Das Greyp G6.2 im Test

Wir hatten die einmalige Gelegenheit, das neue Greyp G6.2 auf der kroatischen Insel Brač auf anspruchsvollen Trails erstmals zu testen.

Das Bike-Setup verläuft beim Greyp G6 etwas anders. Denn bevor man das Fahrwerk und die Komponenten einstellt, will das Bike erst mal auf dem Handy eingerichtet werden. Ist dies getan, geht alles recht schnell: Handy in die stabile Halterung des CIM-Displays am Cockpit einklicken, das USB-C-Kabel einstecken und schon ist man bereit für den Ride. Einmal mit dem Kabel verbunden, lassen sich die App-Funktionen aus Sicherheitsgründen nicht mehr über das Touchdisplay bedienen, sondern nur noch über die Remote-Einheit.

Das Anwählen der fünf Unterstützungsstufen erfolgt über die Remote-Einheit sehr intuitiv und einfach. Anhand des Bedienknopfs kann man einfach zwischen den einzelnen Anzeige-Bildschirmen der App wechseln.

Die Kamera-Funktion ist dabei ein faszinierendes Feature, mit der sich auf Knopfdruck Videos der Front- oder Rückkamera aufnehmen und auf dem Handy speichern oder streamen lassen (die Streaming-Funktion war bei unserer App-Version noch nicht verfügbar). Mit 1080p/30fps ist die Qualität natürlich deutlich geringer als bei einer GoPro, und eigentlich bräuchte sie ein Gimbal, aber die Absicht ist klar: volle Integration in ein System.

Während unseres Tests auf der kroatischen Insel Brač blieb die App mehrmals hängen. Dies lag laut Greyp vor allem an der schlechten Mobilfunkverbindung, in Regionen mit guter Mobilfunk-Netzabdeckung wie beispielsweise in Zagreb funktionierte die App tadellos, wie wir während der Präsentation in Zagreb sehen konnten. Die einfachste Art der Fehlerbehebung: das Kabel neu in das Smartphone stecken!

Aktuell gibt es keine verfügbare Schnittstelle mit Strava und anderen Plattformen, um seine Daten upzuloaden – dabei zeigen die GPS-Geräte-Hersteller wie Garmin oder Wahoo, dass dies für den ambitionierten Mountainbiker essenziell ist.

Soviel zur App, doch wie sieht es mit dem Bike selbst aus? Der erste Qualitätseindruck des Greyp G6.2 ist gemischt: Rahmen, Motor, Batterie sowie die Remote-Einheit zur Steuerung wirken sehr solide und mit viel Detailliebe umgesetzt. Die unglaubliche Masse an Kabeln am Cockpit und an der Sattelstütze – von Schaltung, Remote, Front- und Rücklicht, Bremsen, Bremsunterbrechungssensoren, CIM-Display bis zur Teleskopsattelstütze – hingegen sorgen für eine sehr unaufgeräumte Optik und für nerviges Klappern auf dem Trail. Gleiches gilt für die Batterie, die etwas Spiel aufweist. Laut Greyp werden bei den Serienbikes interne Schaumstoff-Ummantelungen im Rahmen, sowie kleine Adaptionen an den Akkubefestigungen die Probleme unserer Testbikes beheben und den Geräuschpegel deutlich senken.

Fijaka – dieses kroatische Wort beschreibt einen Geisteszustand der Entspannung und Ruhe: Das Greyp kann dich an einen ruhigen Ort bringen, doch gelingt es dir, dort auch diesen Geisteszustand zu erreichen? Oder lenkt die Technologie einen mehr davon ab?
Egal ob man das das Smartphone oder das CIM-Display verbaut, die Ablesbarkeit ist bei beiden Varianten selbst bei Sonneneinstrahlung gut

Der MPF-Motor unterstützt sehr gefühlvoll, kraftvoll und kontrolliert. Die fünf unterschiedlichen Unterstützungsmodi sind deutlich spürbar und besitzen alle ein sehr natürliches Fahrverhalten – das Vorschnellen, wie man es vom Boost-Modus bei Shimano oder dem Turbo-Modus bei Bosch kennt, sind dem MPF fremd und damit ist der Motor in allen Unterstützungsstufen auch sehr einsteigerfreundlich. An der 25-km/h-Schwelle sorgt der Motor für einen geschmeidigen Übergang und lässt sich darüber auch sehr gut treten – ebenfalls ohne elektrische Unterstützung! Auffällig unauffällig: Der Motor ist extrem leise! Die Kettenführung hingegen nicht – aber auch diese ist noch ein 3D-gedruckter Prototyp und wird in der Serie geräuscharm funktionieren, wie wir bereits an Tonys Bike, einem der Greyp-Sales-Reps, begutachten dürfen.

Helm Bell Sixer MIPS Fasthouse Ltd. | Jersey ION Tee LS Scrub Amp | Shorts ION Bikeshort Scrub Amp | Schuhe ION Rascal

Wie anhand der Geometriedaten zu erwarten, ist das Greyp G6 keine Trail-Rakete. Aufgrund des sehr kurzen Reachs, den langen Kettenstreben, dem hohen Gewicht, dem eher linearen Fahrwerk und des steilen Lenkwinkels fehlen dem Bike Agilität in engen Kurven und Laufruhe bzw. Fahrsicherheit bei höheren Geschwindigkeiten. So neigt das Bike in engen Kurven zum Untersteuern. Der Dämpfer braucht generell recht wenig Luftdruck, weshalb vermutlich der einstellbare Rebound-Bereich nicht breit genug ausfällt, sodass der Hinterbau überdämpft ist.

Entgegen dem optischen Eindruck hat die recht hohe Position der Batterie kaum negativen Einfluss auf das Bike-Handling, da sie sehr zentral und weit hinten positioniert ist

Die Kind Shock-Teleskopsattelstütze mit gerade einmal 100 mm Hub reduziert die Abfahrtstauglichkeit. Aufgrund der Position der Batterie fällt das Sitzrohr sehr kurz aus und eine Teleskopsattelstütze mit mehr Hub passt dann leider nicht rein.

Während die Geometrie nicht für ambitionierte Mountainbiker gemacht ist, weiß die sehr aufrechte Sitzposition weniger sportlichen Fahrern zu gefallen. Dennoch wäre ein deutlich komfortablerer Sattel wichtig, schließlich lastet bei der aufrechten Sitzposition sehr viel Druck auf dem Hinterteil.

Das Design des Front- und Rücklichts mit seinen vier Leds erinnert an den Porsche Taycan. Leider ist das Licht nur als Tagesfahrlicht und zum Gesehenwerden im Dunkeln geeignet – wer einen lumenstarken Scheinwerfer wie am Haibike FLYON erwartet, der wird hier enttäuscht.

Fazit

Mit dem Greyp G6 stellen die Kroaten das erste Mal in der Geschichte des E-Mountainbikes ein Software-System und die elektronischen Komponenten in den Mittelpunkt der Bike-Entwicklung. „It’s not about the bike, it’s about the system that’s behind it“ hörte man bei der Präsentation mehrmals aus dem Munde des Greyp-Teams.

Gamification am E-Mountainbike mit Video-Live-Übertragung

Nach der Präsentation und den ersten Testfahrten ist klar: Die Vision und die Technologien von Greyp Bikes werden die Bike-Branche verändern, auch wenn es aktuell noch einige Kinderkrankheiten auszukurieren gibt. Mit so viel Technologie und Features wirkt das innovative Greyp G6 wie ein Show-Bike, um die Optionen und Möglichkeiten des Software-Systems zu demonstrieren. Das Bike selbst ist für den ambitionierten (E-)Mountainbiker, der maximale Trail-Performance sucht, keine empfehlenswerte Option. Für Neueinsteiger, Early-Adopter und Tech-Nerds hingegen ist es spannend – zumal über die eSim kabellos neue Software-Updates und digitale Features aufgespielt werden können.

Wir gehen davon aus, dass Greyp ihr Software-Know-how und -System ähnlich wie bei Rimac auch der Bike-Industrie anbieten wird, um die Vernetzung, Datenanalyse und ja vielleicht sogar die Künstliche Intelligenz am E-Mountainbike voranzubringen. Entsprechend spannend wird es, wenn sich die Expertise der Kroaten mit dem Bike-Wissen etablierter Bike-Hersteller mischt und die wichtigsten Funktionen herausgepickt werden. Das sehr engagierte Team ist super offen für Kritik und Verbesserungsvorschläge und scheint motiviert, vieles in der Bike-Branche zu bewegen. Wir wünschen den Kroaten viel Erfolg für den Marktstart und sind gespannt, wie das Software-System ankommt und sich weiterentwickelt!

Mehr Infos auf greyp.com


Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als E-MOUNTAINBIKE-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, dass der E-Mountainbike-Sport auch weiter ein kostenloses und frei zugängliches Leitmedium hat! Jetzt Supporter werden!

Über den Autor

Robin Schmitt

Robin ist einer der zwei Verlagsgründer und Visionär mit Macher-Genen. Während er jetzt – im strammen Arbeitsalltag – jede freie Sekunde auf dem Bike genießt, war er früher bei Enduro-Rennen und ein paar Downhill-Weltcups erfolgreich auf Sekundenjagd. Nebenbei praktiziert er Kung-Fu und Zen-Meditation, spielt Cello oder mit seinem Hund (der eigentlich seiner Freundin gehört!), bereist fremde Länder und testet noch immer zahlreiche Bikes selbst. Progressive Ideen, neue Projekte und große Herausforderungen – Robin liebt es, Potenziale zu entdecken und Trends auf den Grund zu gehen.