Der französische Riesenkonzern Michelin ist der zweitgrößte Reifenhersteller der Welt, Fahrradreifen tragen dazu aber nur einen winzigen Teil bei. Vom Gummi-Know-how aus dem Automobilbereich scheinen die Bike-Entwickler dennoch zu profitieren: In der EWS werden Michelin-Reifen von einigen Teams wieder sehr erfolgreich eingesetzt und auch im Downhill-Bereich sieht man vermehrt Michelin-Pneus, die aber noch nicht ganz serienreif zu sein scheinen. Auch an E-Mountainbiker denken die Franzosen und haben einen speziellen Reifen im Programm.
Hier findest du alles, was du über Reifen wissen musst: Der beste E-Mountainbike-Reifen – … und der Grund, warum es ihn nicht gibt
Karkasse
Bei Michelin kommen für E-Mountainbiker drei verschiedene Karkassen zum Einsatz. So frei wähl- und kombinierbar wie bei Schwalbe, MAXXIS oder WTB sind sie allerdings nicht, die Karkasse ist dem Einsatzzweck des Reifens angepasst. Den Wild Enduro-Vorderreifen gibt es dementsprechend nur in der schweren Karkassen-Version.
Trail Shield
Trail Shield-Reifen sind für den Toureneinsatz ausgelegt. Die Karkasse besteht aus drei Lagen Karkassengewebe, das zusätzlich von einem dünnen, umlaufenden Pannenschutzgewebe verstärkt wird. In Sachen Gewicht sind die Trail Shield-Reifen im Vergleich mit der Konkurrenz vorne mit dabei, nur Kenda und Continental haben noch leichtere Karkassen. In Sachen Pannenschutz liegen sie in etwa auf dem gleichen Niveau wie die MAXXIS EXO+ Reifen. Am Vorderrad könnten Trail Shield-Reifen also auch auf richtig ruppigen Trails gut zum Einsatz kommen. Schade, dass die Auswahl so beschränkt ist.
Gravity Shield
Der Name ist Programm: Gravity Shield-Reifen sind darauf ausgelegt, der Schwerkraft zu folgen und bergab richtig hart rangenommen zu werden. Dafür setzt Michelin neben den Gewebelagen mit 3 x 60 TPI aus dem Trail Shield noch zusätzlich auf Lagen mit 3 x 33 TPI zur Verstärkung. Die schweren, dicken Fasern treiben zwar das Gesamtgewicht der Karkasse nach oben, bringen dem Reifen aber selbst bei geringen Luftdrücken sehr viel Stabilität in Kurven. Aufgeschlitzte Seitenwände sind auch auf steinigen Trails eine absolute Seltenheit. Im Bereich Durchschlagschutz liegen Gravity Shield-Reifen über Kendas EMC-Karkasse, sind aber nicht ganz so robust wie MAXXIS Doubledown oder Schwalbe Super Gravity – dafür aber auch etwas leichter.
Gravity Shield mit Pinch Protection
Mit Pinch Protection bringt Michelin eine zusätzliche Gewebeeinlage am Reifenwulst des Gravity Shield in die Karkasse ein. Ähnlich wie Apex soll sie den Wulst noch weiter stabilisieren und vor Beschädigungen beim Durchschlagen schützen. Zum Gesamtgewicht des Reifens trägt der zusätzliche Schutz nicht allzu viel bei, trotzdem hebt er die Pannensicherheit der Karkasse auf das nächste Level: deutlich über MAXXIS Doubledown und nur knapp unter Schwalbe Super Gravity. Betrachtet man das Verhältnis von Gewicht zu Durchschlagschutz, ist der Michelin Gravity Shield mit Pinch Protection ganz vorne mit dabei. Schade, dass es diese Karkasse bisher nur beim schnell rollenden Force Enduro gibt.
Gummimischung
Mit Gummimischungen kennt sich Michelin bestens aus dank jahrelanger Erfahrung aus dem Automobilbereich. Um die Bezeichnungen der Compounds zu verstehen, braucht man aber schon fast einen Doktortitel. Bei den Mischungen ist von Single- bis Triple-Compounds alles dabei.
Gum-X2D
Für die Gum-X2D setzt Michelin auf einen Mix aus zwei Gummimischungen. Sie wird vor allem bei den schnell rollenden Reifen Force und Rock’R2 genutzt. Die Mittelstollen mit relativ hartem Gummi verringern den Rollwiderstand und erhöhen die Haltbarkeit. Auf den Seitenstollen kommt die weichere Mischung zum Einsatz, um auch in Kurven ausreichend Halt zu bieten. In Kombination mit den verfügbaren Profilen ist Gum-X2D nur etwas für harte und trockene Böden, im weichen Schlamm fehlt es der relativ hart abgestimmten Mischung an Traktion und Dämpfung. Dafür überzeugt sie auf hartem Untergrund mit viel Stabilität gegen wegknickende Stollen und sorgt für ein direktes Fahrgefühl.
Gum-X3D
Gum-X3D ist der Triple-Compound von Michelin. Der Aufbau ist klassisch mit der härtesten Mischung als Basis, der mittelharten Mischung für die Mittelstollen und dem ganz weichen Gummi für die Seitenstollen. In Sachen Kurvenhalt liegt der Gum-X3D auf sehr hohem Niveau: Trotz sehr viel Traktion geben die weichen Seitenstollen bei allen Profilen erst sehr spät nach. Was den Rollwiderstand angeht, eignen sich Gum-X3D-Reifen auch sehr gut fürs Hinterrad. Auch der Verschleiß der Mittelstollen hält sich in Grenzen, die Seitenstollen hingegen werden schnell etwas „runder“. Auch auf nassem Untergrund reicht das Grip-Niveau der Mittelstollen für sichere Bremsmanöver aus.
Magi-X
Magi-X und Magi-X2 sind die super weichen Compounds von Michelin. Die ältere Mischung Magi-X findet man nur noch am Mud Enduro-Reifen. Die Magi-X2 soll etwas bessere Rolleigenschaften haben und wird deshalb im Wild Enduro-Vorderreifen eingesetzt, wo sie für Grip in allen Lebenslagen sorgt. Auf feuchten Wurzeln überzeugt die weiche Mischung genauso wie auf harten Steinplatten. „Viel Grip“ heißt bei Michelin aber auch: hoher Rollwiderstand und schneller Verschleiß. Deshalb ist die Magi-X²-Mischung wirklich nur am Vorderrad sinnvoll und hebt den Wild Enduro im Vergleich zur Gum-X3D-Version auf das nächste Level.
Profile
Zwei Profile mit dem gleichen Einsatzzweck gibt es bei Michelin nicht. Jeder Reifen ist für ein bestimmtes Terrain ausgelegt und funktioniert auf ihm am besten. Die Wild-Modelle sind dabei die Allrounder im Portfolio.
Wild Enduro Front
Riesige Seitenstollen sind das Erkennungsmerkmal des Wild Enduro Front. Bei ihm dreht sich alles um Grip. Das grobe, offene Profil gräbt sich mit Leichtigkeit in weiche Böden und setzt sich dank guter Selbstreinigung so gut wie nie zu. Am Vorderrad geht es mit dem Wild Enduro Front immer kontrolliert und exakt auf der angepeilten Linie zur Sache. Wer den maximalen Grip im Downhill sucht, kann den Vorderreifen auch am Hinterrad montieren, aber nur in der härteren Gum-X-Version. Wer mehr Wert auf einen geringen Rollwiderstand legt, kombiniert den Wild Enduro Front mit dem Wild Enduro Rear oder dem Force Enduro.
Wild Enduro Rear
Der Wild Enduro Rear ähnelt dem Wild Enduro Front sehr, bei ihm sind die Profilblöcke jedoch etwas flacher gestaltet, um den Rollwiderstand zu verringern. Mit ihm wird es am Hinterrad manchmal etwas wilder. Beim Anfahren in eine Kurve bricht das Heck gerne leicht aus, fängt sich aber super schnell wieder. So geht es im leichten Drift um die Kurve: relativ schnell, stylish und super spaßig. Wer nur einen Satz Reifen für sein Enduro-Bike will, ist mit der vielseitigen Wild Enduro-Kombination bestens beraten.
Wild AM
Der Wild AM basiert auf dem Wild Enduro-Hinterradreifen. Die Profile beider Reifen sind sich sehr ähnlich im Aufbau und in ihrer Charakteristik auf dem Trail. Die etwas flacheren Mittelstollen verleihen dem Wild AM ein ausgezeichnetes Rollverhalten und gehen dennoch nicht zu große Kompromisse bei der Bremstraktion ein. Für Trail-Bikes bietet er sich sowohl am Vorder- als auch am Hinterrad an, auch bei matschigen Bedingungen. Wer allerdings das Maximum im Uphill herausholen möchte, sollte zu einem schneller rollenden Hinterreifen greifen. Dafür überzeugt der Wild AM mit seinen Allround-Eigenschaften und kann auf jedem Untergrund punkten.
E-Wild
Der Michelin E-Wild hat das gleiche Profil wie der Wild Enduro Front-Reifen. Allerdings wurde es bei dem speziell für E-Mountainbikes entwickelten Pneu ordentlich aufgeblasen, wodurch es den E-Wild nur in 2,6” und 2,8” Breite gibt. Vorder- und Hinterreifen unterscheiden sich nicht im Profil, sondern nur in der verwendeten Gummimischung und Karkasse. Dank der zusätzlichen Pinch-Protection-Lage ist das Hinterrad noch stabiler und besser gegen Durchschläge geschützt. Pannen gehören aber sowohl mit dem Vorder- als auch dem Hinterreifen zur absoluten Seltenheit. Wie schon der Wild Enduro Front überzeugt der E-Wild mit Grip in allen Lebenslagen: vor allem auf weichem Untergrund. Bergauf ist er ein echter Kletterkünstler und macht aus so manchem steilen Downhill einen spaßigen Uphill-Parcours. Bei den Themen Spurstabilität und Lenkpräzision kann bereits die 2,6” breite Version nicht mit einem direkten „Plus-Reifen“ wie Contis Der Baron 2.6 Projekt mithalten. In Kompressionen und harten Anliegern sind die super voluminösen 2,6”- und 2,8”-Reifen schwammig und undefiniert.
Force Enduro
Der Force Enduro ist Michelins Spezialist für das Hinterrad. Der super flach profilierte Reifen soll den Rollwiderstand auf langen, quälenden Uphills reduzieren. Die minimalistischen Mittelstollen sind so klein, dass sie auch auf der Bremse nur wenig Traktion bieten können. Besonders bei feuchten Bedingungen wird das Anbremsen mit dem Force Enduro daher zu einer Rutschpartie. Die kleinen Seitenstollen hingegen liefern auf hartem Untergrund ausreichend Traktion, um mit einem Wild Enduro-Vorderreifen geparkt zu werden. Noch bevor die Seitenstollen wegknicken oder der gesamte Force Enduro umklappt, bricht der Hinterreifen aus und driftet kontrolliert. Beim Force Enduro setzt Michelin nicht zuletzt wegen der kleinen Stollen, auf die stabile Gravity Shield-Karkasse mit Pinch Protection.
Mud Enduro
Der Mud Enduro hat die längsten Stollen, die wir je an einem Enduro-Reifen gesehen haben. Der Spezialist für feucht durchtränkte Waldböden kann mit seinem offenen Profil, den langen Stollen und dem schmalen Reifenaufbau tief in weiche Böden eindringen und findet unterhalb der feuchten Schicht Traktion. Auf harten Böden hat man mit ihm aber keine Chance. Wer dennoch einen Spike-Reifen möchte und ihn auch im Sommer, z. B. bei staubigen Bedingungen, einsetzen will, kann die Stollen des Mud Enduro kürzen. Diesen Profi-Tipp hat Michelin für den Serien-Reifen übernommen und zeigt mit speziellen Linien auf den Stollen, wo die Zange angesetzt werden sollte. In der gecutteten Version rollt der Mud Enduro auch im Hochsommer deutlich besser und ist auf hartem Untergrund deutlich präziser. Dennoch bleibt er ein Experte fürs Vorderrad. Der Mud Enduro ist also entweder im Winter oder aber bei besonders staubigen Bedingungen im steilen Terrain am Vorderrad sinnvoll.
Rock’R2
Der Michelin Rock’R2 ist einer der hartgesottensten Reifen von Michelin und speziell für harte felsige sowie ruppige Trails gedacht. Die massiven Stollen haben tiefe Lamellen, mit denen der Reifen auf großen Steinbrocken Grip findet. Kaum ein anderer Reifen im Test kann auf hartem Untergrund so viel Brems- und Kurventraktion generieren. Die abwechselnd längs und quer angeordneten Mittelstollen halten den Rollwiderstand im Rahmen. Dafür kann das relativ geschlossene Profil sich leichter mit Schlamm zusetzen als der Wild Enduro. Die Seitenstollen haben eine ähnliche Charakteristik wie die des MAXXIS Minion. In Anliegern knicken sie nicht weg und auch auf Schotter liefern sie genug Traktion. Pinch-Flats hatten wir mit dem Rock’R2 noch nie – und das, obwohl er wie die Wild Enduro-Reifen mit Gravity Shield-Karkasse kommt.
Unsere Empfehlung
Traileinsatz – Vollgas (v/h): Wild Enduro Front, Magic-X / Wild Enduro Front, Gum-X3D
Traileinsatz – Allround (v/h): Wild Enduro Front / Wild Enduro Rear
Touren – Grip (v/h): E-Wild Front 2,6” / E-Wild Rear 2,6”
Mehr Informationen findet ihr unter michelin.de
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Words: Photos: Valentin Rühl