Never Stop Learning – Marathonlegende Karl Platt und Le-Mans-Sieger Jörg Bergmeister im Interview
Wir haben uns mit Marathonlegende Karl Platt und Le-Mans-Sieger Jörg Bergmeister in der Pfalz getroffen, um über Erfolg, das Renn-Gen und Überlebensinstinkte zu sprechen. Und haben ganz praktisch gelernt, dass der richtige Umgang mit Niederlagen entscheidend ist. Oh, Porsche und Bikes sind wir natürlich auch gefahren!
Shit happens. Das weiß man nicht nur als Profi im Rennsport, sondern auch als Journalist. Nachdem wir in der Pfalz mit Jörg und Karl eine super Zeit verbracht und ein exzellentes Interview geführt hatten, rauchte wenige Tage später die Festplatte unseres Rechners ab – das Interview war verloren. Karl war mittlerweile für ein Rennen auf Elba, Jörg zu Hause bei seiner Familie und wir in unserem Office in Leonberg. Doch kein Problem: Skype sei Dank, haben wir das Interview über Tausende Kilometer Entfernung nachgeholt: Karl war am Strand von Elba nach dem Recognition-Ride für das Rennen am nächsten Tag, Jörg hat nebenher Mittagessen für seine Familie gekocht und wir saßen mit drei unterschiedlichen Aufnahmegeräten in Leonberg (never stop learning!). Die erstaunliche Erkenntnis: Abgesehen von der Einstiegsfrage waren die Antworten fast deckungsgleich, soweit wir uns erinnern können. Konstante Leistung unter unterschiedlichsten Bedingungen zählt eben zu den Top-Qualitäten eines jeden Profis auf Weltniveau! Bleibt noch zu erwähnen, dass das zweite Interview genauso viel Spaß gemacht hat wie das erste!
Des einen Hobby ist des anderen Beruf
Bevor wir starten, wollen wir euch die zwei Freunde vorstellen, die sich bereits seit über 15 Jahren kennen und gleich zwei Leidenschaften teilen. Jörg Bergmeister wurde praktisch im Auto geboren – zumindest gaben ihm sein Großvater und sein Vater alles rund um den Motorsport von klein auf mit. Später gewann er alle großen Langstreckenrennen, besonders erfolgreich war er gerade bei den Klassikern von Le Mans, Daytona, Sebring, auf dem Nürburgring und in Spa. Im 911er fuhr Jörg in den USA fünfmal den Sieg bei der American Le Mans Series heim. Seit 2002 ist er als Werksfahrer für Porsche unterwegs und mit seinen mittlerweile 44 Jahren Porsche-Markenbotschafter. Jörg ist außerdem Entwicklungsfahrer der Baureihe 911. Sein Hobby ist Mountainbiken – damit trainiert er seine Fitness und Ausdauer und hat natürlich auch einfach viel Spaß.
Karl Platt, 42, ist auf dem Sattel festgewachsen, seit er sich mit 13 Jahren sein erstes Mountainbike aus dem Katalog gekauft hat und in einen Pfälzer Verein eingetreten ist. Aufgewachsen ist er die ersten zehn Jahre in Sibirien und daraus mögen manche den Ursprung für seine Widerstandsfähigkeit und seinen eisernen Willen ableiten. Aber ist er auch immer so knallhart? Fakt ist: Platt hat in seiner Karriere schon fast alle plattgemacht: Mit 18 Jahren wurde er deutscher Junioren-Downhill-Meister und etablierte sich fest im internationalen Cross-Country-Zirkus, bis er 2005 seinen Schwerpunkt auf die Marathon-Disziplin legte und dort unzählige Siege einfuhr. 2007 initiierte er das Team BULLS, das er über die Jahre maßgeblich prägte. Bis heute ist er ein wichtiger Teil davon – weit über das Thema Racing hinaus. Der 5-fache Rekordsieger des Cape-Epic-Etappenrennens in Südafrika, 7-fache Transalp-Sieger und Deutsche Mountainbike-Marathon-Meister pflegt jedoch noch eine weitere große Rennsportleidenschaft, nämlich den Motorsport. Bereits über 300 Runden hat er auf der Nordschleife des Nürburgrings intus, die meisten davon in seinem silbernen Porsche GT3 aus der ersten Generation des Typs 997.
Ihr habt so ziemlich alles gewonnen, was man gewinnen kann.
Was macht für euch Erfolg aus?
Karl: Hm … Mir fällt gerade nix ein, ich sitze hier am Strand und genieße einfach …
Jörg: Das ist ja schon mal ein Erfolg.
Karl: Klar, ich bin gerade voll entspannt. Also es ist so: Wenn du trainierst und hart mit deinem Körper umgehst, willst du irgendwann auch den Reward haben. Erfolg gehört zum Sport dazu. Gerade in unserem professionellen Hochleistungssport wollen wir gewinnen und nicht hinterherfahren. Dass du voll am Limit trainieren kannst, macht auch die Motivation aus. Wenn du keine Ziele hast, dann kannst du auch keine Erfolge haben. Aber das ist nicht alles. Ich denke, Erfolg lässt sich nicht auf eine Sache reduzieren. Manchmal lieferst du ein super Rennen ab und es reicht trotzdem nicht zum Sieg, du wirst vielleicht nur Dritter, Vierter oder Fünfter. Aber du hast das Maximale rausgeholt – und das kann genauso zufriedenstellend sein. Klar, wenn du ganz oben stehst, ist es die Genugtuung schlechthin, aber Siegen allein … ich fahre die Rennen nicht nur zum Siegen. Es ist einfach eine Lebenseinstellung, ein cooler Sport, der verdammt viel Spaß macht.
Jörg: Ja, das kann ich glatt unterschreiben. Man darf Erfolg nicht immer nur an Resultaten und Platzierungen festmachen, selbst wenn man dazu geneigt ist, weil man als Profisportler am Ergebnis gemessen wird. Man kann auch super erfolgreiche Rennen abliefern, in denen man das Maximale für sich rausholt. In der Öffentlichkeit wird das dann vielleicht nicht als Erfolg wahrgenommen, aber vom Fahrer schon.
Was waren die wichtigsten Faktoren für eure Karrieren – oder ganz einfach gesagt:
Wie gewinnt man Le Mans oder Cape Epic?
Jörg: Bei mir war das so, dass ich fast schon keine andere Wahl hatte. Der Bazillus und das Benzin wurden meinem Bruder und mir in die Wiege gelegt. Mein Opa fuhr Motorradrennen, mein Vater stieg auf den Automobilsport um. Mein Bruder war drei Jahre alt, ich zwei, als wir einen Gokart geschenkt bekamen, und mein Vater hat uns im Endeffekt alles beigebracht, was man im Motorsport wissen muss: Es geht nicht nur um den Job im Auto, sondern um viele Details. Man muss auch darauf achten, dass das Team funktioniert. Alles zusammen ergibt erst die Möglichkeit, immer das Optimum herauszuholen.
Karl: Bei mir was das ganz anders. In meiner Familie hat keiner das Verlangen nach Sport gehabt, selbst wenn sie alle per se nicht unsportlich sind. Ich war da der Erste. Ich glaube, dass man ein gewisses Gen dafür mitbringen muss, man muss den Sport schon mal geküsst haben, dass man sagen kann: „Pass auf, du kannst das. Du hast das Potenzial, um an der Spitze mitzufahren.“ Natürlich muss man sein Talent weiter ausbauen und hart trainieren und – ganz wichtig – auch den Kopf dafür haben. Man muss sich sagen können: „Ich hab jetzt Bock, ans Limit zu gehen, mir in die Fresse zu hauen. Viel zu trainieren, um die 30.000 km im Jahr zu rocken.“ Anders geht es einfach nicht, sonst fährt man immer hinterher.
Was ist für euch das größte Opfer, das ihr für euren Erfolg gebracht habt?
Habt ihr Niederlagen eingesteckt, die euch fest in Erinnerung geblieben sind?
Karl: Ich bin generell ein positiv denkender Mensch, ich kann jetzt nicht sagen, dass ich irgendwelche Opfer gebracht habe. Andere mögen vielleicht von der Seite sagen, dass ich alles meinem Sport untergestellt hätte. Aber ich habe das nie als Opfer empfunden, ich habe einfach viel trainiert. Ich finde es cool, was man in unserem Sport macht – es ist doch besser, als irgendwo rumzulungern.
Jörg: Da hast du Recht. Opfer habe ich auch keine erbracht. Ich bin im Motorsport aufgewachsen und selbst nach 41 Jahren macht es mir immer noch Spaß. Klar gab es Zeitpunkte, in denen man Fehler gemacht hat und etwas nicht so gelaufen ist, wie man es gerne gehabt hätte. Aber insgesamt geht man aus solchen Situationen gestärkt raus. Das zeichnet einen Profi ja aus, dass man das Beste aus jeder Situation macht und nach vorne blickt. Es ist ja nicht das letzte Ergebnis, es muss immer weitergehen und man kann sich immer wieder neu beweisen.
Karl: Niederlagen müssen einen stärker machen. Umfallen darf man, aber man muss wieder aufstehen, das gilt ja generell fürs Leben. Und ich glaube, Sportler lernen das knallhart, man hat als Sportler mehr Niederlagen als Erfolge und die machen einen umso stärker. Denn wenn du etwas versemmelt hast, willst du umso mehr Gas geben und dir beim nächsten Mal selbst zeigen, dass du es besser kannst.
Thema Komfortzone: Wenn man mit 230 km/h auf eine Kurve zurast und danach eine Betonwand kommt oder wenn man mit dem Bike mit Puls am Limit bei einer Bullenhitze durch Südafrika rast, sind die Überlebensinstinkte dann ausgeschaltet oder hellwach?
Jörg: Ich persönlich mag am meisten die klassischen Strecken, bei denen der Fahrer wirklich gefordert ist und es wenig Auslaufzonen gibt. Deshalb bin auch immer sehr gerne in Amerika gefahren, weil es dort eher die Oldschool-Strecken gibt. Die Road America ist beispielsweise meine absolute Lieblingsstrecke in den USA: Sie ist sehr schnell, sehr hügelig und sehr anspruchsvoll. Diese Art von Strecken stellt einfach eine andere Herausforderung dar. Man muss genau wissen, was man kann, und muss seinen Fähigkeiten voll vertrauen. Das fand ich immer interessanter, als eine Runde zu testen, und wenn es nicht geklappt hat, die Runde noch mal und immer wieder zu probieren. Eine große Ausnahme in Europa ist natürlich die Nordschleife, die ist mega.
Karl: [lacht] Auf der Nordschleife machste es nicht noch mal. Da klebste in der Wand, oder in der Leitplanke oder bist über den Bäumen irgendwo verschwunden … Thema Komfortzone bei mir: Es gibt Rennen, in denen es dir super geht und du das Ding beherrschst und du dich nie am Limit befindest. Dann macht es tierisch Spaß, dann fährst du einfach durch. Es kommt natürlich auf deine Vorbereitung an. Je besser du vorbereitet bist, desto besser ist das Rennen. Aber ich habe auch schon Rennen erlebt, in denen ich völlig am Limit war. Dann zählt jede Sekunde zum Ziel. In diesem Moment musst du auch mal lernen, das Gehirn auszuschalten oder es zu manipulieren, damit du auch wirklich ins Ziel kommst. So eine Situation kommt im Radsport zur Genüge vor. Ich denke schon, dass es ein gewisses Talent ist, zu sagen: „Okay, jetzt denkst du nicht nach, sondern trittst einfach.“
Jörg: Quäl dich!
Karl: Ja, genau, quäl dich.
Im Profisport sind lange Vorbereitungs- und Planungsphasen die Regel. Wie geht ihr mit den unvorhergesehenen Momenten um, die im Rennsport fast zwangsläufig passieren?
Karl: Ich liebe es zu improvisieren. Ich bin kein Planer-Typ. Klar habe ich einen roten Faden, aber die Situation zu beobachten und den richtigen Move zu machen, ist mein Ding. Wenn ich alles durchplane, nehme ich mir die Möglichkeit, flexibel zu bleiben. Natürlich musst du dein Training planen, auch über Wochen. Aber nicht perfektioniert bis ins kleinste Detail. Wenn ich mich heute mal nicht so gut fühle, dann mache ich kein knallhartes Training strikt nach Programm, dann mache ich ein anderes Training. Wenn ich es als Plan niedergeschrieben hätte, wäre es ja auch ein Zwang, es komplett durchzuziehen. Dann kann auch der Schuss nach hinten losgehen. Ich bin da eher Gefühlsmensch und versuche, ganz tief in mich reinzuhören, um auch das Richtige zu tun.
Jörg: Im Motorsport ist das im Allgemeinen so. Klar stellt man vorher eine Strategie mit den Ingenieuren auf. Doch meistens kommt es ganz anders, weil ein Unfall oder eine Safety-Car-Phase da mit reinspielt, und dann muss man wirklich sehr spontan und flexibel reagieren können – das ist nicht gerade einfach. Ich denke mal, auf dem Rad ist das ähnlich wie beim Auto. Wenn man einen Großteil der Gehirnkapazität dafür verwendet, mit dem Fahren gerade so klarzukommen, dann kann man als Fahrer nicht mehr flexibel auf das reagieren, was im Rennen gerade passiert.
Erfolg macht bekanntlich süchtig. Wenn man an eure Erfolge denkt – wann ist der richtige Zeitpunkt, aufzuhören? Jörg, du hast ja bereits aufgehört, Karl, du spielst mit dem Gedanken … Fällt es euch schwer?
Karl: Mich muss man wahrscheinlich vom Rad runterholen, um aufzuhören. Aber diese Saison, gerade durch Corona und die Lockdown-Phase, habe ich auch das andere Leben besser kennengelernt. Es ist auch ganz nett, wenn man nicht jedes Wochenende in einem Rennen um die Wette fährt. Aber ich glaube, das Radfahren an sich bleibt eine Einstellung. Ich werde wahrscheinlich mein Leben lang Rad fahren. Auch in den nächsten Jahren werde ich in meiner Alterskategorie ein paar Masters-Rennen fahren. Also so leicht kann ich den Rennsport nicht an den Nagel hängen. Da gibt es andere Profis, die sagen: „Okay, das ist jetzt das letzte Rennen.“ Peng, puff, weg – und dann haben sie mit dem Radsport nichts mehr zu tun. So jemand bin ich nicht. Ich liebe den Sport, das ist mein Leben, gerade das Mountainbiken. So leicht kriegt man mich nicht vom Rad weg. Ich denk bei dir, Jörg, ist das ähnlich. Dich kriegt man auch nicht so leicht aus dem Auto. Ich habe das doch gesehen – sobald du dieses Ding unter dem Arsch hast, jucken auch die Finger und der Gasfuß.
Jörg: [lacht] Ja, die Liebe zum Motorsport ist ungebrochen. Aber ich habe mir immer vorgenommen aufzuhören, wenn ich sagen kann: „Ich war noch schnell genug.“ Ich wollte nie in die Situation kommen, in der ich aus dem Auto gezogen werde und man sagt: „Der kann det nich mehr.“ Das Angebot von Porsche Ende letzten Jahres, in die Entwicklung zu gehen, nachdem ich die WEC gewonnen hatte – das war der absolute Volltreffer. Der erste Teil meiner Karriere – das professionelle Rennfahren – war bereits ein Traum und der zweite macht mir bisher genauso viel Spaß. Ich darf weiterhin im Auto sitzen und Rennstrecken fahren, der Fokus hat sich einfach nur ein bisschen verschoben. Aber grundsätzlich bin ich mega happy, wie es läuft!
Gibt es Tipps, die ihr uns Normalsterblichen mitgeben könnt? Wie können wir schneller, besser, sicherer Auto bzw. Rad fahren?
Jörg: Meine Oma hat immer gesagt: Fahr nie schneller, als dein Schutzengel fliegen kann.
Karl: [lacht] Das hat meine Oma auch immer gesagt!
Jörg: Grundsätzlich ist es im öffentlichen Straßenverkehr wichtig, sich immer unterhalb des Limits aufzuhalten. Und Fahrsicherheitstrainings sind sehr zu empfehlen. Meiner Meinung nach sollte es sogar verpflichtend sein, so etwas in regelmäßigen Abständen zu machen, weil es einfach der Sicherheit dient und man sich und sein Fahrzeug so viel besser kennenlernt.
Karl: Ja, das stimmt, das würde bestimmt viele Leben retten. Oder man müsste einfach mal erfahren, dass man ohne Gurt beim Aufprall gegen ein Hindernis mit nur 15 km/h aus dem Auto geschleudert werden kann. Das ist einfach unvorstellbar.
Beim Radfahren crasht man natürlich mit viel geringeren Geschwindigkeiten und man erfährt dann meist eher kleine Blessuren und Prellungen, ab und zu vielleicht auch mal einen Knochenbruch. Aber es ist ganz wichtig, dass man immer in seiner Komfortzone bleibt und Spaß hat. Klar, es kann vielleicht auch mal eine ganz nette Erfahrung sein, wenn man am Limit ist, weil dann der Adrenalinpegel steigt. Aber wichtig ist, dass man trotzdem immer zu dem zurückkehrt, was man kann, und es nicht zu überhitzt angeht. Das Stichwort „Spaß“ ist einfach ganz wichtig. Es gibt da draußen ganz viele verspannte Jungs, die die Nadel im Heuhaufen suchen und das Große gar nicht vor sich liegen sehen. Wenn man Spaß hat, ist man auch erfolgreich.
Saucool – danke für eure (doppelte) Zeit und die tollen Insights! Waren zwei echt erfolgreiche Tage in der Pfalz auf zwei und vier Rädern!
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Words: Robin Schmitt Photos: Manuel Hollenbach/Rightlight Media