Es ist das Ziel von Tausenden Bikern: einmal mit dem Rad über die Alpen. Eine Transalp, das bedeutet eine Woche atemberaubende Natur, Einsamkeit, leckeres Essen, aber eben auch lange, schmerzhafte Anstiege. Auf Letzteres können wir gerne verzichten und wagen deshalb den Selbstversuch: einen Alpencross mit dem E-Mountainbike.

Als ich vor 16 Jahren zusammen mit meinem ältesten Sohn Max zu unserer ersten Alpenüberquerung aufbrach, war die Welt noch eine andere. Internet, GPS-Tracks und Handys gab es noch nicht oder zumindest waren diese Technologien noch völliges Neuland für uns. So haben wir uns durch mehrere Jahrgänge der großen deutschen Mountainbike-Magazine gearbeitet, um mit den entsprechenden Routen- und Ausstattungstipps auf die Reise gehen zu können.
Die Strecke von Garmisch-Partenkirchen zum Gardasee hatten wir ungefähr mit den empfohlenen Tagesetappen in Einklang gebracht. Am jeweiligen Etappenort ging dann die Suche nach einer geeigneten Übernachtungsmöglichkeit los. Vorausbuchung? Fehlanzeige!

Mein Bike war ein Hardtail mit 40 mm Federweg, mein Sohn (übrigens einer der Gründer dieses Magazins) fuhr völlig ungefedert mit einer Starrgabel, und wir machten uns mit gedruckten Tourenbeschreibungen und mehreren Wanderkarten im Gepäck auf den Weg. Ach ja, wir hatten uns übrigens fast ein Jahr lang auf diesen Alpencross vorbereitet! Die Packliste wurde mehrfach verworfen und dann mit dem Motto „weniger ist mehr“ zusammengestellt. Parallel zur pedantischen Planung kam auch noch die konditionelle Vorbereitung, durch längere Tagestouren mit schwerem Rucksack. Alles sehr schweißtreibend, aber ohne diese Vorarbeit war ein Alpencross nicht zu bewältigen.

Die Zeiten haben sich geändert, jetzt gibt es E-Mountainbikes mit toller Ausstattung und Fahrwerken, von denen damals Downhill-Profis nicht zu träumen gewagt hätten. Immerhin verlieren dank der kraftvollen Motoren selbst steilste Anstiege ihren Schrecken. Alles bestens, oder?
Aber auch ein Alpencross mit dem E-Mountainbike bedarf einer gewissen Vorbereitung. Entscheidend: die Einteilung und Länge der Tagesetappen. Reicht eine Akkuladung oder führt an einem Zusatzakku kein Weg vorbei? Kann ich am Abend mein Bike nachladen? Außerdem sollte man selbst mit kraftvollem Antrieb natürlich nicht völlig unvorbereitet starten, schließlich sitzt man täglich mehrere Stunden im Sattel.
Da mich der Alpencross-Virus nie ganz verlassen hat und ich die phantastische Bergwelt gerne mit einem Mountainbike „erfahre“, hatte ich mich vor ein paar Wochen recht kurzfristig zu einem Alpencross mit dem E-Mountainbike entschlossen. Anders als damals entschied ich mich diesmal aber für eine völlig stressfreie Luxus-Variante mit Guide und Gepäcktransport in einer kleinen Gruppe sowie Transfer zwischen einzelnen Etappenorten bei 4 Fahrtagen.

  Die Berge werden flacher und lange Distanzen verlieren ihren Schrecken.

Die richtige Vorbereitung ist alles – auch mit dem E-Mountainbike

Auch mit dem E-Mountainbike benötigt man für eine Alpenüberquerung eine gewisse Grundkondition – denn trotz Turbo kann man in steilen Trailpassagen seinen Puls ganz schön in die Höhe treiben, wenn man es auch nicht muss. Doch wer will schon als Langsamster hinter der Gruppe herhecheln? Außerdem sollte man sich auf stundenlanges Sattelsitzen einstellen, und zwar an mehreren Tagen hintereinander.
Auch die richtige Fahrtechnik ist entscheidend. Geübt sein sollte unter anderem das richtige Anfahren am steilen Berg, die richtige Gangwahl und die Wahl der richtigen Unterstützungsstufe bei losem Untergrund. Das sichere Bergabfahren auf losem Steinuntergrund stellt für die meisten nicht so versierten Mountainbiker die größte Herausforderung bei einem Alpencross dar.
Das Wissen über die ideale Trittfrequenz, um das Optimum an Motorunterstützung zu erhalten, ist ebenso von Vorteil wie Erfahrung beim Haushalten mit der Akkukapazität.

Die Route von Innsbruck an den Gardasee

Der Toureinstieg erfolgte in Natters bei Innsbruck. Genau genommen begann die Tour im Wirtshaus Nattererboden mit der Spezialität des Hauses, den Kasspatzl’n, und einer kleinen Vorstellungsrunde. Wie sich schnell herausstellte, hatten lediglich Picco, unser Guide, und ich mehrjährige Erfahrung auf dem E-Mountainbike. Die restlichen angehenden Alpencrosser waren zwar durchweg gute Radler, aber hatten zuvor noch nie auf einem elektrifizierten Mountainbike gesessen. Die gründliche Einweisung in die E-Bikes nahm entsprechend Zeit in Anspruch, sodass wir erst gegen 16 Uhr losfuhren. Zu dieser Uhrzeit sollte man bei einer konventionellen Alpenüberquerung eigentlich am Etappenort ankommen, zumal wir noch ca. 1.350 Höhenmeter und 34 km Fahrtstrecke vor uns hatten. Bei der Fahrt über das Stubaital und am Kloster Maria Waldrast vorbei ins Wipptal brachte Picco den E-MTB-Frischlingen den speziellen Umgang mit dem E-Mountainbike bei – und der übliche „E-MTB-Effekt“ setzte ein: leuchtende Augen überall. Spätestens beim Abendessen am ersten Etappenort in Trins war dann jedem klar, dass wir in den nächsten Tagen noch jede Menge Spaß haben würden.

Vor der Abfahrt am nächsten Morgen gab es, wie an den folgenden Tagen auch, von Picco ein kurzes Briefing über die anstehenden Tagesetappen und jeder konnte die anstehende Tour auf der Reliefkarte begutachten. Zunächst erfolgte die Auffahrt über Nösslach ins Obernbergtal. Vor dem Sattelberg zum Brenner Grenzkamm erreichten wir eine ausgewiesene Mountainbike-Schiebestrecke, aber dank Motorunterstützung verliert auch ein Uphill, der für normale Mountainbikes unfahrbar ist, seinen Schrecken. Die Schiebestrecke war plötzlich sehr wohl fahrbar und man wurde nur durch die eigene Fahrtechnik und eventuell zu lange Kurbeln limitiert. Von der alten Militärstraße mit ihren Bunkeranlagen aus dem Zweiten Weltkrieg bot der Brenner Grenzkamm einen großartigen Panoramablick auf die umliegenden Berge. Ein kurzer, schöner Moment – und schon fing es an zu regnen. Also Regenjacken an und ab auf die Trailabfahrt zum Etappenort Gossensass, um dem Tag noch seine große fahrtechnische Herausforderung zu geben.

Am dritten Tag ging es zunächst auf Asphalt- und Schotterstraßen zum Sonnenplateau Ritten mit einem Blick auf die Dolomiten, der Postkarten neidisch werden lässt. Bei der steilen Abfahrt ins Etschtal brachten wir unsere Bremsen an den Rand ihres Leistungsvermögens: Bremsgeruch machte sich bemerkbar und wir mussten zur Abkühlung unserer Bremsscheiben mehrere kurze Pausen einlegen. Je südlicher wir kamen, desto höher stiegen jetzt die Temperaturen und wir hatten gegenüber dem Vortag einen Temperaturanstieg von ca. 20 °C, als wir Bozen erreichten. So etwas will gefeiert werden: Bei einem kurzen Abstecher im Hotel Girlaner Hof, wo zwischenzeitlich unser Gepäck eingetroffen war, schnappten wir uns kurz Badehosen und Handtücher und schon saßen wir wieder auf den Bikes zum wohltemperierten Montiggler See. Damit war dann endgültig der gemütliche Teil eingeläutet – die Rückfahrt zum Hotel erfolgte auf ebenen bzw. nur leicht abfallenden super flowigen Trails, wie ich es liebe.

Am letzten Tag ging es teils über recht steile Auffahrten bis nach Andalo, dem Hochplateau der Paganella, und von dort aus abwärts zum Molvenosee am Fuße der Brenta. Dann der Moment: Wir kamen an der letzten größeren Steigung, ca. 30 km vor dem Bike-Eldorado Gardasee, mit unseren E-Mountainbikes an zwei schiebenden Alpencrossern mit konventionellen Mountainbikes vorbei. Nie waren mir die Vorteile von E-Mountainbikes eindrücklicher bewusst als in diesem Moment. Loser Untergrund auf steilen Rampen bei über 30 °C im Schatten sind mit dem E-Mountainbike einfach wesentlich entspannter zu bewältigen. Die Tour war anstrengend gewesen, klar. Aber der Spaßfaktor stand immer im Vordergrund und wir hatten mehr Gelegenheit, die fantastische Landschaft um uns herum zu genießen. Genau das taten wir jetzt auch wieder: Nach einem weiteren Anstieg erfolgte die lange Abfahrt zum schon in der Sonne glitzernden Toblinosee im Sarcatal. Danach ließen wir uns gemütlich ausrollen bis an den Sehnsuchtsort aller Alpencrosser, den Gardasee. Als wir ankamen, stand das kühle Bier schon bereit.

  Abenteuer mit der Starrgabel vs. Komfort-Tour mit dem E-Mountainbike – das Feeling beim Alpencross war beide Male grandios.

Das Resümee nach vier Tagen

Der Unterschied zu unserem ersten Alpencross hätte nicht größer sein können. Der geführte Alpencross mit dem E-Mountainbike fühlt sich zu Recht wie ein Rundum-sorglos-Paket an:
Vor dem Tourstart wurde das Rad nochmals vom Guide gecheckt, der Guide konnte unterwegs bei kleineren Reparaturen helfen und man musste sich keine Gedanken um die Streckenführung, den Mittagsstopp und die Übernachtungsmöglichkeit machen. Hinzu kamen noch die Reiseführerqualitäten des Guides und der Komfort des Gepäcktransportes, sodass man neben dem Allernotwendigsten lediglich die Schlechtwetterkleidung sowie einen Ersatzakku oder ein Ladegerät im Rucksack verstauen musste. Rundum sorglos eben!
Diese Art von Alpencross empfiehlt sich für alle Mountainbiker, die konditionell nicht mehr in Topform sind, aber trotzdem den Spirit einer Alpenüberquerung erleben möchten. Der Alpencross mit dem E-Mountainbike legt den Fokus auf Genuss, man hat mehr Freiraum, um sich an der Natur und der landschaftlichen Schönheit der Alpenwelt zu erfreuen, und man fällt am Etappenziel nicht todmüde ins Bett, sondern kann den Abend noch etwas genießen.
Wem ein geführter Alpencross nicht genügend Abenteuer bietet, der kann selbstverständlich auf eigene Faust über die Alpen cruisen und sich dabei z. B. an der Albrecht-Route für E-Mountainbiker orientieren. Das hilft besonders bei der Planung der Ladeoptionen.

Tipps für potenzielle Transalper

Bike

Ein Fully mit 140–160 mm Federweg, 200-mm-Bremsscheiben und einer absenkbaren Sattelstütze liefert maximale Sicherheit und riesigen Fahrspaß bei der Abfahrt. Außerdem sollte der Lieblingssattel montiert sein. Flatpedale bieten auf Trails mehr Sicherheit und falls man doch einmal schieben muss, ist man froh, keine Cleats am Schuh zu haben. Vor dem Tourstart sollte klar sein, ob man mit einem zweiten Akku fährt oder ob zur Mittagszeit nachgeladen wird.

Bike-Check

Ein gründlicher Bike-Check sollte nicht unmittelbar vor Tourbeginn erfolgen, sondern rechtzeitig zu Hause, damit notfalls noch eine Reparatur durch den Fachhändler stattfinden kann. Ein E-Mountainbike kann zwar den einen oder anderen Konditionsmangel ausgleichen, es sollte dafür aber im Top-Zustand an den Start gehen. Sind die Bremsbeläge und der Antrieb einschließlich Kette noch immer einwandfrei? Haben die Reifen noch ausreichend Grip? Ist das Fahrwerk auf das Mehrgewicht durch den Tagesrucksack eingestellt?
Auch bei einer geführten Tour sollte jeder Teilnehmer ein paar Dinge mitnehmen: ein Minitool, ein paar Ersatzteile wie Kette oder zumindest passende Kettennietstifte/Kettenschloss, Bremsbeläge, Schlauch oder Flickzeug.

Rucksack

Bikerucksack möglichst mit Rückenprotektor und Regenhülle, mit mind. 20 l, besser 25 l Fassungsvermögen für Ersatzakku und/oder Ladegerät, Schlechtwetterkleidung, Ersatztrikot, Wasserflasche, Ersatzteile, Müsliriegel etc. Bei einer Tourplanung ohne Gepäcktransport gewinnt der Rucksack dann natürlich an Bedeutung.

Checkliste zum Ausdrucken

Für diejenigen unter euch, die den Alpencross auf eigene Faust angehen wollen, haben wir eine Checkliste zum Ausdrucken vorbereitet. Trage deinen Namen und deine E-Mail-Adresse in das Formular ein, und wir schicken sie dir direkt in dein Postfach – kostenlos.


Anbieter für geführten Alpencross (wie oben beschrieben): asi-reisen.de
Anbieter für Trail.Trans.Alp (mit Lift, Gondel, Shuttle): ridehappy.de
Selbstorganisierte Transalp auf der Albrecht-Route


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Words & Photos: Manne Schmitt

Über den Autor

Manne Schmitt

Als stolzer Daddy von Robin und Max-Philip ist Manne der Mann der ersten Stunde und die „graue Eminenz“ im Redaktionsteam. Sein erstes Rad-Rennen gewann er im Grundschulalter beim Schulfest. Nach weniger erfolgreichen Versuchen im Fußball fand er über den Ausdauersport (Marathon) im Jahr 1989 seine Passion fürs Biken! Das Thema Racing verfolgt ihn noch immer, niemand im Team kennt die EWS-Profis besser als Manne. Als ehemaliger Chef-Analyst einer Landesbehörde weiß er, wie man richtig recherchiert, und findet exklusive News, die sonst niemand hat. Als Prokurist unterstützt er seine Söhne erfolgreich im Alltag – viva la familia!