2021 hat zahlreiche innovative E-Mountainbikes geliefert. Parallel fand ein Transformationsprozess in der Branche statt, um die Wettbewerbsfähigkeit während der Corona-Krise zu erhalten. Dabei zeichnen sich neue Trends ab. Wir richten den Blick in die Zukunft und sagen euch, welche E-Mountainbike-Entwicklungen 2022 zu erwarten sind.
Mit Expertenvorhersagen ist es immer so eine Sache: Die Treffgenauigkeit ist oft nicht besser als die von Schimpansen, die mit verbundenen Augen mit Dartpfeilen um sich werfen. Das hat Raven Thorogood III. eindrucksvoll bewiesen, als er sich 1999 mit einem Aktienportfolie unter die ein Prozent der erfolgreichsten Wall Street Broker platzierte, indem er mit Dartpfeilen auf Internet-Companies geworfen hat. Und er war ein Schimpanse. Aber keine Sorge: Wir haben nicht vor, blind ins Blaue hineinzuraten, vielmehr setzen wir auf Erfahrung, Insider-Infos und Entwicklungen, die sich bereits abzeichnen. Denn Zukunft beginnt immer im Jetzt.
20 % mehr Fun?
Wir alle wollen mehr: Mehr Reichweite, mehr Trails und mehr Fun und in 2022 bekommen wir das auch! Im nächsten Jahr wird sich die durchschnittliche Akkukapazität von integrierten Akkus oberhalb von 700 Wh einpendeln. So greift der neue Yamaha PW-X3-Antrieb, der z. B. im neuen Haibike Nduro 7 zum Einsatz kommt, auf einen 750-Wh-Akku zu. Bosch steigert ebenfalls die Akkukapazität und liefert den neuen Performance Line CX Smart System ausschließlich mit 750-Wh-Akku aus. Branchenriese Shimano hält sich mit der Präsentation von neuen Akkus für die Saison 2022 noch zurück, übernimmt aber bereits seit längerem den Service für die Akkus von Drittanbietern, die mit dem Shimano EP8-Antrieb kompatibel sind. Hersteller wie Darfon, Simplo oder BMZ bieten schon seit geraumer Zeit Akkus mit über 700-Wh-Kapazität für Shimano-E-Mountainbikes an. Erst kürzlich hat Norco das E-Mountainbike-Portfolio für 2022 vorgestellt, mit einer 720-Wh- und sogar einer 900-Wh-Akku-Option.
Akkukapazität ≠ Fun
Wer Akkukapazität mit Fahrspaß gleichsetzt, macht eine Milchmädchenrechnung. Die Akkus der kommenden Saison beruhen zum überwiegenden Teil auf Zellen aus der aktuellen Akkugeneration. Das heißt, dass 20 % mehr Akkukapazität auch 20 % mehr Gewicht und mehr Volumen bei den Zellen, also ohne Akkugehäuse, Verkabelung und Controller, bedeutet. Das Akkugewicht und die Positionierung im Rahmen wirken sich signifikant auf den Schwerpunkt der Bikes aus und können das Fahrverhalten massiv beeinflussen. Außerdem müssen die Unterrohre, die die verlängerten Akkus behausen, mitwachsen und können so die Freiheiten bei der Auslegung der Rahmendimension bzw. der Geometrie einschränken. Dabei müssen auch die Handhabung der Akkus und die Stabilität der Rahmen sowie weitere Komponenten mit einkalkuliert werden. Wünscht man sich als Hersteller einen leicht nach unten oder zur Seite entnehmbaren Akku, erfordert das eine noch größere Öffnung im Rahmenrohr. Diese muss an anderer Stelle im Rahmen kompensiert werden, um die Steifigkeit des Rahmens beizubehalten. Entweder werden doppelwandige Rohre gefertigt oder die Wandstärke wächst soweit an, dass der neue Rahmen trotz vergrößerter Akkuöffnung schwerer ist als ohne Öffnung. Darum entscheiden sich manche Hersteller wie Specialized oder GHOST für eine möglichst minimale Öffnung im Rahmen und eine Akkuentnahme entlang der Rohrachse – sprich nach unten. Als Resultat wird man manche von diesen E-Mountainbikes in Zukunft auf die Seite ablegen oder auf den Kopf stellen müssen, um den Akku aus dem Unterrohr zu entnehmen, denn nach unten hin fehlt einfach der Platz. Ein weiteres Problem der langen Akkus ist, dass sie schlichtweg nicht in die Unterrohre von kleinen Rahmengrößen passen. So kommen Freunde der CUBE Stereo Hybrid E-Mountainbikes erst ab Größe M in den Genuss der neuen E-Mountainbikes mit größeren Akkus. Kleinere Fahrer müssen auf die alte Bosch-Generation mit kleinerem Akku zurückgreifen, weil das Bosch-Smart-System aktuell nur mit 750-Wh-Akku-Option kompatibel ist.
Mehr Light-E-MTBs für jedes Gelände
Während sich viele Bike-Hersteller fieberhaft damit beschäftigen, die neuen Herausforderungen der E-Mountainbikes in der 700-Wh+-Liga zu bewältigen, nimmt eine andere Kategorie von E-Mountainbikes gerade Fahrt auf. Der Gegenentwurf für 2022 wird Light-E-MTB lauten. Statt das Akkuwettrüsten von Allround-E-Mountainbikes mitzuspielen, werden in ihnen etwa nur halb so große Akkus verbaut. In vielen, aber nicht allen Light-E-MTBs wird zudem die Motorleistung gedrosselt oder sogar ein eigens für diese Kategorie entwickelter Motor mit vergleichsweiser geringer Unterstützung eingesetzt. Solche Motoren ziehen weniger Strom, sodass die meisten Light-E-MTBs insgesamt einen guten Kompromiss aus Gewicht, Motorleistung und Reichweite erzielen können. Zudem benötigen die kleineren Akkus weniger Bauraum, was den Entwicklern neue Möglichkeiten bei Rahmenkonstruktionen bietet. Das kann sich letztlich nicht nur positiv aufs Gewicht, sondern auch aufs Fahrgefühl und Handling auswirken, das bergab dem von analogen Mountainbikes ähnelt. Specialized hat mit seinem SL-Motor im Levo SL die Kategorie der Light-E-MTBs salonfähig gemacht und Orbea hat mit dem Rise und einem gedrosselten Shimano EP8-Motor sogar in unserem Schwestermagazin ENDURO den Kauftipp in der Kategorie bestes Mountainbike 2021 abgeräumt. Für 2022 bauen einige Hersteller ihr Portfolio an Light-E-MTBs aus und schicken, wie am Beispiel von Specialized oder ROTWILD, gleich mehrere Modelle ins Rennen. Durch das Anwachsen der Standardakkus auf über 700 Wh wird sich die Gattung der Light-E-MTBs von den „großen“ E-Mountainbikes nicht nur im Gewicht stärker abgrenzen, sondern auch in ihrer kompletten Charakteristik. Die leichtfüßigen E-Mountainbikes werden in Zukunft deutlich mehr Anhänger um sich scharen und so auch den Weg für neue Antriebe ebnen. E-Mountainbikes wie das Specialized Kenevo SL oder das knapp 17 kg leichte Transalpes E1 mit einem fast unsichtbaren Maxon Bikedrive Air-Antrieb zeigen, wovon wir nächstes Jahr mehr erwarten können.
Smarte Elektrifizierung
Wären wir Marketingexperten, würde unsere Prognose wohl wie folgt lauten: Eine Technologie, die nicht smart ist, hat im Jahr 2022 nichts mehr verloren – ohne dabei genauer zu definieren, was „smart“ eigentlich bedeutet. Auch wir glauben, dass das Jahr 2022 einen Wendepunkt darstellt, an dem die Generation der verstandslosen E-Mountainbikes ausgedient haben wird, doch wir haben eine sehr konkrete Vorstellung davon, was smart in diesem Zusammenhang bedeutet.
Zum einen geht es darum, eine digitale Infrastruktur zu etablieren, die für zukünftige Features, Updates und die Wartung von den einzelnen Systemen unerlässlich ist. Smarte Antriebe bekommen dadurch z. B. eine Schnittstelle zum Smartphone, werden WLAN-fähig oder erhalten ein eigenes Mobilfunk-Modul. Software-Updates erfolgen dann per Smartphone oder direkt auf dem E-Bike-Display, der Weg zum Händler bleibt erspart. Für die neueste Generation von Bosch-Smart-System-Antrieben ist die Over-the-Air-Updatefähigkeit bereits beschlossene Sache. Für die Software- und Connectivity-Experten von Greyp sind Over-the-Air-Updatefähigkeiten und ein Mobilfunk-Modul bereits ein alter Hut und kommen in allen Modellen, wie z. B. den erst neulich von uns getesteten T5.2, zum Einsatz.
In Alltagssituationen werden smarte E-Bikes anhand von Fahrer- und Bewegungsprofilen erkennen, ob sich der rechtmäßige Besitzer auf dem E-Bike befindet, man das E-Mountainbike für eine Trail-Session an die beste Freundin ausgeliehen hat oder ob sogar ein Diebstahl vorliegt. Dann schlagen die Systeme automatisch Alarm und senden eine Benachrichtigung und den aktuellen Standort auf das Smartphone oder einen Serviceanbieter für Diebstahlprävention.
Für Hersteller, die auf die Motoren-, Akku- und Displaylösungen von Systemintegrator Fit zurückgreifen, oder für die E-Bikes von VanMoof wurden ähnliche Ansätze bereits umgesetzt. Das E-Bike lässt sich mit einem in Reichweite befindlichen Smartphone aus dem Ruhemodus aufwecken und wieder hineinversetzen. Bei den dauerhaft mit dem Internet verbundenen Bikes von Greyp muss man sich dazu nicht mal in der Nähe des E-Bikes befinden.
Die Elektronik innerhalb der Motoren wird im kommenden Jahr ebenfalls viele IQ-Punkte dazugewinnen. Statt einer simplen Motorsteuerung, die vereinfacht gesagt den Fahrerinput misst, vervielfacht und diese Leistung als Output auf das Kettenblatt gibt, wird die Rechnung in Zukunft deutlich komplexer ausfallen und auf mehr Sensoren zurückgreifen. Durch schlaue Algorithmen, vernetzte Sensoren und die vom Fahrer richtig gewählten Voreinstellungen werden die Motoren die Fahrsituationen besser voneinander unterscheiden und präziser vorhersagen können. Entsprechend werden sie ihre Eigenleistung daraufhin anpassen. Auf dem Trail dienen die selben Sensoren dann z. B. zur Sturzerkennung und benachrichtigen einen Notfallkontakt oder Rettungskräfte selbstständig. Bosch bietet mit Help Connect einen Unfallservice solcher Art bereits für einige Modelle an, der aber auf Bikes, die in Verbindung mit der Cobi.BIKE-App gefahren werden, beschränkt ist. 2022 ist aus unserer Sicht der Zeitpunkt gekommen, an dem die Hardware in E-Mountainbikes so weit vorangeschritten ist, dass sich die Hersteller um eine portfolioübergreifende Lösung bemühen werden.
A little less conversation, a little more action – mehr Connectivity und Interaktion mit dem E-Mountainbike
Der Einsatz von zusätzlichen Sensoren und mehr Schnittstellen sorgt für mehr Connectivity, die wiederum zu mehr Interaktionen mit den E-Mountainbikes führen wird. Diese können neue Formen annehmen, sodass in 2022 das E-Mountainbike zur Mama wird: „Es ist kalt draußen, heute musst du mit Glatteis rechnen – und zieh dir eine Jacke an, sonst erkältest du dich!“ Kein Witz: Erst neulich hat uns ein Testbike darauf hingewiesen, dass wir mit Glätte rechnen müssen, den Teil mit der Jacke haben wir zwar hinzu erfunden, aber weit hergeholt ist das nicht (mehr).
In Zukunft werden E-Mountainbikes nicht nur auf eigene Sensoren zurückgreifen, sondern im ständigen Austausch mit dem Smartphone und Wearables stehen, und über Begleit-Apps kontinuierlich die Verfassung von Biker und Umwelt beurteilen. So versuchen Hersteller auch über Software, dem Biker zusätzlichen Nutzen zu stiften. Der innere Monolog des E-Mountainbikes könnte dann wie folgt laufen: „Akku bei 75 %, 32 °C Außentemperatur, Puls konstant bei 140 Schlägen pro Minute und keine Fahrtunterbrechung innerhalb der letzten 30 Minuten. Ich erinnere meinen Fahrer lieber mal daran, etwas Wasser zu trinken und einen Gang runterzuschalten, wir erreichen das Fahrtziel mit noch über 40 % Restakkukapazität und der nächste Termin im Kalender fängt erst in zwei Stunden an.“ Die Meldung könnte auch ein motivierendes „Gib Gas” lauten, falls man sich gerade auf persönlichem Bestzeitkurs befindet und kurz davor steht, den eigenen Streckenrekord zu schlagen. Dann übernimmt das E-Mountainbike nicht nur die Rolle der Mama, sondern auch die des Fitness-Coachs.
Remötley Crüe – neue Remotes und Mini-Display
Bedeutet das jetzt, dass wenn man nur eine entspannte Feierabendrunde mit dem E-Mountainbike drehen will, sich einen Pop-Up-Blocker auf dem Bike installieren muss, um nicht vor dauerhaften Benachrichtigungen bombardiert zu werden? Jein! Klar, es wird die Möglichkeit bestehen, sich wie bei einem Live-Ticker jedes Statusupdate anzeigen zu lassen. Aber die E-Mountainbike-Hersteller haben auch verstanden, dass es Biker gibt, die unterwegs voll in ihre Umwelt und in das pure Bike-Erlebnis eintauchen wollen, ohne gestört zu werden. Das E-Mountainbike soll entsprechend als solches gar nicht mehr wahrgenommen werden und ein so hohes Maß an Komponenten-Integration aufweisen. Darum wird es Zeit, sich in 2022 von klobigen Displays am Lenker zu verabschieden. Specialized zeigt mit dem Mastermind TCU, wie man ein Display mit vielen Infos sauber im Oberrohr integriert, ohne dass dabei irgendwelche Infos verloren gehen. Für Freunde der kompletten Display-Askese bietet Shimano bereits seit Jahren das nur 6 g schwere EW-EN100 Display Dongle an, wie man es vom Orbea Rise kennt. Dabei wird das Display durch eine kleine Dongle ersetzt, die nur einen Knopf, zwei LEDs und eine Bluetooth-Verbindung fürs Smartphone oder Bike-GPS besitzt. Für 2022 werden weitere Hersteller nachziehen, bei Bosch ist man am neuen Smart-System zum ersten Mal nicht auf ein Display angewiesen und kann sich alle Infos auf der Remote ausgeben lassen. Yamaha kombiniert eine Mini-Remote mit einem unscheinbaren Display. Basierend auf dem gleichen neuen Yamaha-System eifert das Team von GIANT der Idee von Specialized nach und integriert seine eigene Display-Lösung ebenfalls auf dem Oberrohr.
Abfahrts-Performance-Extravaganza – die schnellsten E-Mountainbikes aller Zeiten
Für Technik-Geeks und Puristen wird im kommenden Jahr was dabei sein, doch es besteht auch Grund zur Vorfreude für alle E-Mountainbiker da draußen, die auf der Suche nach einem kompromisslos schnellen E-Mountainbike für den Downhill sind. 2022 stellt zwar nicht mehr den Startschuss für performante E-Mountainbikes für die Bestzeitenjagd bergab dar, denn Lapierre hat mit dem Overvolt GLP 2 bereits ein reinrassiges Rennpferd im Stall stehen. Auch andere Hersteller haben ebenfalls ordentlich vorgelegt, wie Specialized mit dem Kenevo SL oder das Team von Mondraker mit ihrem Crafty Carbon XR. Doch die ersten Vorboten einer neuen Generation von E-Mountainbikes, die nur ein spitzes Einsatzgebiet besitzen, und zwar um mit Topspeed den Trail hinabzujagen.
Außerdem werden Hersteller auf smarte Fahrwerke aus der Technik-Trickkiste zurückgreifen. Durch die intelligenten Fahrwerke wird zum einen das Setup des Fahrwerks für weniger versierte Biker zugänglicher und Profis profitieren zum anderen von mehr Infos für eine präzisere Einstellung. Beispielhaft wäre da das AirWiz-System am neuen Trek Rail 9.9 zu nennen, das im kommenden Jahr über eine LED verrät, ob der Luftdruck in der Federgabel und im Dämpfer stimmt. Etwas mehr Infos liefert das Mondraker MIND Telemetrie-System, das die Fahrwerksbewegung während der Fahrt erfasst und aufzeichnet und sogar Vorschläge für die Einstellung von Druck- und Zugstufe liefert.
Die zweite Art von intelligentem Fahrwerk sind elektronische Fahrwerke, die sich je nach Fahrsituation automatisch verstellen. Mit dem E-Live Valve hat FOX bereits ein System vorgestellt, das anhand von Sensoren „versteht“, ob man sich gerade im Uphill oder in der Abfahrt befindet und entsprechend die Druckstufendämpfung steuert. Mit dem Flight Attendant hat RockShox, der zweite Big Player auf dem Fahrwerksmarkt, in der analogen Welt für Aufsehen gesorgt. Ob und wie es an die E-Mountainbikes 2022 kommen wird, ist noch offen. Der Vorteil für die Abfahrtsperformance von analogen Mountainbikes liegt bei Flight Attendant darin, dass Hersteller nun Mountainbikes mit viel Fahrwerksreserven für die Abfahrt entwickeln können, ohne dem Kunden dadurch einen schlechten Kompromiss für den Uphill anbieten zu müssen. Bergauf springen die intelligenten Fahrwerke ein und verwandeln sich vom fliegenden Teppich zu einer straffen Pedalierplattform, die effizient jede Kurbelumdrehung in Vortrieb umsetzt. Ob das System in abgewandelter Form auch am E-Mountainbike Früchte trägt, ist noch offen.
Me, Myself and I – mehr Selbstentfaltung und Selbstdarstellung
Express yourself! Im kommenden Jahr machen es die Hersteller immer leichter, sich ein Unikat zu ordern. In umfangreichen Online-Konfiguratoren bekommt man sein Traumbike mit den passenden Wunschkomponenten (falls sie verfügbar sind). Doch das stellt nur die Spitze des Eisbergs bei der Customization dar. Gern gesehenes Feature ist es, wenn man dazu die Rahmenfarbe, Decals oder kleine Farbakzente auf Komponenten, wie Griffen, Sättel oder Bremskolben, frei wählen kann. Bereits seit längerem geht Orbea im MyO-Konfigurator den Kundenwünschen nach und lackiert einzelne Rahmensektionen in der Wunschfarbe – ohne Aufpreis versteht sich. Trek bietet ebenfalls seit Jahren im Project One-Konfigurator effektvolle Custom-Lackierungen an, wie man sie sonst meist nur auf den Lamborghinis von arabischen Scheichs wiederfindet. Doch gerade die neue Marke SCOR zeigt, wie sich Customization im Jahre 2022 noch einfacher umsetzen lässt. Beim SCOR findet die Individualisierung auf der beiliegenden Rahmenlackschutzfolie statt, die man mit eigenen Schriftzügen und Designs versehen kann. Außerdem hat SCOR versprochen, in regelmäßigen Abständen neue Designs nachzuliefern, wodurch das eigene E-Mountainbike dauerhaft up-to-date bleibt.
Out of Stock – das Problem mit den Verfügbarkeiten
Gerade noch schwärmten wir von individualisierten Traumbikes mit Wunschausstattung, doch die aktuelle Dürreperiode wird in der Bike-Branche noch ein weiteres Jahr anhalten. Bereits Ende 2020 haben wir über die schlechte Verfügbarkeit von Komponenten und leer geräumten Lagern berichtet, und es besteht kein Grund zur Entwarnung. Industrievertreter berichten uns von Durchlaufzeiten von über einem Jahr und einer damit verbundenen Planungsunsicherheit, wie man sie bisher noch nicht kannte. Wer großes Glück hat, muss in 2022 nur mit kleinen Kompromissen bei den Traumspecs mit einer leicht verzögerten Lieferzeit rechnen. Für viele wird es aber heißen: Man muss nehmen, was man kriegen kann. Wer in 2022 unbedingt auf ein neues E-Mountainbike aufsteigen will, sollte vor seinem lokalen Bikeshop ein Zelt aufschlagen und den Lieferwagen mit neuer Ware abpassen. Für Direktversender und Online-Shops sollte man schon mal die Zeigefinger trainieren, damit man beim dauerhaften Drücken der Refresh-Taste im Browser nicht im entscheidenden Moment einen Handkrampf bekommt. Hat man es doch geschafft, irgendwie eines der wenigen E-Mountainbikes in die Finger zu bekommen, kann man sich nicht auf die gewohnte Qualität verlassen. Hersteller mussten auf die Produktions- und Verfügbarkeitskrise flexibel reagieren, Produktionen umschichten und auf neue Fertigungsstandorte hochskalieren. Aufwendige Qualitätssicherungsprozesse hingegen konnten mit der spontanen Umstellung nicht mithalten, sodass momentan mehr Produkte bis zum Endkunden durchrutschen, die nicht den gewohnten Standards entsprechen. Dabei riskieren Hersteller, sich langfristig den Ruf mit unfertigen Produkten zu ruinieren, um die aktuell hohe Nachfrage nach E-Mountainbikes bedienen zu können. Aus unserer Sicht eine Misskalkulation, denn nur wer jetzt in die Qualitätssicherung und den Service rund um das Bike investiert, kann eine starke Kundenbindungen zu den E-Mountainbike-Neulingen aufbauen, die sich auf lange Sicht bezahlt macht.
Die Preisspirale dreht sich weiter – der Preisanstieg für neue E-Mountainbikes
Als Konsument rechnet man mit steigenden Preisen, das ist nicht neu, doch hin und wieder finden bedeutende Preissprünge statt, die sich auf die gesamte Preisentwicklung einer Branche auswirken. Als 2017 das Apple iPhone X für 1.000 $ in der Basisausführung gelauncht wurde, war es über 300 $ teurer als die Vorgängergeneration und durchbrach als erstes Smartphone die 1.000-$-Marke. Unter Technik-Experten, bei der Konkurrenz und selbst bei Apple-Fans rief der Preisanstieg gemischte Gefühle hervor: „Kann man soviel für ein Smartphone verlangen und es wird dennoch gekauft?“ Der Erfolg gab Apple recht und viele Hersteller haben die Preise für ihre Flagship-Smartphones ebenfalls angezogen. Ein vierstelliges Preisschild ruft heutzutage nicht mehr als ein unbeeindrucktes Schulterzucken hervor. Die E-Bike-Branche durchläuft ein ähnliches Szenario: Das neue Preisschild für Top-E-Mountainbikes ist in Zukunft fünfstellig. Als Santa Cruz in 2020 für das Topmodell des Heckler über 13.000 € auf dem europäischen Markt verlangte, hielten das viele noch für einen Ausrutscher. Specialized sprengte in 2021 die 14.000-€-Marke mit den Topmodellen für das Kenevo SL und Levo SL, was auch bei anderen Herstellern die neue Grenze nach oben verschob.
Die neue Preispolitik ist auch in großen Teilen der aktuellen Marktsituation geschuldet. Die Verfügbarkeit von Teilen und selbst Rohstoffen ist gering. Es findet ein Wettbieten um Komponenten und Akkus statt, wobei nicht nur die Produktionskosten gestiegen sind, sondern auch die Logistikkosten und Servicekosten. Die ansteigende Preisspirale macht sich am deutlichsten bei High-End-Bikes bemerkbar, die bei vielen Herstellern die 10.000-€-Marke in 2022 durchbrechen wird. Natürlich wird es auch weiterhin preiswerte Alternativen geben, die wir in unseren Budget-Vergleichstests unter die Lupe nehmen. Wir behalten für euch den ganzen Markt im Auge, versprochen!
Neue Player betreten die Arena – neue Marktakteure, neue Fertigungsverfahren und neue Produktionsstätten
Bisher hatten etablierte Hersteller einen Wissens- und Entwicklungsvorsprung. Außerdem war für die Serienproduktion im großen Stil fast immer eine Connection zu den großen Produktionsstandorten in Fernost notwendig. Doch die Einstiegsbarrieren in den E-Mountainbike-Markt sind sukzessiv gesunken. Das ruft neue Player auf den Plan, darum schafft Platz in eurem Herzen für eure neue Lieblingsbrand, die ihr bisher noch gar nicht kanntet, denn davon werden uns zahlreiche begegnen! Wer sich heutzutage entschließt, ein E-Mountainbike auf den Markt zu bringen, muss das Rad nicht mehr von Grund auf neu erfinden. Zum einen gibt es mehr Motorhersteller denn je, die kompetitive Systeme anbieten. Zum anderen greift man bei den Motorenherstellern nicht nur auf die Motoren und Akkus zurück, sondern kann auch von der Expertise und der extensiven Service-Infrastruktur profitieren. Es ist nicht notwendig, alles über das E-Mountainbike zu wissen und jeden Service drum herum selbst anzubieten, und gerade das gibt den Herstellern Freiräume, um neue Ansätze im Bike-Design zu verwirklichen. Darüber hinaus werden neue und bekannte Fertigungsverfahren für die Bike-Branche adaptiert, wodurch man in manchen Fällen regional ungebunden produzieren kann und keine großen Vorabinvestitionen in eine aufwendige Serienfertigung leisten muss. Beim ADVANCED Reco One Urban-E-Bike konnte man sich so zum Beispiel bei der Entwicklung auf den Rahmen konzentrieren, das Motorensystem liefert Bosch als Komplettanbieter. Das Besondere am Rahmen: Er wird im Spritzgussverfahren innerhalb von nur 90 Sekunden aus einem Verbundwerkstoff-Granulat gegossen. Hat das Reco One das Ende seines Lebenszyklus erreicht, wird der Rahmen wieder zum Granulat geschreddert und kann erneut zu einem neuen Rahmen weiterverarbeitet werden. Da so ein Rahmenherstellungsverfahren sehr schnell und ohne viel manuelle Arbeit abläuft, kann die Produktion leichter an unterschiedlichen Standorten stattfinden: Statt an den Hotspots der Alu- und Carbonindustrie in China und Taiwan wird der Reco One-Rahmen in Deutschland gefertigt. Pole fasziniert seit 2018 mit den in Finnland CNC-gefräßten Alubikes die analoge Mountainbikewelt. Jetzt soll durch die Kooperation mit dem Komplettanbieter Bosch eBike-System der richtige Partner für ein CNC-gefräßtes E-Mountainbike, Made in Europe, gefunden worden sein.
Mehr Porsches und BMWs auf den Straßen
Auch die Automobilbranche hat das Potential von E-Bikes erkannt und springt auf den Mobilitätsmix aus Auto und E-Bike auf. Besonders im urbanen Sektor wird der Einfluss von den Automobilriesen immer spürbarer. Sollte jemand in 2022 meinen, „Ich fahre Porsche“, wird die richtige Reaktion darauf lauten: „Auto oder E-Bike?“ Cyklær lautet das neueste Projekt aus der Zusammenarbeit von Porsche Digital, Fazua, Stork und Greyp. Das E-Gravel-Bike fasziniert mit vielen Features, wie einer Front- und Rückkamera, einer induktiven Ladestation für das Smartphone auf dem Lenker und einer urbanen Ausstattungsvariante mit Gepäckträgern und Lichtanlage. CUBE entwickelt in Zusammenarbeit mit BMW das CUBE Concept Dynamic Cargo-Bike. Das dreirädrige Cargo-Bike zeichnet sich besonders durch seine geniale Neigungstechnologie aus. Ob die Automobiler die urbane Mobilitätswende herbeiführen werden, können wir nicht beantworten, aber uns zumindest hat das neue Cargo-Bike mit Neigungstechnologie umgehauen.
Seid ihr noch nicht bereit dazu, den nächsten Schritt zu gehen und eine neue Brand als eure Lieblingsmarke ins Herz zu schließen? Dann könnte 2022 trotzdem euer Jahr werden, denn: 2022 wird das Jahr sein, in dem die letzten Zauderer ihre ersten E-Mountainbikes ins Portfolio aufnehmen. Nukeproof kam mit dem Megawatt dieses Jahr bereits spät zur Party, doch für 2022 stehen immer noch ein paar Partygäste aus. Einladungen wurden z. B. verschickt an Yeti, Privateer, Pole und viele weitere. E-Mountainbikes sind von sich aus besonders vielseitig und strahlen eine universelle Anziehungskraft aus. Sie kommen gut an bei Jung und Alt, aktiven Sportlern oder entspannten Tourern. Es gibt wenig, was gegen ein E-Mountainbike spricht.
Das Jahr in dem das Trekking-Bike starb – das E-Mountainbike als ultimativer Trekking-Allrounder
Die Elektrifizierung analoger Trekking-Bikes ist gescheitert. Die neueste Generation an E-Mountainbikes ist besonders vielseitig, und genau das wird auch von den Kunden angefragt. Man wünscht sich ein E-Mountainbike für Touren, mit Gepäck und ohne, zum Pendeln, für den Einkauf und auch als Spaß- und Fitnessgerät, mit dem man leichte Trails erkunden kann. Unser Vergleichstest mit den besten und spannendsten Konzepten hat auch gezeigt : Klassische Trekking-Hardtails können den gestiegenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden. Für das Trekking-Jahr 2022 steht ein Paradigmenwechsel bevor. Hersteller werden sich die Vorteile von E-Mountainbikes zunutze machen, um neue, potente Plattformen zu entwerfen, die ein besonders breites Einsatzspektrum bieten. Konkret bedeutet das, E-Mountainbikes mit vollgefederten Fahrwerken, die gleichzeitig mehr Komfort und Fahrperformance liefern, als es bei klassischen Hardtails der Fall war. Profilierte und voluminöse Reifen sorgen für Grip und Sicherheit bei schlechten Fahrbahnbedingungen und bei Nässe und potente Mountainbike-Bremsen sorgen selbst auf langen Abfahrten mit Gepäck für konstante Bremspower. Das Trek Powerfly FS 9 Equipped ist ein Beispiel für die neue Generation von Trekking-E-Bikes, das Schule macht. SCOTT präsentierte auf der diesjährigen Eurobike das neue Patron eRide, ein waschechtes E-Mountainbike, dessen Plattform auch im vielseitigen SCOTT Axis eRide Evo FS Trekking-Bike zum Einsatz kommt. SCOTT wird sicher nicht der einzige Hersteller sein, der seine Hausaufgaben gemacht hat und wir begrüßen diese Entwicklung: Wir haben Bock auf Trekking!
Unser Fazit
Goodbye 2021, es war schön mit dir, hallo 2022. Es stehen uns allen viele Neuheiten ins Haus, wie potente und gleichzeitig besonders vielseitige E-Mountainbikes. Gleichzeitig ist für manche veraltete Technologien und manches Design der Zeitpunkt gekommen, endgültig abzudanken. Auch wenn nicht alle Entwicklungen für das kommende Jahr rosig sind, wie zum Beispiel die Verfügbarkeitsproblematik, starten wir trotzdem mit voller Vorfreude in einen neuen Abschnitt E-Mountainbike-Geschichte.
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Words: Rudolf Fischer Photos: Various