E-MTBs sorgen auf dem Trail immer noch für Aufruhr. Die Fragen reichen von „Wie viel wiegt das?“ über „Darf ich mal?“ bis zu „Und wie weit kommst du mit einer Akkuladung?“. Wir wollten auf diese letzte Frage eine Antwort finden – an einem langen Tag, mit nur einer Akkuladung, einem Snickers und dem Wunsch, ohne Schieben wieder nach Hause zu kommen.
Die Entwicklung von E-MTBs schreitet so schnell voran – angesichts von E-MTB-spezifischen Antriebsgruppen, Reifen und Hochleistungsfahrwerken gibt es nicht mehr viel, das man nicht fahren kann. Doch wie weit man mit einem E-Bike kommt, ist natürlich begrenzt. Kann man damit einen kompletten Tag auf DH-Trails mit Liftunterstützung unterwegs sein? Kann man eine epische Wochenendtour fahren? Kann man einen ganzen Tag lang im Trailcenter Spaß haben, ohne Angst, dass man stehen bleibt und am Ende dann doch die tragische Figur ist, die das Bike nach Hause schiebt? Das wollten wir herausfinden.
Wie weit kommt man mit einer Ladung?
Glentress war der perfekte Ort für unser Experiment. Es liegt in der Region Borders im Süden Schottlands und ist ein Mountainbike-Paradies, das jedes Jahr etwa 385.000 Besucher willkommen heißt. Die ausgeschilderten Trails umfassen diverse Geländearten, bieten eine Vielzahl an Ausblicken und Spaß für Fahrer unterschiedlicher Niveaus. Ein Trip dorthin ist also eine großartige Möglichkeit, Spaß auf dem Bike zu haben, ohne dass man die Landkarte auspacken muss. Zusätzlicher Vorteil: Man ist immer in relativer Nähe von Kaffee und Kuchen. Wie beim Skifahren sind die Trails nach Schwierigkeitsgrad ausgezeichnet – es beginnt mit Grün für die Anfänger und geht bis Schwarz für die technisch anspruchsvollste Option.
Jede Menge Auswahl – doch wie weit ist zu weit?
Laut Website betragen die Längen der Trails 29 km (schwarz), 18 km (rot), und 16 km (blau), also insgesamt 63 km, was nach einem ordentlichen Tagesausflug aussieht. Ich würde sie in der Reihenfolge ihrer Schwierigkeit fahren und mit dem anspruchsvollsten beginnen; alles zusammengerechnet würde es durchaus knapp. Voll geladen gab das E-Contessa Genius 720 Plus eine voraussichtliche Reichweite von 69 km im Eco-Mode an – und das berücksichtigte noch nicht die 1.860 hm, die es zu überwinden galt. Es würde knapp werden … würde es überhaupt möglich sein?
Das Bike, mit dem ich diese Leistung vollbringen wollte, war das SCOTT E-Contessa Genius 720 Plus, das für diesen Job perfekt geeignet war. Es ist ein E-MTB für Frauen mit 27,5″-Plus-Laufrädern, 140/130 mm Federweg und einem Bosch Performance CX-Antrieb mit 500 Wh Akku. Auf den Abfahrten im Trailcenter war es komfortabel, die vertrauenserweckenden 2,8″-Reifen rollten über jeden Stein und jede Wurzel. Es wiegt etwa 21,5 kg, somit ist eine eurer Fragen schon mal beantwortet.
Paint it Black
Nachdem ich den „Trail Centre Hub“ (okay, das Café) verlassen hatte, schaltete ich den Akku an und stellte den Motor widerwillig auf den „Eco-Mode“, der etwa 50 % zusätzliche Unterstützung bei jedem Pedaltritt verschaffte. Das war effizient für den Akku und machte zwar deutlich weniger Spaß als Sprinten im Turbo-Modus. Dafür würde es nicht gleich meine Chancen zunichtemachen, tatsächlich den ganzen Tag mit nur einem Akku durchzuhalten. Der Eco-Mode fühlt sich manchmal gar nicht so an, als würde man groß Unterstützung bekommen, bis man auf andere Fahrer trifft und merkt, dass man sie abhängen kann, ohne sich wirklich anzustrengen. Ich entschied mich, als Erstes die längere, schwarze Strecke zu fahren, und machte mich mit dem sanften Surren des Motors unter mir auf den Weg zum höchsten Punkt der Runde.
Zur Unterstützung mit den etwas technischeren Features des Anstiegs gönnte ich mir eine Dosis Sport-Modus, wobei ich vergaß, wie viel Power das auf die Pedale bringt und in die falsche Richtung davonschoss. Und weiter ging es nach oben, durch Wind und Regen, über Wurzeln und Steine, ich kämpfte mich voran zu meinem Ziel, mit nichts als einem Snickers, um mich während dieser schweren Prüfung zu stärken. Eine Stunde später hatte ich den längsten Anstieg des Tages abgehakt und 14 km geschafft. Ich warf einen kurzen Blick auf die Akku-Anzeige, um zu sehen, wie die Lage war. Ein Balken Akkuladung weg und … Moment mal, nur noch 18 km voraussichtliche Reichweite! Ich hatte doch noch 49 km vor mir!
Die angezeigte voraussichtliche Reichweite wird auf Basis der Annahme berechnet, dass man im selben Modus und mit denselben Anforderungen an den Motor weiterfährt wie zuvor. Ich hatte auf dem letzten Stück des Anstiegs den Tour-Modus genutzt und das hatte Spuren an der Anzeige hinterlassen, doch es war okay: Jetzt war ich oben, jetzt ging es nur noch abwärts (das stimmte natürlich nicht, es war noch ziemlich viel „aufwärts“ übrig).
The First Ride is the Sweetest
Ich begann, den Berg hinunterzurollen, und die Reichweitenanzeige stieg zum Glück wieder an. Das Extragewicht des Bikes ließ mich die verblockten Trails der schwarzen Abfahrt nur so hinabrauschen. Da es gelegentlich Mini-Gegenanstiege gab, ließ ich den Motor an, um den Schwung und den Spaßfaktor zu halten. Durch die Kombination von Tempo, Gewicht und Schwung hatte ich von selbst immer wieder eine Menge Airtime, doch die Landung fühlte sich stets stabil an, und mein Selbstvertrauen wuchs. Es ging die „Deliverance“-Abfahrt runter und den „Redemption“-Anstieg wieder hoch, und das Summen des Motors begleitete mich durch diese (gefühlt) entlegenen Wälder. Nach 2 h 13 min rollte ich zurück zur Basis, die schwarze Route war abgeschlossen – zwar in bedeutend längerer Zeit als der Strava-Rekord für Nicht-E-MTBs, doch ich fühlte mich noch frisch und bereit, gleich wieder loszulegen.
Lady in Red
Die rote Runde war viel kürzer als die schwarze, aber die Abfahrten waren zum größten Teil ebenso technisch. Los ging es bergauf und der Akku zehrte stetig von seiner Ladung. Um ein bisschen Energie zu sparen, schaltete ich auf Abfahrten die Unterstützung aus und verzichtete auf die Extrapower in Kurvenausfahrten, schließlich wollte ich meine Challenge komplett absolvieren und nach Hause kommen, ohne dafür mitten im Wald per Telefon Hilfe anfordern zu müssen. Auf dem höchsten Punkt der roten Route checkte ich meinen Akkustand: Nur zwei von fünf Balken waren noch da und 14 km Reichweite wurden angezeigt – ich fragte mich langsam, ob ich noch eine Runde anfangen, geschweige denn sie zu Ende bringen konnte. Doch darüber konnte ich mir noch immer Gedanken machen, wenn ich unten war. Jetzt hatte ich erst mal ein Stück erstklassigen Singletrail vor mir, mit Anliegern, Drops, Sprüngen und Rundum-Spaß, also runter mit der Sattelstütze und rein ins Vergnügen!
I Guess that’s why they call it the Blue
Ich war unten und die angezeigte Reichweite war zum Glück wieder gestiegen. Die blaue Runde schien plötzlich doch wieder machbar, also los, noch einmal hoch und meine Mission war erfüllt. Während des Anstiegs konnte ich zusehen, wie die Zahlen langsam Richtung Einstelligkeit dümpelten, es ging kurz bergab, dann wieder hoch, und da, ein Anfall von Verrücktheit – auf dem Display erschien „12 km“, doch der Anstieg konnte nicht mehr annähernd so lang sein und für nichts sonst brauchte ich die Unterstützung, also vielleicht, nur vielleicht, konnte ich den Antrieb eins weiter hochschalten in den wundervollen Tour-Mode, und ein bisschen cruisen …
Im Tour-Modus wurde ich schneller und schneller, die Reichweite fiel auf 6 km, aber das war okay – das war ja noch, na ja, meilenweit. In meinem neuen, schellen Modus sauste ich den Trail hoch, die Steine und Kurven waren einfach großartig, allmählich holte ich auch einen anderen Fahrer ein – ah, das wunderbare, leicht schuldige Gefühl, jemand mit einem E-Bike zu überholen. Ich sah, wie er zu mir rüberschaute und zu begreifen versuchte, wie jemand (eine Frau!) auf einem Trailbike ihn in diesem Tempo einholte. Ohne nach Luft schnappen zu müssen, schloss ich zu ihm auf, überholte ihn, als der Trail breiter wurde – und konnte seine Erleichterung sehen: „Es ist okay! Es ist ein E-MTB, ich werde hier nicht auf ’nem Anstieg von einem Plus-Bike abserviert.“
Nachdem ich ihn überholt hatte, musste ich das Tempo halten, damit es nicht aussah, als hätte ich bloß angeben wollte, also blieb ich im Tour-Modus. Oben am Ende des Trails kam ich wieder zur Vernunft, es ging noch ein bisschen weiter bergauf und der Akku hatte schon zu kämpfen. Ich schaltete auf Eco-Modus, doch die Reichweitenanzeige bewegt sich kaum. Ich war so nah dran! Vorsichtig pedalierte ich aufwärts und es fühlte sich an, als würde ich kaum vorankommen. Doch ich ließ noch immer andere Fahrer hinter mir, jeder von ihnen warf einen verstohlenen Blick in meine Richtung und fragte sich unauffällig, wie ich wohl dieses Uphill-Wunder vollbrachte. Auf dem letzten steilen Stück des Anstiegs klickte ich ein letztes Mal auf „Tour“, bevor ich schließlich zum Beginn der Abfahrt rollte. Ich hatte noch einen Kilometer Reichweite und die Ladestandsanzeige blinkte hell im Dunkel zwischen den Bäumen.
Just the Two of Us – We Can Make it if We Try
Ganz vorsichtig hätschelte ich das Bike Richtung Heimat, Motor aus, sobald es bergab ging, und im Eco-Modus auf den kleinen Anstiegen. Endlich war ich am Anfang der letzten Abfahrt angelangt, stellte mich auf die Pedale und wollte mich auf den Heimweg machen – aber oh weh, ich hatte es ganz vergessen … Da war ja noch dieses kleine Extrastück auf der blauen Runde, das selten gefahren wird. Zum Teil wohl, weil es so einfach ist, aber vor allem, weil man noch mal ein winziges Stück bergauf muss, wenn man das Gefühl hat, eigentlich schon fertig zu sein. Der Akku war am Ende, alles was ich hatte, war ein sehr schweres Bike. Aber die Runde nicht fertig zu machen, hieße schummeln.
Also wandte ich mich ab von der Richtung, wo Zuhause lag, stellte mich in die Pedale und benutzte nun meine Muskelkraft, nicht mehr den Motor, um den Berg hochzukommen. Anstatt aus den Kurven rauszupedalieren versuchte ich, so viel Schwung wie möglich mitzunehmen, sobald es ein bisschen abwärts ging, und schließlich hatte ich es geschafft – ich rollte Richtung Trail Center Hub, dem Ende meiner Tour entgegen.
The Winner Takes it All!
Strava sagt, ich bin 59,6 km in 4,31 Stunden gefahren und hatte 1.861 Höhenmeter überwunden, mit einer maximalen Herzfrequenz von 156 BPM. Beim Fahren war ich nie außer Atem gewesen, doch meine Beine waren jetzt schwer und meine Arme müde vom Manövrieren des schweren Bikes. Auch wenn ich die Strecke geschafft hatte, war es alles andere als ein Kinderspiel gewesen.
Ich hatte also die Frage beantwortet: Wenn man vorwiegend den Eco-Mode verwendet, ist es möglich, (fast) jeden Trail im Trailcenter mit nur einer Ladung zu fahren. E-MTBs sind in Großbritannien immer noch ein ungewohnter Anblick, aber immerhin war ich in vier Stunden mehr Trails gefahren als die meisten Leute an einem ganzen Wochenende!
Hat dir dieser Artikel gefallen? Dann würde es uns sehr freuen, wenn auch du uns als Supporter mit einem monatlichen Beitrag unterstützt. Als E-MOUNTAINBIKE-Supporter sicherst du dem hochwertigen Bike-Journalismus eine nachhaltige Zukunft und sorgst dafür, dass der E-Mountainbike-Sport auch weiter ein kostenloses und frei zugängliches Leitmedium hat! Jetzt Supporter werden!
Words: Catherine Smith Photos: Trev Worsey