Das neue Canyon Spectral:ON 2022 will als innovative Spaßmaschine Reichweitenängste besiegen! Wir hatten das Spectral:ON CFR LTD-Topmodell für 11.299 € im Test. Die Eckdaten: 22 kg, 900-Wh- oder 720-Wh-Akku, Shimano EP8-Motor und elektronisches RockShox Flight Attendant-Fahrwerk. Ist das Bike Vorreiter einer neuen E-MTB-Generation?

Canyon Spectral:ON CFR LTD | Shimano EP8/900 Wh | 150/155 mm (v/h)
22,88 kg in Größe M (21,98 kg mit 720-Wh-Akku) | Hersteller-Website

Das neue Canyon Spectral:ON hat auf dem Papier Ähnlichkeiten mit seinem Vorgänger: Es besitzt immer noch 150 mm Federweg, rollt auf gemischten Laufradgrößen und verpackt das alles in einen schnittigen Carbon-Rahmen. Bei genauerer Betrachtung fallen jedoch die Unterschiede zwischen den zwei Modellgenerationen auf – und die sind signifikant! Kern der Neuentwicklung ist das neue Akkukonzept, um Reichweitenängste zu eliminieren. Dazu bietet Canyon das neue Spectral:ON in zwei verschiedenen Varianten an: einmal mit 900 Wh, einmal mit 720 Wh. Und zwar in einem Gesamtpaket, das nur so viel wiegt wie das Vorgängermodell mit 630 Wh! Durch einen vollkommen neu konstruierten Carbon-Rahmen wollen die Koblenzer Komplexität und Gewicht reduziert haben.
In Größe M wiegt das von uns getestete Spectral:ON CFR LTD mit 900 Wh nur 22,88 kg, was sicher einen Gewichtsrekord in dieser Liga darstellt. Mit kleinerem 720-Wh-Akku schafft es das E-MTB sogar, knapp unter der 22-kg-Marke zu bleiben. Hat Canyon hierfür einfach gezaubert oder oder musste das Team Kompromisse eingehen, um das Gewicht und die Komplexität derart zu reduzieren?

Das neue Canyon Spectral:ON CFR LTD 2022 im Detail – Ist weniger mehr?

Eins vorweg: Die Form- und Designsprache des Bikes ist absolut gelungen. Das neue Spectral:ON wirkt mit seinen definierten Kanten und dem flachen Unterrohr sehr gut proportioniert, hochwertig und sexy! Im Gegensatz zum Vorgängermodell entfällt der große Ausschnitt im Unterrohr, durch den man früher den Akku entnommen hat. Auch der praktische USB-C-Ladeport am Oberrohr wurde wegrationalisiert. Dadurch sollte das Gewicht des Bikes reduziert und die Komplexität verringert werden. Die Koblenzer wollten ein leichtes und verspieltes E-Bike konstruieren, das durch den Riesenakku alle Bedenken zur Reichweite nichtig macht, ohne dabei einen Kompromiss bei den Fahreigenschaften einzugehen. Dafür wurde der Rahmen neu konstruiert und mit einem Carbon-Hinterbau versehen. Außerdem wurden eigens zwei Akkus mit 900 Wh und 720 Wh entwickelt, die beim Kauf je nach Gusto ausgewählt werden können. Die beiden Akkuoptionen unterscheiden sich in ihrer Länge und in ihrem Gewicht: Der 900-Wh-Akku ist circa 11 cm länger und bringt rund 900 g mehr auf die Waage. Genau gesagt wiegt der 720-Wh-Akku 3.862 g und der große 900-Wh-Akku 4.756 g. Der große Akku fällt nicht nur auf der Waage mehr ins Gewicht, er kostet auch 300 € mehr. Das Konzept erinnert an das Norco Sight VLT, das wir im Rahmen unseres Highend-E-Mountainbike-Vergleichstests ausgiebig getestet haben. Das Norco hatte zwar noch eine dritte Akkuvariante mit 540 Wh im Sortiment, auf dem europäischen Markt wurden die Akkuvarianten für viele Modelle jedoch fix vorgegeben und es bestand aufgrund von Lagerproblemen keine Wahlmöglichkeit. Das wiederum sieht bei Canyon anders aus. Hier hat man ab Rahmengröße M die Wahl zwischen beiden Optionen. Die Ausnahme bilden Bikes in der kleinsten Rahmengröße S – sie bieten zielgruppengerecht nur Platz für den 720-Wh-Akku.

Canyon reist mit leichtem Gepäck. Für die Präsentation ihres neuesten Bikes bei uns in Leonberg haben die Koblenzer einige Spectral:ON mitgebracht. Bei guten 22 kg pro Bike konnten sie dafür den Schwerlasttransporter zu Hause lassen.

Der Standardakku von Shimano war dem Team von Canyon zu bauchig und hätte die Geometrie des Spectral:ON zu sehr beschnitten, darum hat man sich für ein flaches und dafür breites Akkugehäuse entschieden. Um Komplexität, mögliche Schwachstellen und letzten Endes auch das Gewicht zu minimieren, hat Canyon den An-Aus-Knopf verlagert. Er wirkt nun als Push-through-Button auf den Knopf direkt auf dem Akku. Der Nachteil: Es gibt keine USB-C-Ladbuchse mehr und der Druckpunkt des Knopfs fällt ausgesprochen schwammig aus!

Für den Akku und die Anordnung der Zellen wurde ein Modell angefertigt. Der Clou: Um die Bauhöhe des Akkus zu verringern, wurde das Batteriemanagementsystem seitlich platziert.

Der Akku übernimmt übrigens deutlich mehr Verantwortung als bisher: Das Bike besitzt z. B. keinen eigenständigen Ladeport mehr. Das E-MTB wird stattdessen direkt über den Stromstecker am Akku geladen, über den auch der Shimano EP8-Motor mit Strom versorgt wird. Das vermindert zwar die Komplexität, erhöht aber auch in Einzelfällen die Störanfälligkeit. Wird die magnetische Steckerverbindung zwischen Akku und Motor durch Fußkontakt unterbrochen, was während unseres Tests vereinzelt vorkam, ist das E-MTB z. B. sofort aus und muss neu gestartet werden. Der Sitz des Steckers sowie seine Blende sind nicht zu 100 % passgenau – das kann im Fahrbetrieb sowie unter sehr schlammigen Bedingungen zu Komplikationen führen.

Schwammiger Druckpunkt: Der An-Aus-Knopf wirkt als Push-through-Button lediglich auf den Knopf direkt auf dem Akku. Bei so vielen Lagen geht einiges an Gefühl verloren.
Für mehr Haltbarkeit: Das bisherige Spectral:ON hatte Haltbarkeitsprobleme am Hinterbau. Canyon verbaut beim neuen Spectral:ON größere und bessere Lager – top!

Egal für welchen Akku ihr euch entscheidet, ihr könnt ihn nach unten entnehmen. Dort kommt ein Motor- und Akku-Cover zum Einsatz, das per Gummilasche gesichert ist. Praktisch: Man muss keine Veränderungen am Cover oder an der Akkuaufnahme vornehmen, um zwischen den zwei unterschiedlich langen Akkus hin und her zu tauschen.

Das Cover ist mit einer Gummilasche gesichert. So kann man es zum Akkutausch einfach wegklappen.
Ganz werkzeugfrei gelingt die Akkuentnahme nicht: Zwei Schrauben halten ihn sicher an Ort und Stelle
Zur Entnahme lassen sich die Schrauben an zwei Magneten auf der Innenseite des Covers befestigen.
Das ist der knapp 53 cm lange Akku mit 900 Wh Kapazität.
Achtung, geringe Bodenfreiheit! Nach einem Aufsetzer (von mehreren während des Tests) hat das Akku- und Motorcover einen Riss davongetragen.
Außerdem sind die Magnete und eine Niete zur Befestigung abgebrochen.
Der Flaschenhalter ist durch eine Speziallösung an drei Punkten angeschraubt. Er stützt sich am dicken Tretlagerbereich ab, statt mit langen Schrauben tief ins Unterrohr vorzudringen – dadurch konnte Canyon es sich leisten, ein flacheres Unterrohr zu realisieren
Die Blende der Steckverbindung zwischen Akku und Motor ist nicht zu 100 % passgenau und bietet durch die schiere Größe viel Angriffsfläche, um mit dem Schuh den Stecker zu ziehen – an unserem Test-Bike ist uns das vereinzelt passiert.
Auch ’ne Lösung? Die Kette berührt den Kettenstrebenschutz in den vier schwersten Gängen. Nach den ersten paar 100 Testkilometern hat sich dadurch zwar noch kein Verschleiß am Kettenstrebenschutz gezeigt – ob das aber auch auf Dauer so bleibt, können wir noch nicht sagen.
Cleane Integration: Am Spectral:ON CFR LTD sind alle Kabel und Züge sauber verlegt. Dank elektrischer Komponenten der SRAM AXS-Serie sind es nur zwei Bremsleitungen und zwei Kabel.

Der Rahmen verzichtet zudem gänzlich auf Kabelports, stattdessen laufen alle Kabel und Leitungen durch kleine Plugs durch den Steuersatz in den Rahmen. Das sorgt für eine cleane Optik. Der Kettenstrebenschutz trägt zwar zu einem leisen Bike bei, allerdings liegt die Kette ab dem viertschwersten Gang dort auf und reibt offensichtlich. Den Bemühungen für ein leises Bike macht das bekannte Klappern des Shimano-Motors einen Strich durch die Rechnung.

Die Ausstattung des neuen Canyon Spectral:ON CFR LTD 2022 – Flugassistenz inklusive

CFR steht für Canyon Factory Racing – den Zusatz verleiht Canyon nur den Topmodellen im Portfolio, die im Gegensatz zu den CF-Modellen auf ein speziell angepasstes Carbon-Layup setzen. Das CFR in der LTD Edition erhält zusätzlich das elektronisch adaptive Premium-Fahrwerk Flight Attendant von RockShox. Außerdem hat das Spectral:ON CFR LTD die elektrische SRAM XX1 Eagle AXS-Schaltgruppe und Reverb AXS-Sattelstütze spendiert bekommen. Aufgrund von schlechter Verfügbarkeit findet man unter dem linken Daumen bisher nur den Knopf für die Funksattelstütze beim Canyon Spectral:ON CFR LTD. Die Fernbedienung für den Flight Attendant-Override-Modus, mit dem man den Automatikmodus außer Kraft setzen kann, soll laut Canyon noch kommen. Für die Verzögerung sorgen SRAM CODE RSC-Bremsen mit großen 200-mm-Bremsscheiben vorne wie hinten.

Canyon Spectral:ON CFR LTD | 11.299 €

Canyon Spectral:ON CFR LTD

11.299 €

Ausstattung

Motor Shimano EP8 85 Nm
Akku Simplo Trendpower Custom by Canyon 900/720 Wh
Display Shimano SC-EM800
Federgabel RockShox Lyrik Ultimate Flight Attendant 150 mm
Dämpfer RockShox Super Deluxe Ultra Flight Attendant 155 mm
Sattelstütze RockShox Reverb AXS 150 mm
Bremsen Sram CODE RSC 200/200 mm
Schaltung SRAM XX1 Eagle AXS 1x12
Vorbau integrated 50 mm
Lenker CP 0012 760/780 mm
Laufradsatz DT Swiss HXC 1501 29"/27,5"
Reifen MAXXIS ASSEGAI EXO/ MINION DHR EXO+ 2,5"/2,6"

Technische Daten

Größe S M L XL
Gewicht 22,88 kg
Zul. Gesamtgewicht 130
Max. Gewicht Fahrer/Equipment 107 kg
Anhänger-Freigabe Nein
Ständeraufnahme Nein

RockShox Flight Attendant am Canyon Spectral:ON CFR – Für die Zeit nach der Flugphase

Das Canyon Spectral:ON CFR LTD ist das erste E-Bike weltweit, das mit dem elektrisch adaptiven Flight Attendant-Fahrwerk von RockShox ausgestattet wurde. Hierbei wechseln Gabel sowie Dämpfer selbständig je nach Fahrsituation zwischen den drei Modi Open, Pedal und Lock. Das geschieht über eine Vielzahl von Sensoren, deren Informationen über den AXS-Funkstandard im Control Modul an der Dämpfungseinheit der Gabel zusammenlaufen. Das System sorgt durch die App für eine vereinfachte Fahrwerkseinstellung. Es erhöht aber natürlich zusammen mit den zusätzlichen Bauteilen und Akkus die Komplexität des gesamten Bikes. Wer mehr dazu wissen möchte, findet einen ausführlichen Artikel zum RockShox Flight Attendant-Fahrwerk in unserem Schwestermagazin ENDURO.

Die Heilige Dreifaltigkeit der Flugbegleitung: Control-Modul an der Federgabel, …
… Steuereinheit am Dämpfer und …
… Pedaliersensor in der Kurbelachse.

Weitere Ausstattungsvarianten des Canyon Spectral:ON CFR

Neben der CFR LTD-Ausstattung ist das Canyon Spectral:ON noch in der CFR-Ausstattung erhältlich mit fein justierbarem FOX Factory-Fahrwerk, Shimano XTR-Bremsen und analoger XTR-Schaltung. Das CFR-Modell konnten wir auch schon testen. Das Bike mit analogem Fahrwerk verfügt zwar über weniger Technik-Bling-Bling, glänzt dafür aber mit einer top Performance – und ist ganz klar unser persönlicher Favorit in der Modellreihe! Wer auf das digitale Fahrwerk verzichtet, kann hier 2.000 € sparen und muss sich nicht um den Ladestatus von vier AXS-Akkus kümmern – perfekt bei schlechter Ladedisziplin, bei der man sich über jeden Puffer freut, den die 900 Wh einem bieten!

Canyon Spectral:ON CFR | 9.299 €

Canyon Spectral:ON CFR

9.299 €

Ausstattung

Motor Shimano EP8 85 Nm
Akku Simplo Trendpower Custom by Canyon 900/720 Wh
Display Shimano SC-EM800
Federgabel FOX 36 Factory Grip2 150 mm
Dämpfer Fox Float X Factory 155 mm
Sattelstütze FOX Transfer 150 mm
Bremsen Shimano XTR 200/200 mm
Schaltung Shimano XTR 1x12
Vorbau Canyon 45 mm
Lenker HB0057 760/780 mm
Laufradsatz Reynolds TRE309 29"/27,5"
Reifen MAXXIS ASSEGAI EXO/ MINION DHR EXO+ 2,5"/2,6"

Technische Daten

Größe S M L XL
Gewicht 22,85 kg
Zul. Gesamtgewicht 130
Max. Gewicht Fahrer/Equipment 107 kg
Anhänger-Freigabe Nein
Ständeraufnahme Nein

Außerdem werden ab Mai noch drei Canyon Spectral:ON CF-Modelle angeboten. Einen Testbericht zum neuen Spectral:ON CF 8 2022 findet ihr in unserem Vergleichstest „Das beste E-Mountainbike für unter 6.500 €“ in der kommenden digitalen App-Ausgabe Ende April – wie immer für lau! Das Spectral:ON CF 8 setzt auf das FOX Performance-Fahrwerk und Shimano SLX-Bremsen. Weiterhin gibt es das Einstiegsmodell Canyon Spectral:ON 7 und das teuerste unter den CFR-Modellen mit der Kennzahl 9. Die finalen Preise dazu folgen noch.

Canyon Spectral:ON CF 8 | verfügbar ab Mai 2022 | in unserem großen Budget-Vergleichstest bereits Ende April

Verfügbarkeit der neuen Canyon Spectral:ON CFR 2022-Modelle und Akkuvarianten

Die Canyon Spectral:ON CFR-Modelle sind ab sofort verfügbar, im ersten Monat jedoch nur mit 900-Wh-Akku. Canyon hat schon seit Dezember Bikes produziert, damit eine ausreichende Menge auf Lager ist. Die CF-Modelle folgen einen Monat später und sollen ab Mai erhältlich sein. Dann werden auch erst alle anderen Modelle mit 720-Wh-Akku zu kaufen sein. Die Preisdifferenz zwischen den beiden Akkuvarianten beträgt 300 €.

Helm POC Kortal | Brille POC Devour | Hippack Camelbak Podium Flow 4 | Shirt DHaRCO Gravity Jersey Shuttle Daze | Hose DHaRCO Gravity Pants | Schuhe ION Scrub Amp | Socken Stance | Handschuhe DHaRCO Razzle

Die Geometrie des Canyon Spectral:ON CFR 2022

Die Bikes sind in den Größen S bis XL zu haben und decken damit laut Canyon alle Körpergrößen von 166 cm bis 200 cm ab. Im Vergleich zum Vorjahresmodell ist der Lenkwinkel um 1° flacher geworden, während der Sitzwinkel mittlerweile 2° steiler ausfällt. Insgesamt ist das Bike über alle Größen hinweg ein wenig gewachsen – der alte Reach in Größe L entspricht dem M-Rahmen des aktuellen Modells. Die Kettenstreben des neuen Vollcarbon-Modells sind im Gegensatz zum Vorgänger um 5 mm auf 440 mm Länge angewachsen. Die Integration des 900-Wh-Akkus ist Canyon ab Rahmengröße M gelungen. Kleine und in der Regel leichtere Fahrer werden zielgruppengerecht mit dem 720-Wh-Akku versorgt.

Größe S M L XL
Oberrohr 587 mm 614 mm 642 mm 669 mm
Sattelrohr 420 mm 440 mm 460 mm 480 mm
Steuerrohr 115 mm 125 mm 135 mm 145 mm
Lenkwinkel 65,5° 65,5° 65,5° 65,5°
Sitzwinkel 76,5° 76,5° 76,5° 76,5°
BB Drop 35,5 mm 35,5 mm 35,5 mm 35,5 mm
Kettenstrebe 440 mm 440 mm 440 mm 440 mm
Radstand 1194 mm 1223 mm 1252 mm 1281 mm
Reach 435 mm 460 mm 485 mm 510 mm
Stack 634 mm 643 mm 652 mm 661 mm

Das neue Canyon Spectral:ON CFR LTD 2022 im Test – Mit 900 Wh kannst du’s nicht besser, nur länger

Die Sitzposition fällt auf dem Canyon Spectral:ON CFR LTD angenehm aufrecht und tourentauglich aus. Es lastet mehr Gewicht auf dem Sattel als auf den Handballen und der Front. Dennoch bietet die LTD-Variante mit Flight Attendant-Fahrwerk wenig Tourenkomfort. Sobald der Trittfrequenzsensor eine konstante Kadenz verzeichnet, schaltet das Fahrwerk in den Pedal-Mode – auch beim Bias-Setting auf Open. Dadurch werden Unebenheiten sehr direkt an den Piloten weitergeleitet. Der versprochene Effizienzgewinn des Flight Attendant mündet beim Spectral:ON CFR LTD in weniger Komfort. Auf unwegsamen Wald- und Feldwegen mangelt es daher an Fahrkomfort und lange Ein- oder Zwei-Tages-Touren gehen aufs Sitzfleisch. Hier ist das 2.000 € günstigere CFR-Modell mit FOX-Fahrwerk deutlich komfortabler und unsere Empfehlung für alle, die regelmäßig lange Touren auf gemäßigtem Untergrund unternehmen wollen!

Technische Uphills gelingen dem neuen Spectral:ON deutlich besser als seinem Vorgänger. Das liegt an seiner angepassten Geometrie, genauer: an den längeren Kettenstreben und dem steileren Sitzwinkel. Zudem steht das Fahrwerk hoch im Federweg, wodurch die Front später anfängt zu steigen.

Ein kritischer Punkt, der im technischen Uphill genauso gilt wie auf allen technischen Trails: Beim neuen Spectral:ON muss man auf die Pedalstellung und das tiefe Tretlager achten, da es sonst schnell zu unschönen Aufsetzern kommen kann. Während unseres Tess hatten wir zahlreiche Pedalaufsetzer – unvorsichtige Fahranfänger kann das schnell aus der Balance bringen. Bei größeren Stufen und Absätzen kann es außerdem zu Motoraufsetzern kommen – so ist unser Motorcover angebrochen und die Magnete, welche die Akkuschrauben beim Ausbau halten sollen, haben sich dabei aus ihrer Verklebung gelöst.

Das neue Spectral:ON lässt sich leicht über kleine Hindernisse lupfen oder an Kanten in die Luft befördern, was den verspielten Charakter unterstreicht: Spontane Wendemanöver gelingen auf dem Canyon mit Leichtigkeit.

Ist der E-MTB-Hauptakku samt den vier AXS-Akkus voll aufgeladen und für den Traileinsatz bereit, zeigt sich das intuitive Handling, von dem sportliche und aktive Fahrer profitieren. Aber auch Anfänger kommen mit dem neuen Spectral:ON gut zurecht, denn Canyon ist beim Austarieren des Bikes ein eindrucksvoller Balanceakt gelungen: Sowohl mit 720-Wh-Akku als auch dem rund 900 g schwereren 900-Wh-Akku ist es sehr quirlig und geht selbst mit großem Akku wohlwollend aufs Hinterrad. Auch wenn man annehmen müsste, dass sich der lange Akku negativ auf die Gewichtsverteilung auswirkt, ist das neue Spectral:ON weder frontlastig noch bekommt man das Gewicht des großen Akkus negativ zu spüren. Hier greifen die Vorteile des geringen Gesamtgewichts von nur 22,8 kg und die ausgewogene Gewichtsverteilung.

Wird es sehr schnell, büßt das Canyon durch das straffe Fahrwerk und die agile Geometrie Sicherheitsgefühl ein und wirkt etwas überfordert. Das Fahrwerk bietet zwar genug Reserven, um bei Landungen ins Flache nicht harsch durchzuschlagen. Auch grobe Schläge vom Untergrund fängt es zuverlässig ab, aber auf langen Wurzelteppichen und ausgefahrenen Pisten mit vielen Bremswellen gelingt es dem Spectral:ON CFR LTD einfach nicht, alles plattzubügeln. Schwere Fahrer und Ballermänner mit aggressivem Fahrstil sollten angesichts der Carbonfelgen außerdem über Reifen mit einer robusteren Karkasse nachdenken. Unter diesen Bedingungen und im anspruchsvollen Gelände lautet unsere Empfehlung: Reifen mit einer EXO+ Karkasse am Vorderrad und Doubledown am Hinterrad aufziehen.

Bergab steht man gut integriert im neuen Canyon. Das Fahrwerk hat in jeder Situation ordentlich Gegenhalt und bietet gutes Feedback vom Untergrund.

Canyon Spectral:ON 2022: 900 Wh oder 720 Wh – Welcher Akku lohnt sich?

Keine Frage: Fette 900 Wh klingen verlockend, aber braucht man sie wirklich? Für den Großteil der Fahrer werden 720 Wh zweifelsohne ausreichen! Lohnen also die 300 € Aufpreis für 180 Wh, was faktisch „nur“ 20 % mehr Saft ist? Im Falle des Canyon Spectral:ON meinen wir: ja! Einerseits weil der große Akku keine negativen Auswirkungen auf das Handling hat, andererseits weil Reichweitenängste – die nicht einmal rational begründet sein müssen – damit endgültig passé sind und weil der große Akku weniger Ladedisziplin benötigt. Nach kürzeren Rides muss man das Bike nicht zwangsläufig sofort wieder anstöpseln und bei gleicher Benutzung hat ein größerer Akku eine längere Lebensdauer. Die nackten Zahlen sprechen für sich: Bei dem 11.300 € teuren Topmodell bedeuten die 300 € Aufpreis 20 % mehr Akkukapazität für gerade mal knapp 3 % Mehrkosten!

Ist das Canyon Spectral:ON 2022 Vorreiter einer neuen E-MTB-Generation?

In Zukunft werden wir 900-Wh-Akkus sicherlich vermehrt sehen. Bereits in unserem E-MOUNTAINBIKE-Vergleichstest haben wir darüber gesprochen, dass 750 Wh fast schon zum neuen „Normal“ geworden sind, was der Fahrperformance nicht unbedingt zuträglich ist. Mit dem neuen Spectral:ON ist den Koblenzern jedoch ein Balanceakt gelungen, bei dem die 900 Wh keinen Nachteil im Handling gegenüber der 720-Wh-Variante bedeuten. Das lässt sich jedoch nicht verallgemeinern, wie man an anderen E-Bikes mit großem Akku sieht. Deshalb lautet unser Credo nach wie vor: So wenig wie möglich, so viel wie nötig! Denn mehr Kapazität lässt sich nicht herbeizaubern, sondern bedeutet zwangsläufig immer mehr Gewicht. Gewicht, das falsch positioniert das Handling deutlich beeinflussen kann oder durch Leichtbauteile kaschiert werden muss. Im Falle des neuen Spectral:ON hat Canyon clever Gewicht an diversen Stellen des Rahmens und durch Simplifizierung eingespart und kommt so auf ein beeindruckendes Gesamtpaket. Allerdings sorgt die gewichtssparende Integration des Antriebssystems auch für einige Kompromisse und Nachteile, z. B. die aufwendigere Akkuentnahme und den störanfälligeren Ladeport bzw. die Verbindung von Akku und Motor. Trotz dieser Kinderkrankheiten zeigt Canyon, was technisch möglich ist. Ob das Spectral:ON zum Vorbild einer neuen Generation wattstundenreicher E-MTBs wird, wird sich zeigen! Generell sind wir jedoch der Überzeugung, dass Industrie, Handel und Medien mehr Aufklärung über die Faktoren, die die reale Reichweite definieren, betreiben sollen, um Reichweitenängste zu reduzieren als in ein stumpfes Akku-Wettrüsten zu verfallen!

Unser Fazit

Das neue Canyon Spectral:ON 2022 ist ein leichtfüßiger Everyday-Hero mit verspieltem Charakter und riesiger Akkukapazität, das sowohl für Einsteiger als auch Experten intuitiv zu fahren ist. Dank der 900-Wh-Akku-Option gehören jegliche Reichweitenängste der Vergangenheit an, ohne dass man Einbußen beim Handling verzeichnen muss! Einzig in der aufwendigeren Akkuentnahme oder dem störanfälligen Ladeport muss man Kompromisse in Kauf nehmen. Die entspannte Sitzposition macht das Bike zusammen mit dem großen Akku attraktiv für Tourenfahrer – zumindest in der CFR-Variante mit dem komfortableren FOX-Fahrwerk. Das Flight Attendant-Fahrwerk des LTD-Modells bringt Prestige, aber in der Praxis keine Vorteile. In Summe ist das neue Canyon Spectral:ON deutlich besser als sein Vorgänger. Im extremen Gelände – bergauf wie bergab – gibt es jedoch noch bessere Bikes! Aufgrund des tiefen Tretlagers ist Vorsicht vor Pedalaufsetzern geboten.

Tops

  • gelungene Integration des Riesenakkus
  • minimalistisches, aufgeräumtes Cockpit
  • gelungene Form- und Designsprache
  • leichtfüßig und verspielt

Flops

  • Flight Attendant bringt keinen Mehrwert an diesem Bike
  • Bike wird bei Highspeed unruhig
  • Pedalaufsetzer
  • störanfälliger Ladeport

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Words: Julian Schwede, Robin Schmitt, Simon Kohler Photos: Robin Schmitt