Viele, viele Jahre lang hatten wir einfach Fahrräder. Vielleicht nanntet ihr sie damals schon Bikes oder Räder, aber wie auch immer, die Bedeutung war die gleiche: zwei Laufräder, zwei Pedale, ein Antriebsstrang, ein Sattel – ein Bike eben. So einfach war das Leben. Seitdem hat sich einiges verändert.
Dieses keineswegs böse gemeinte Statement erreichte meine Ohren an einem Sonntag hoch oben am Hang nach einem kurzen, freundlichen Austausch mit einem anderen Mountainbiker. Es gab mir zu denken. Für mich ist mein E-MTB ein Bike, aber zu Hause habe ich natürlich auch ein Bike, das keinen Motor hat – ist das mein normales Bike? Heißt das, ich bin abnormal, wenn ich ein E-Mountainbike fahre? So sehr ich auch nach Individualität strebe, „abnormal“ klingt nicht gerade nach was, das ich in mein LinkedIn-Profil schreiben würde. Und was heißt überhaupt „normal“? Laut Wörterbuch ist es das Übliche oder Gewohnte; das, was man erwartet. Ist es das, was wir sein wollen: wie üblich, wie gewohnt? Wenn Normalität durch die Masse definiert wird, dann lässt die enorme Steigerung der E-MTB-Verkaufszahlen vermuten, dass E-Mountainbikes in naher Zukunft das neue „normal“ sein werden. Doch während der Begriff „normal“ nicht bestimmt, ob etwas gut oder schlecht ist, definiert sich sein Gegenteil, „abnormal“ als anders als das Gewohnte, besonders auf eine als schlecht empfundene Weise. Was E-Mountainbikes angeht, können wir wohl festhalten, dass etwas, das so viel Spaß macht, ja wohl gar nicht schlecht sein KANN.
Wenn nicht-motorisierte Bikes also nicht „normal“ sind, was sind sie dann? Neue Crossover-Bikes wie das Specialized Levo SL sprechen auch immer mehr puristische Mountainbiker an. Dadurch schließt sich die Lücke zwischen E-MTB und MTB immer mehr. Immer öfter sprechen wir über beide Optionen in einem Satz, der sich an dieselbe Kundschaft richtet. Deshalb sollten wir uns dringend Gedanken machen über die Begriffe, die wir verwenden. Die Bike-Industrie liebt neue Wörter: Enduro, Down-Country und Uphill-Flow sind mittlerweile gängig und auch E-Mountainbikes brachten ein eigenes Vokabular mit sich. Aber wir wissen immer noch nicht, wie wir ein Bike ohne Motor nennen sollen.
Naheliegende Möglichkeiten gibt es viele: „klassisches Bike“, „Bio-Bike“ „traditionelles Rad“, „nicht motorisiertes Fahrrad“, „konventionelles Bike“, „stromfrei betriebenes Fahrrad“. Aber passt irgendwas davon wirklich?
Unsere Sprache wächst kontinuierlich, denn als Reaktion auf technologische und gesellschaftliche Entwicklungen muss sich unser Wortschatz erweitern. In einer Welt, die sich permanent verändert, ist Sprachwandel unvermeidlich. Eine kürzlich durchgeführte Befragung ergab, dass 25 % der teilnehmenden Smartphone-Nutzer ihr Handy noch nie für einen Anruf benutzt haben. Wie lange wird es dauern, bis wirklich keiner mehr „Ruf mich an“ sagt, sondern nur noch „Whatsapp mich“?
Instagram, Honk, scrollen, Selfie, Kopfkino, Filterblase und Urban Gardening – all das sind Wörter, die in den letzten Jahren zumindest in den Online-Duden aufgenommen worden sind. Wir dürfen ein nerviges, schlecht erzogenes Kind nun offiziell „Arschlochkind“ nennen, und eine Person, die nur selten, aber dann gutes Fleisch isst, „Flexitarier/in“. Doch so wohltuend es ist, Arschlochkinder endlich auch als solche bezeichnen zu dürfen – das hilft uns jetzt auch nicht bei der kniffligen Frage nach dem passenden Ausdruck für ein nicht motorisiertes Bike. Man würde meinen, angesichts von Hunderttausenden von Wörtern, die wir zur Verfügung haben, könnten wir alles benennen, aber manchmal finden wir nur mühsam einen Ausdruck, der passt.
Während wir uns, statt endlich die Mails zu beantworten, in unserem Kopfkino verlieren oder durch unsere Instagram-Filterblasen scrollen und Selfies von irgendwelchen Honks beim Urban Gardening anschauen, überprüft die Duden-Redaktion emsig neue Wörter; die letzte Ausgabe 2017 enthielt rund 5.000 Neueinträge.
Was ist mit „traditionelles“, „klassisches“ oder „Old-school-Bike“? Offensichtlich sind E-MTBs die modernere Variante unter den beiden, also ist es doch nicht unangemessen, Bikes ohne Motor mit etwas nostalgischem Weichzeichner zu betrachten? Doch das fühlt sich auch schnell falsch an. Stellt euch ein brandaktuelles Pole Stamina Enduro-Bike vor, hergestellt mit raumfahrtwürdiger CNC-Technologie, ausgestattet mit einer kabellosen SRAM AXS-Antriebsgruppe. Passt das Bild zu dem Gefühl, das die Wörter „klassisch“, „traditionell“ oder „old school“ bei euch erzeugen? Es liegen Welten zwischen modernen Mountainbikes und sepiafarbenen Erinnerungen an 80er-Jahre-Kids, die auf Raleigh Griftern skidden, und erst recht liegen Welten zwischen Bikern heute und den vornehmen Herren in wollenen Anzügen auf Hochrädern. Nostalgie passt hier irgendwie nicht.
Was ist mit Bio-Bike? Sind das nach ökologischem Landwirtschaftsstandard hergestellte, nachhaltige Mountainbikes? Wenn es sich auf den Fahrer, der darauf sitzt beziehen soll, dann stellt sich die Frage: Ist der Fahrer auf dem E-Mountainbike etwa nicht biologisch?
Oder was, wenn wir es negativ formulieren? Das technisch korrekte „nicht motorisierte Fahrrad“ liest sich, für sich allein genommen, ganz okay, doch in ganzen Sätzen wird es schnell mühsam. Ein Beispiel: „Das Santa Cruz-Bike ist der neue König unter den Trail-Bikes.“ Und dann stattdessen: „Das nicht motorisierte Santa Cruz-Bike ist der neue König unter den nicht motorisierten Trail-Bikes.“ Wenn Sätze Autos wären, wäre dieser hier ein Fiat Multipla, so richtig hässlich eben.
Treten wir einen Schritt zurück und machen den Realitätscheck: Warum überhaupt ein neues Wort einführen? Denkt z. B. an „vegetarische Wurst“. Warum bezeichnen wir überhaupt etwas Vegetarisches als Wurst? Das klingt doch nach Fleisch, will man das etwa als Vegetarier? Da haben wir die einmalige, aufregende Möglichkeit, ein neues Lebensmittel zu benennen, wie auch immer wir wollen – Tofu-Walze, Veggie-Zylinder, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt –, und wir bleiben einfach bei „Wurst“? Wir wollen nicht, dass unsere nicht motorisierten Bikes das gleiche Schicksal ereilt, denn die brauchen eine Bezeichnung, die so sexy und aufregend ist wie unsere Zweiräder selbst. Deshalb haben wir euch auf Instagram gefragt und ihr hattet absolut erhellende Vorschläge zu bieten, darunter so Bemerkenswertes wie „Bio-Bike“, „Porridge-betrieben“, „wahres“, „Vintage-“ oder „Retro-Bike“, „Slow-Bike“, „Öko-Bike“, „Spaßfrei-Bike“ und „Billig-Bike“, worüber wir zugegebenermaßen lachen mussten. Super fanden wir die simple Idee, die Bezeichnungen MTB und MTB+ zu verwenden, doch da sich der Begriff E-MTB bereits weitgehend durchgesetzt hat, ist der Zug wohl abgefahren.
Vielleicht sollten wir die Ärmel hochkrempeln und das Ganze mit etwas Rock‘n’Roll-Attitüde angehen? Warum lassen wir uns nicht von Gitarren inspirieren und sagen „elektrisches“ und „akustisches Bike“? Erst die Trails rocken auf dem elektrischen Bike, dann weiter unplugged auf dem akustischen? Ich weiß nicht, wie es euch geht – ich fänd’s als T-Shirt-Aufdruck super, aber ich würde mich wie ein Depp fühlen, müsste ich Freunde fragen, ob sie mit mir auf eine „Akustik-Bike-Ausfahrt“ kommen, auch wenn ich die Unplugged-Idee sehr mag. Was bleibt uns also noch? Analog vielleicht? Die Definition stimmt, denn „analog“ bezieht sich auf eine kontinuierliche, stufenlose physikalische Größe, wie z. B. das Pedalieren durch menschliche Muskelkraft, und auch der Gegensatz von digital und analog funktioniert – hurra, wir haben eine Lösung!
Neue Technologien machen es uns sprachlich nicht leicht. Manchmal müssen wir das Gewohnte infrage stellen und selbst mit unzähligen Optionen finden wir oft trotzdem nicht die passenden Worte. Doch wir haben uns entschieden: E-Bikes und analoge Bikes, die Verwirrung hat ein Ende. Perfekt ist es nicht, aber die beste unter all den lausigen Optionen. Sicher werden einige von euch unsere Wahl nicht mögen, aber dass es einen neuen Begriff braucht, wird keiner bestreiten können. Je populärer E-Mountainbikes werden, desto mehr müssen wir uns fragen, wie lange wir Bikes noch Bikes nennen können.
Haben wir was vergessen oder übersehen? Schreibt uns, wie ihr ein analoges Bike nennt. hello@ebike-mtb.com
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