„Fahrradfahren kann jeder”, denkt sich mancher E-Bike-Novize und macht sich auf den Weg, Trails in der Umgebung zu erkunden. Warum es wichtig und sinnvoll ist, einen Fahrtechnik-Kurs zu besuchen, haben wir in einem Selbstversuch herausgefunden. Mit professioneller Hilfe zu mehr Sicherheit und Fahrspaß? Wir sagen euch, für wen ein E-Mountainbike-Kurs Sinn macht und was man dabei lernt.
Freitagmorgen 9.00 Uhr – wir treffen uns noch etwas verschlafen, aber aufgeregt auf einem Waldparkplatz in Murrhardt mit Marcus Euerle von Trail Skills, unserem Kursleiter für die nächsten sieben Stunden. Marcus hat Trail Skills 2016 gegründet und für ihn und sein Team ist es eine Mission, Neulinge und Wiedereinsteiger sicher und mit Spaß auf die Trails zu bringen. Unsere Gruppe heute ist ein bunt gemischtes Team aus Freunden und Familienmitgliedern unserer Redaktion mit fortgeschrittenen Mountainbikern und Neueinsteigern – 21 Jahre jung oder mit 64 Jahren Lebenserfahrung und mit den unterschiedlichsten Erwartungen und Vorerfahrungen.
Das Kursteam und seine Erwartungen sowie Vorerfahrungen
Nach diesen doch sehr vielfältigen Erwartungen hatten wir uns auf einen E-Mountainbike-Basiskurs für Einsteiger, kombiniert mit einem E-Mountainbike-Basiskurs für Erfahrene geeinigt. Um eines vorwegzunehmen: Die Basics, wie Grundstellung und den perfekten Schwerpunkt auf dem Bike zu finden, haben selbst die erfahrenen Teilnehmer nützlich gefunden. Gerade, wenn man schon länger fährt, schleichen sich oft Gewohnheiten und Positionen ein, die man durchaus korrigieren kann.
Wie läuft ein Fahrtechnik-Kurs für E-Mountainbikes ab?
Bevor es losgeht, müssen erst einmal die Bikes und die Ausrüstung der Fahrer gecheckt werden. Eine Routine, die man regelmäßig vor der Fahrt durchgehen sollte. Irgendwann sind diese Handgriffe dann selbstverständlich und schnell erledigt. Danach werden die verschiedenen Positionen auf dem Bike sowie das richtige Bremsen geübt. Auch das Absteigen nach hinten bei einer Notbremsung oder auf Trails mit Gefällen muss immer wieder geprobt werden. Am Nachmittag geht es dann auf die Trails, um das Gelernte auch in schwierigem Gelände auszuprobieren. Insgesamt gliedert sich ein Kurs meist in 4 Teile:
1
Bike-Check und Fahrer-Check
2
Vormittag: alle Basics im leichten Gelände
3
Nachmittag: Umsetzung auf dem Trail
4
Feedback-Runde
Bike-Check und Fahrer-Check
Checkliste für den Bike-Check von Marcus Euerle:
Cockpit:
- Griffe fest?
- Lenker gerade?
- beide Bremshebel funktionieren?
- Schalthebel sitzt fest?
- sonst. Anbauteile am Lenker, z.B. Display, alles fest? Kann sich nicht verdrehen?
- Steuersatz fest?
Laufräder:
- Luftdruck (passend zur Tour)?
- Räder laufen frei?
- Verschlusshebel der Steckachse ist so positioniert, dass er nicht hängen bleiben kann?
Bremse:
- Bremse greift?
- Bremsscheiben-Befestigung korrekt?
- Brems-Belagsdicke ausreichend?
Fahrwerk:
- Federgabel und Dämpfer sind auf das Fahrergewicht eingestellt und funktionieren?
Rahmen:
- Beschädigungen? Risse?
- Sattelstütze lässt sich absenken?
- Sattel fest?
- sonstige Anbauteile (Trinkflasche, etc.) fest?
Antrieb:
- Schaltwerk funktioniert?
- Kette läuft sauber durch und ist geölt?
- Kurbel und Pedale ohne Spiel?
Tipps zum Fahrer-Check:
- richtiger Helmsitz?
- Sonnenbrille/Goggles dabei?
- Handschuhe?
- welche Protektoren passen zur Strecke?
- Schnürsenkel kurz gebunden, damit sie sich nicht in der Kette einwickeln?
- Rucksack sitzt stabil und alle Fächer sind geschlossen?
*Dieser „große Check” macht immer zu Tourbeginn Sinn, bei Mehrtagestouren also am ersten Tag vor der Abfahrt. An den Folgetagen reicht meist ein verkürzter Check. Auch nach mehreren Feierabendrunden lohnt sich eine regelmäßige Kontrolle. Wie häufig, hängt davon ab, wie oft ihr unterwegs seid.
Der Vormittag: Basics im leichten Gelände
Nach dem Check starten wir dann mit den ersten Gleichgewichtsübungen auf einem breiten Forstweg. Immer wieder wird die Körperhaltung korrigiert, bis sie optimal sitzt, denn sie ist die Grundlage für alles. Eine falsche Haltung kann zunehmend zu Unsicherheit führen. Wenn dann noch schnelle Lenkmanöver, Bremsvorgänge oder Herausforderungen im Gelände und auf Trails hinzukommen, wird es ohne richtige Position auf dem Bike schwierig, die volle Kontrolle zu behalten.
Die richtige Grundposition ist immer der Ausgangspunkt, auch für steilere Trails. Die Füße stehen beide gleich hoch, die Kurbeln sind also waagrecht. Das Körpergewicht ist gleichmäßig auf beide Beine verteilt. Arme und Beine sind körpereigener Federweg und helfen, auf Hindernisse zu reagieren. Die Arme sind ganz leicht gebeugt, die Ellenbogen zeigen nach außen. Die Beine sind gestreckt. Aus dieser Haltung heraus geht man in den aktiven Bewegungsbereich, das heißt, die Ellenbogen werden weiter gebeugt und der Oberkörper sitzt tiefer. So werden das Gleichgewicht und der Schwerpunkt zentral gehalten und Stöße sowie Unebenheiten kann man mit dem Körper abfedern. Ein wichtiges Learning für diesen Tag: „Lasst das Bike die Arbeit machen und bleibt oben drauf ganz ruhig!”, erklärt uns Marcus.
Lasst das Bike die Arbeit machen und bleibt oben drauf ganz ruhig!
Der Nachmittag: Ab auf den Trail
Als wir später am Nachmittag diese Übungen auf den Trails umsetzen wollen, merken wir, dass das Fahren in der richtigen Haltung einen großen Unterschied macht. Mit einer guten Portion Gelassenheit lassen wir das Bike einfach laufen, ohne hektisch und verkrampft zu agieren. Als der Trail steiler und steiler wird, schleichen sich alte, schlechte Gewohnheiten wieder ein. Marcus bleibt geduldig und erklärt immer wieder die richtige Position. Regelmäßig nimmt er unsere Fahrt mit dem Handy auf und geht mit uns die Videoanalyse durch. So können wir selbst deutlich sehen, wo wir uns weiter verbessern können.
Ein weiterer wichtiger Kursinhalt ist das richtige Bremsen und Absteigen mitten im Trail. Klingt erstmal banal, aber schnell wird klar, wie viel man falsch machen kann. Fürs Absteigen nach hinten vom Bike muss der hintere Fuß auf dem Pedal nach hinten und unten gestellt werden – niemals nach vorne treten, denn sonst bekommt das Bike ungewollten Schub. Dann wird gebremst und der andere Fuß neben das Hinterrad gesetzt. Zum Schluss steigt man nach hinten über den Sattel ab und kommt so hinter dem Bike sicher mit beiden Beinen zum Stehen. Cool! Das hört sich komplizierter an, als es ist und wirkt Wunder. Denn es ist die Exit-Strategie, wenn es mal eng wird oder ihr auf dem Trail stehen bleiben wollt. Ein weiterer Punkt, den wir an diesem Tag aber nicht behandelt haben, weil das für Fortgeschrittene ist, wäre das Thema richtig stürzen. Die Infos bekommt ihr in unserem Artikel Wie stürzt man richtig?
Zum Schluss wird noch das korrekte Bremsen geübt. Dazu muß man natürlich erst einmal verstehen und erfahren, wie sich die Vorderrad- und Hinterradbremse einzeln anfühlen. Die Vorderradbremse hat die weitaus größere Bremskraft, die Hinterradbremse dient zum Verstärken. Immer wieder fahren wir bergab und versuchen, gefühlvoll nur mit der Vorderradbremse stehenzubleiben. Hier bietet es sich an, mit dem Zeigefinger immer etwas am Hebel zu ziehen, um im Notfall schnell und gefühlvoll bremsen zu können. Nimmt man später die Hinterradbremse dazu, fühlt sich das Ganze richtig geschmeidig an und das Bike bleibt stehen, ohne dass die Reifen blockieren und man das Rutschen anfängt.
Feedback-Runde
Sieben Stunden später sind wir alle mehrmals einen für uns steilen und wurzeligen Trail runtergefahren, den wir vorher nur mit einem unwohlen Gefühl und Schweißausbruch in Angriff genommen hätten. Das ist auch das einstimmige Ergebnis der Feedback-Runde: Alle Teilnehmer haben neben einigen Tricks und Basics vor allem jede Menge Selbstvertrauen aus diesem Kurs mitgenommen. Selbst für uns schwierige Trails können wir jetzt gelassener in Angriff nehmen. Wir sind hochmotiviert und nehmen uns vor, die Übungen die nächsten Tage für uns selbst auszuführen und darauf aufzubauen. Denn das war natürlich erst der Anfang. Wie sagt Marcus so treffend:
Hier fängt Mountainbiken an, alles andere ist Fahrradfahren.
Für wen macht ein Fahrtechnik-Kurs Sinn?
Was uns alle überrascht hat: Selbst die erfahrenen Biker im Team konnten bei dem Einsteiger-Kurs noch reichlich Tipps und Übungen mitnehmen. Denn auch eine schlechte Haltung oder schlechte Angewohnheiten können einen limitieren, auch wenn man schon sicher die Trails hinunter kommt. Gleichzeitig wird die Weiterentwicklung der eigenen Fähigkeiten ermöglicht. Viele Übungen, die auf dem breiten Forstweg so banal und einfach aussahen, waren auf dem Trail und im Gelände ganz schön tricky, vor allem, wenn man viele neue Dinge gleichzeitig umsetzen will. Alle Kursteilnehmer waren sich einig: Das Selbstvertrauen und Sicherheitsgefühl konnten deutlich verbessert werden. Unser Résumé: Für alle, die aufs E-Mountainbike umsteigen, lohnt sich ein Fahrtechnik-Kurs genauso wie für erfahrene Biker. Und das Beste daran: Wir konnten alle gemeinsam Spaß haben und uns weiterentwickeln. Denn sind wir mal ehrlich, letztendlich geht es darum, sicherer und mit mehr Spaß Biken zu gehen.
Ein Fahrtechnik-Kurs lohnt sich für alle, egal, ob ihr Neueinsteiger seid oder Fortgeschrittene.
Was beim Skifahren schon lange selbstverständlich ist, sollte sich auch beim E-Mountainbiken durchsetzen: Ein Einsteiger-Kurs macht nicht nur Spaß, sondern gibt auch jede Menge Sicherheit in die eigenen Fähigkeiten. Und wer ambitioniert ist, kann darauf immer weiter aufbauen. Bei Neueinsteigern ist es oft leider so, dass das E-MTB mehr kann als sein Besitzer und diesen dadurch überfordert. In einem Kurs lernt man, mit seinem Bike eine Einheit zu bilden und bekommt Spaß an der Technik.
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Words: Susanne Feddersen Photos: Peter Walker