik, eröffnen sich ebenfalls neue Möglichkeiten. Bei technischen Anstiegen kann man sich anstatt auf Schalten und richtigen Motorsupport rein auf die Linie konzentrieren und wie man diese am besten bewältigt. Geht’s bergab und man kennt schon den Trail-Verlauf, macht außerdem die Freeshift-Funktion Sinn. Gänge einlegen können, ohne dabei treten zu müssen, hilft in technischen Passagen ungemein und beugt Pedalaufsetzern vor. Oder man cruist einfach und denkt an die wichtigen Dinge im Leben – außer Radfahren.
Unser Fazit zur Shimano Auto-Shift-Funktion
Die Shimano Auto-Shift hilft Einsteigern, schneller mit dem neuen E-Bike klarzukommen und dem Motor durch die richtige Trittfrequenz die richtige Power zu entlocken. Gleichzeitig animiert das System zum entspannten Cruisen und Gedanken schweifen lassen, während der rechte Daumen Pause hat. Schwächen treten hauptsächlich in Extremsituationen und dann auf, wenn das System das Gelände nicht vorhersehen kann – hier kann mit Freeshift entspannt eingegriffen werden, auch ohne dabei in die Pedale zu treten.
Mehr Infos unter shimano.com
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Words: Julian Schwede Photos: Mike Hunger