Helis, Supercars und Bikes – zwischen Frankreich und Spanien sitzt die kleine Bike-Brand Forestal aus Andorra, die sich der Entwicklung von Hightech-E-Bikes verschrieben hat. Wir waren bei der exotischen wie extravaganten Bike-Brand zu Besuch und konnten einen Blick hinter die Kulissen werfen.

Um die Marke aus Andorra und die sagenumwobene Entstehungsgeschichte mit einem belarussischen Investor ranken sich schon seit der Gründung Mythen. Es wurde viel angekündigt, aber lange waren keine Produkte verfügbar. Böse Zungen behaupten sogar, dass Forestal gar nicht existiert. Wir hatten die Möglichkeit, das Light-E-MTB Siryon in unserem großen Vergleichstest zu testen und waren ziemlich beeindruckt – wollten aber erfahren, wer und was nun wirklich dahintersteckt.

In einem kleinen Land vor unserer Zeit …

Mitten in den Pyrenäen liegt das Fürstentum Andorra. Das kleine Land inmitten von Bergen zwischen Spanien und Frankreich ist vor allem bekannt für die vielen Pistenkilometer. Es gehört zu den kleinsten Ländern Europas und ist kaum größer als die Hauptstadt Andorra La Vella, in der auch das HQ von Forestal sitzt. Aufgrund des begrenzten Platzangebotes wachsen die Häuser hier in die Höhe statt in die Breite. Das Forestal-Firmengebäude zu finden, ist vergleichbar damit, eine Nadel im Heuhaufen zu suchen und Forestal macht sich Vorhandenes zu Nutze. Ein altes Autohaus dient als Entwicklungs- und Produktionsstandort und an der Wand prangt noch ein verblichenes Logo eines großen Autoherstellers. Ganz unscheinbar gibt nur ein kleiner Showroom und ein schwarzes Garagentor mit Firmenlogo Aufschluss, was hinter den dicken Betonwänden passiert. Wir waren bei Forestal zu Besuch und bringen Licht ins Dunkel.

Was haben Supercars und Helis, die zu Drohnen werden, mit E-MTBs zu tun?

Hinter dem schwarzen Tor verbergen sich Parkplätze im Inneren des Gebäudes, denn Platz zum Parken ist in der City genauso Mangelware wie der Bauraum. Das Firmengebäude von Forestal ist wie ein Parkhaus aufgebaut und so gelangt man über Auffahrtsrampen von Stockwerk zu Stockwerk. Insgesamt gibt es sechs Stockwerke, die auch über einen Aufzug und Treppen zu erreichen sind – da muss man erstmal durchchecken! Zum Glück haben wir Saša, der uns abholt und durch die kühlen und etwas steril wirkenden Räume führt. Bereits im ersten Stockwerk wartet die erste Überraschung auf uns: Neben E-Mountainbikes stehen Helikopter vor uns. Bevor wir wirklich über Forestal zu sprechen beginnen, können wir eine Frage nicht zurückhalten: Was zur Hölle haben Helis mit der Entwicklung von E-Bikes zu tun? Die unaufgeregte wie selbstverständliche Antwort: Die Eigentümer planen, Taxiflüge für solvente Gäste per umgebauter Heli-Drohne anzubieten und lassen im Forestal-Firmengebäude deshalb auch an Helikoptern tüfteln. Spannend, aber wirklich vertrauenserweckend sehen die kleinen Helis nicht aus. Bereits hier wird klar: Forestal tickt anders. Am frühen Morgen waren wir auf ein kurzes Hallo bei alten Bekannten von COMMENCAL, die ebenfalls ihren Firmensitz in Andorra haben – aber unterschiedlicher nicht sein könnten. Während COMMENCAL aus dem Kern der Szene über Jahrzehnte gewachsen ist, wurde Forestal mit viel Geld in kürzester Zeit aufgebaut. Das spürt und sieht man sofort im Umgang, am Firmengebäude und der jeweiligen Firmenkultur, die bei Forestal noch nicht wirklich greifbar ist. Aber auch in der Konzeption der Produkte – dazu später mehr.

Den Tech-Millionär aus Belarus bekommen wir nicht zu Gesicht, laut dem Forestal-Team fährt er jedoch selbst Rad und soll in der IT- und Gamingbranche sein Geld verdient haben. Im operativen Tagesgeschäft ist er nicht beteiligt, sondern hält sich lieber im Hintergrund und agiert mehr als Investor und Impulsgeber.

In dem ehemaligen Autohaus schlängelt sich die Produktionsschleife skurril über dunkle Rampen nach oben, in dem räumlich vertikal aufgebauten Unternehmen findet in jedem Stockwerk ein anderer Arbeitsschritt statt: von R & D unten bis hin zur Montage und Versand im 3. Stock. Egal, auf welcher Ebene uns die Rampe ausspuckt, man ist umgeben von kühlen Betonwänden, die in Kunstlicht gehüllt sind. Je nach Etage variieren der Flair und das Miteinander der Mitarbeiter, das von kollegial und freundschaftlich bis pflichtorientiert und isoliert wirkt. Zwischen den Stockwerken scheint wenig Austausch zu herrschen. Unser Eindruck: Eine stärkere Firmenkultur sowie Orte des Austauschs und Zusammentreffens über alle Etagen hinweg würden Forestal sehr gut tun. Bestes Beispiel ist die spartanische Küche im untersten Stockwerk, die zwar ernährerische Basisfunktionen erfüllt, aber Status quo kein gemeinschaftliches Miteinander fördert.

Von Anfang an – Die Entwicklung bei Forestal

Die ganze Entwicklung von Forestal findet In-House statt, von den insgesamt 55 Mitarbeitern sind 15 Leute für den Entwicklungsprozess zuständig. Beim Design redet der Forestal-Gründer gerne mit und stellt die Designer vor Herausforderungen. Marken-Sneaker, Concept-Cars, bis hin zu Flugzeugen – das Design unterschiedlichster Produkte, die dem Eigentümer gefällt, sollen in die Farb- und Formgebung der Bikes mit einfließen. Chapeau: Die Forestal-Bikes sehen richtig cool und schick aus – also irgendwie funktioniert dieser Prozess ja!

Nach dem Design folgt der Prototypenbau: Die Bikes werden zuerst aus Stahl gefertigt und nach einigen Tests in die Carbon-Form übertragen. Die eher rustikale Stahl-Apparatur erinnert auf den ersten Blick an Frankensteins-Bike, vereint aber durch diverse Einstellmöglichkeiten die Rahmengrößen M und L in einem Bike. Durch verschiedene Cups lassen sich auch unterschiedliche Lenkwinkel realisieren. Im Testlabor stehen zahlreiche Gerätschaften für die Werkstoffprüfung, hier werden die Dauertests der Rahmen und Zug- und Druckversuche durchgeführt. Während man diese Gerätschaften bei einigen Bikemarken sieht, ist alles, was in den nächsten Räumen folgte, mehr als selten in der Bikebranche: Die Entwicklung des Antriebssystems macht Forestal größtenteils selbst. Forestal hat sich damit eine Mammutaufgabe aufgebürdet und wollte von Anfang an ein komplett eigenes Gesamtkonzept entwickeln, statt lediglich ein Motorsystem zuzukaufen und mit ein paar Anpassungen in den Rahmen zu integrieren. Chapeau für die Eier, die es braucht, das zu machen. Gleichzeitig ist klar: Das Risiko und der Aufwand potenzieren sich. Eine weitere Herausforderung war, dass ein Großteil der Entwicklungszeit in die Pandemie fiel und Asienreisen oder persönliche Meetings nicht oder nur eingeschränkt möglich waren. Auch die Idee, direkt auf ein Light-E-MTB zu setzen, war zu dem damaligen Zeitpunkt ziemlich früh und progressiv.

BAFANG baut die Motoren im Auftrag und hatte als einziger Motorenhersteller Interesse und genügend Produktionskapazität für das junge und damals noch unbekannte Unternehmen. Es ist eben etwas anderes, ob ein gut finanziertes Start-up wie Forestal oder ein etabliertes Milliardenunternehmen wie Specialized bei einem Motorenhersteller anklopft und eine Auftragsfertigung möchte. Den Rahmen hat Forestal dann um den Motor gebaut, der dank Titanteilen und Magnesiumgehäuse ein geringes Gesamtgewicht von 1,9 kg erreicht.

Die Entwicklungstiefe ist beeindruckend: Nicht nur Motor- und Akkusystem werden In-House entwickelt, sondern auch die restliche Elektronik, wie Farbdisplay, GPS-Device und Leiterplatte inkl. Soft- und Firmware, die am Bike zu finden ist. Die Prototypen der Platinen für das große Touch-Display, das auf Android läuft, werden vor Ort gelötet, bevor sie in die Produktion gehen. Das ins Oberrohr integrierte Display kommt mit umfangreichen Funktionen wie Navigation, Trainingsfunktionen, Fahrmodi und Diebstahlsicherung dank integrierter E-SIM-Karte. In Zukunft soll noch ein LiPo-Akku in der Headunit Platz finden, damit im Falle eines Diebstahls das Bike auch ohne Hauptakku geortet werden kann. Vice versa soll auch eine simplere Version ohne Connectivity und ohne Display in Zukunft auf den Markt kommen.

Production Privée – Eine Fabrik in der Fabrik

Zwei Etagen über der Entwicklungsabteilung befinden sich die Hersteller von Production Privée, die sich der Entwicklung und Produktion von Bikes und Komponenten mit innovativen Fertigungsmethoden verschrieben haben. Die andorianische Bike-Schmiede wurde von Forestal samt Mitarbeiter und Gründer 2020 gekauft und beide Firmen arbeiten nun eng zusammen.

Das Team von Production Privée forscht unter anderem am Rahmenbau aus Thermoplast-Kunststoff. Als Material soll ein Thermoplast namens Peek verwendet werden, das vor allem in der Luft- und Raumfahrt zum Einsatz kommt. Das trockene Laminat wird vom Roboter geschnitten und gelegt und anschließend mit Harz gehärtet. Die Rahmen werden nicht aus einem Stück hergestellt, sondern aus zwei Hälften und anschließend zusammengeklebt. Die ersten Prototypen wurden in Zusammenarbeit mit der Universität in Aachen und einem Hersteller von Sportwagen-Carbonfelgen entwickelt und produziert. Das Ziel ist, eigene Carbon-Rahmen in Andorra zu produzieren. Der Vorteil der Thermoplast-Verbundstofftechnologie: Das Fertigungsverfahren lässt eine Automatisierung von 90 % des Prozesses zu und so ließen sich theoretisch 8.000 Rahmen mit nur acht Mitarbeitern herstellen. Außerdem sollen Thermoplaste besser recyclebar sein als klassische Carbon-Rahmen, die einmal produziert, sich nicht mehr aufbereiten lassen und somit quasi Sondermüll sind. Thermoplast-Carbon-Rahmen lassen sich hingegen unter Hitze wieder einschmelzen bzw. verformen.

Neben der Forschung an der Thermoplast-Methode produziert Production Privée auch Rahmen aus Stahl und Titan. So füllt die Halle ein riesiger Schweißroboter, der Stahlrahmen vollautomatisch schweißen kann. Der automatisierte Prozess erlaubt eine gleichbleibend hohe Qualität, cleane Schweißnähte und ermöglicht es, drei Rahmen in 12 Minuten zu schweißen. Durch die CMT-Schweißtechnik (Cold Metal Transfer) soll keine erneute Behandlung der geschweißten Rahmen mehr nötig sein. Eines der Bikes von Production Privée hört auf den Namen Shan No. 5 und kombiniert in der dritten Iterationsstufe einen Stahl-Hauptrahmen mit einem Carbon-Hinterbau. Im Vergleich zu einem Stahl-Hinterbau halbiert sich das Gewicht beinahe von 1,6 kg auf 850 g. So soll das fertige Bike mit robuster DH-Bereifung gerade mal 15 kg wiegen. Auch mit Stahl- und Alu-Verbundrahmen wird experimentiert, indem diese dann miteinander verklebt werden. Hier merkt man das große Interesse an Forschung und Experimentieren mit neuen und innovativen Fertigungsmethoden sowie Materialien.

Jetzt wird’s bunt – Lackierung und Montage In-House

Farbe spielt eine große Rolle, weshalb die Lackierungen bei Forestal von verschiedenen Lichtphänomenen inspiriert und zum Beispiel Halo, Neon oder Diode benannt wurden. Im Konfigurator kann man aus vielen Optionen wählen oder sich seine Custom-Lackierung zusammenstellen: So hat man zum Beispiel die Möglichkeit, das Bike in der Farbe seines Autos lackieren zu lassen. Die Lackiererei nimmt im Forestal-Komplex ein komplettes Stockwerk in Beschlag und wurde während COVID aus Taiwan nach Andorra verlegt. Dort wurde sie dann aufgebaut und aufgrund der Pandemie wurden alle Lackierer ohne Hilfe des Lieferanten selbst ausgebildet. Viel Aufwand steckt allein schon in der Vorbereitung für das Lackieren, denn bevor der Rahmen lackiert werden kann, muss er zuerst 1,5 Stunden angeschliffen werden.

Anschließend wird grundiert und wieder 1,5 Stunden geschliffen, bis dann die bis zu sechs finalen Lackschichten aufgetragen werden. Wie bei edlen Hypercars wird der Lack am Ende händisch poliert und geprüft. So verlassen am Tag bis zu zehn Rahmen die Lackiererei mit einem meist individuellen Lackkleid.

Danach werden die Bikes im darüberliegenden Stockwerk montiert. Die passenden Komponenten des jeweiligen Bikes werden zuvor im Lager vorbereitet und kommen bereits vorkonditioniert. Das heißt, die Teile, wie Gabelschaft oder Kette, sind bereits in der passenden Länge, so geht das Montieren schneller und leichter von der Hand. Die Montage eines Bikes dauert rund vier Stunden und wie beim AMG-Motorenbau ist ein Mechaniker für ein ganzes Bike verantwortlich.

Bike Check des Forestal Cyon von Marc Busquets

Als Schmankerl haben wir noch das private Bike des leitenden Entwicklers Marc Busquets genauer unter die Lupe genommen. Er hat es mit edlen Parts und einzigartigen Detaillösungen aufgebaut und so (s)einen Traum verwirklicht.

Der leitende Entwickler Marc Busquets hat sich seinen Traum verwirklicht und das Trailbike Cyon mit edlen Parts aufgebaut.
Wie alle E-MTBs von Forestal kommt auch das Bike von Marc mit dem großen Touch-Display, das bündig ins Oberrohr integriert ist.
Die elektrische Extra-Power bietet der eigens entwickelte Motor mit 60 Nm vom Zulieferer BAFANG.
Den Einschaltknopf hat Marc im Lenkerende versteckt, der sich normalerweise an der Mini-Remote am Lenker befindet.
Statt herkömmlicher Trigger hat Marc sein Bike mit sogenannten Blippern – das sind kleine Microschalter mit Metall-Triggern – ausgestattet
Ein Unikat: Durch die Custom-Lackierung wird jedes Bike einzigartig.
Das One-Piece-Carbon-Cockpit sorgt für ein cleanes Erscheinungsbild und fügt sich farblich perfekt in die restliche Lackierung des Bikes ein.
Bis ins letzte Detail: Selbst das Einstellrad der FOX 36 wurde durch ein Modell aus dem 3D-Drucker ersetzt.
Ein richtiger Eyecatcher ist die geschwungene Hinterradschwinge, die eine Linie mit dem Dämpfer bildet.

Fazit

Forestal kommt mit einer beeindruckenden Entwicklungstiefe und forscht zusammen mit Production Privée an innovativen Fertigungsmethoden und Projekten. Ein Großteil der Arbeitsschritte wie Entwicklung, Lackierung und Montage werden im HQ in Andorra gemacht und sind definitiv besonders. Auch wenn es einige Unklarheiten über die Hintergründe der Firma gibt und wir eine pulsierende Firmenkultur vermissen, ziehen wir den Hut: Was das Team in Andorra innerhalb weniger Jahre hochgezogen hat, sucht Seinesgleichen!

Mehr Infos unter: Forestal.com


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Words & Photos: Mike Hunger

Über den Autor

Mike Hunger

Von Slopestyle und Landschaftsfotografie, hin zu Enduro und Actionfotografie. Mike probiert gerne neue Dinge aus und hat eine Vorliebe für Action. Und Handwerk: So zieht es ihn mit seinem Syncro-Van, den er selbst restauriert und umgebaut hat, regelmäßig auf verschiedenste Roadtrips. Natürlich immer mit dabei ist sein Bike und seine Kamera, um die feinsten Trails von Italien bis in die Alpen unter die Stollen zu nehmen und die schönsten Momente festzuhalten. Durch seine Ausbildung als Industriemechaniker, seiner Erfahrung aus dem Radsport und seinen Foto-Skills kann er das Know-How perfekt in den journalistischen Alltag umsetzen und testet jetzt als Redakteur die neuesten Bikes und Parts. Als “Foto-Nerd” hält er außerdem die Tests fotografisch fest und sorgt im Magazin für geiles Bildmaterial.