E-Mountainbikes hatten bislang Glück. Die ganze Laufradgrößen-Diskussion um 26″, 27,5″ und 29″ war schon so gut wie vorbei, als die große E-MTB-Welle aufkam. Dennoch sorgt das Thema Reifen – im Speziellen die Breite und das Volumen – aktuell für hitzige Diskussionen. Und gerade im Bereich E-Mountainbike sollten wir diese auch ausführlichst führen.

Plus-Reifen versprechen einen großen Komfortgewinn. Aktuelle E-Mountainbike-Hardtails werden in Zukunft stark davon profitieren.
Plus-Reifen versprechen einen großen Komfortgewinn. Aktuelle E-Mountainbike-Hardtails werden in Zukunft stark davon profitieren.

Bis dato haben die Serienausstattungen der meisten E-Mountainbikes ein großes Problem: Sie sind unterdimensioniert. Unterdimensioniert für das Gewicht, die Belastungen und die neuen Regeln, die für E-Mountainbikes gelten. Trotzdem wird im Namen des heiligen Gewichts und der Effizienz auch am E-Mountainbike immer noch um jedes Gramm gefeilscht. Dabei brauchen wir vor allem Traktion, Komfort, Kontrollierbarkeit und Sicherheit. Das fängt bei einfachen Dingen wie ausreichend breiten Lenkern und kürzeren Vorbauten an und zieht sich über entsprechend dimensionierte Bremsanlagen eben auch bis in den Laufradbereich.

Im Vergleich: konventionelle Bereifung versus 27.5+.
Im Vergleich: konventionelle Bereifung versus 27.5+.

Und genau hier nimmt so langsam ein Trend Gestalt an, der nicht nur für normale Mountainbikes von Vorteil sein kann, sondern gerade für E-Mountainbikes einen entscheidenden Fortschritt bedeuten dürfte – die Rede ist von den neuen Plus-Größen.

Wir haben mit konventionellen Mountainbikes bereits diverse Modelle getestet und analysiert und sind dabei zu interessanten Schlussfolgerungen gekommen, was dieser Trend für die E-MTB-Branche bedeuten könnte und wird. Aber beginnen wir am Anfang:

Was sind Plus-Reifen?

Plus-Reifen gibt es aktuell in 27,5″ und 29″. Sie sind breiter als normale Mountainbike-Reifen (bis 2,5″), aber immer noch deutlich schmaler als Fatbike-Reifen (3,8″ bis 5″). Bisher auf dem Markt erhältliche Modelle bewegen sich zwischen 2,7″ und 3,25″ Breite. Für genügend Stabilität und Seitenhalt der Plus-Reifen bedarf es entsprechend breiter Felgen, um das Walgverhalten zu minimieren.

Eine Felgenbreite von ca. 50 mm hat sich für den Einsatz mit Plus-Reifen bewährt.
Breite Felgen um die 50mm sind ein Must-Have. Jedoch wird sich erst noch heraus kristallisieren, welche Felgenbreite in Kombination mit welcher Reifenbreite am besten funktioniert.

Aufgrund des größeren Volumens und der damit einhergehenden zusätzlichen Höhe entsprechen 27,5+ Reifen vom Außenumfang her in etwa einem normalen 29″-Reifen, bieten also ein dementsprechendes Überrollverhalten. 29+-Reifen schlagen in Sachen Durchmesser alles bisher Dagewesene – selbst ein Fatbike-Rad mit riesigen 5″-Reifen kommt da nicht heran.

Plus-Reifen benötigen zusätzlichen Bauraum an Rahmen und Gabel. Trek hat beim Stache-Modell eine clevere Lösung gefunden.
Plus-Reifen benötigen zusätzlichen Bauraum an Rahmen und Gabel. Trek hat beim Stache-Modell eine clevere Lösung gefunden.

Die Reifen samt ihren breiteren Felgen benötigen natürlich auch mehr Platz im Rahmen und der Gabel. Bisherige Komponenten stoßen da an ihre Grenzen. Es ist zwar vereinzelt möglich, 27,5+-Räder in 29″-Rahmen und -Gabeln zu verwenden, bringt aber enge Toleranzen und dementsprechendes Gefahrenpotenzial mit sich.

Durch den Boost-Standard soll mehr Platz für die Plus-Reifen gewonnen werden.
Durch den Boost-Standard soll mehr Platz für die Plus-Reifen gewonnen werden.

Aktuell versucht die Bike-Industrie, den neuen Boost-Standard zu etablieren. Dieser nutzt breitere Achsen als bisher und dementsprechend bieten darauf ausgerichtete Federgabeln und Hinterbauten mehr Platz für die voluminösen Plus-Laufräder. Außerdem wandern dadurch die Felgenflansche nach außen, was stabilere Laufräder – gerade für 29er – bedeutet.

Bereits beim Design & Innovation Award 2015 in Südtirol haben wir mit der Expertenjury den Trend der Plus-Größen in seiner Theorie diskutiert.

Welche Vorteile bieten sie?

Wir konnten an konventionellen Mountainbikes bereits erste Erfahrungen sammeln und waren sehr angetan. Die Vorteile sind nicht von der Hand zu weisen.

Zusammengefasst sind das einige: Das größere Volumen bedeutet mehr Dämpfung, höheren Komfort und wesentlich bessere Überrolleigenschaften. Hinzu kommt ein extremes Plus an Traktion. Der Halt in offenen Kurven ist dadurch wesentlich besser, durchdrehende Räder im Uphill oder unfreiwillige Drifts auf Schotterpisten können so gut wie vermieden werden. Gerade Hardtails profitieren von alledem deutlich, da das Gewicht von Motor und Akku ungedämpft in den Hinterbau und somit letztlich in die Reifen geleitet wird. Mehr Volumen bedeutet dementsprechend einen großen Komfort- und vor allem Sicherheitsgewinn.

 Die breiteren Reifen bieten ein deutliches Plus an Komfort und Sicherheit im Gelände.
Die breiteren Reifen bieten ein deutliches Plus an Komfort und Sicherheit im Gelände.

Welche Nachteile haben sie?

Leider gibt es nicht nur Vorteile. So verursachen Plus-Größen einen erhöhten Rollwiderstand auf harten Untergründen bzw. mit niedrigem Luftdruck sowie ein etwas trägeres Handling. Auch wenn die Reifenhersteller alles daran setzen, bei den Plus-Reifen das Gewicht gering zu halten, so ist ein höheres Systemgewicht bei einem vernünftigen Profil nicht abzustreiten.

Und da sind wir schon beim Thema. Denn Gewicht und Rollwiderstand sind Parameter, die dank E-Antrieb in den Hintergrund geraten. Leider verkauft sich ein leichteres Rad besser als ein schwereres, aber Fakt ist: Die minimalen Einbußen in Bezug auf Reichweite sollte jeder in Anbetracht des Performance-Gewinns dank Plus-Reifen in Kauf nehmen. Hauptkritikpunkt sind derzeit noch die bisher verfügbaren Reifen. Die aktuell noch begrenzte Auswahl schränkt den Einsatz insbesondere bei speziellen Bedingungen ein.

Die Auswahl der Reifen in Plus-Größe ist derzeit noch eingeschränkt.
Die Auswahl der Reifen in Plus-Größe ist derzeit noch eingeschränkt.

Ein wichtiger Aspekt ist außerdem die geringe Erfahrung in Bezug auf optimale Reifen- und Felgenkombination sowie das Fahrwerkssetup. Zusammen mit dem Luftdruck entscheiden diese Faktoren in erheblichem Maße darüber, ob das Konzept aufgeht. Weniger Luft in den Reifen bedeutet auch, dass sich die Balance verschiebt zwischen der Energie, die der Reifen und der Energie, die das Fahrwerk aufnimmt. Außerdem hat der geringere Luftdruck Auswirkungen darauf, wann das Fahrwerk des Bikes zu arbeiten beginnt. Aufgrund des größeren Volumens wirkt sich die Eigendämpfung des Reifens recht stark auf die Fahrperformance aus, wobei der Effekt von Fahrstil und Einsatzgebiet abhängig ist. Die Tatsache, dass die Plus-Reifen mit geringeren Luftdrücken gefahren werden, bewirkt zudem, dass Anpassungen von 0,2 bar deutlich stärkere Auswirkungen auf das Fahrverhalten als in einem Reifen mit 2,2″ Breite haben.

We tested the Ghost Teru 10 LC  thoroughly on the local trails of Stuttgart.
Plus-Reifen versprechen einen großen Komfortgewinn. Aktuelle E-Mountainbike-Hardtails werden in Zukunft stark davon profitieren.

Hier gilt es vor allem für die Industrie, schnell viel Erfahrung zu sammeln und das Produkt kontinuierlich weiterzuentwickeln, damit die Vorteile optimal genutzt und die Nachteile soweit wie möglich reduziert werden können. Für E-Mountainbikes muss auf jeden Fall das höhere Systemgewicht berücksichtigt werden. Denn was nützen Reifen mit größerem Volumen, wenn man es nicht nutzen kann, da hohe Luftdrücke nötig sind, um Durchschläge zu verhindern? Zusätzlich stellt sich die Frage, ob man die Reifen tubeless fahren kann.

Wo liegen die technischen Herausforderungen?

Egal ob 27.5+ oder gar 29+, die Vorteile für Mountainbikes mit E-Unterstützung sind nicht von der Hand zu weisen. Konstruktionstechnisch ergeben sich in Anbetracht der bereits erhältlichen E-Fatbikes keine wirklich neuen Herausforderungen, die Problemzonen liegen tiefer.

Um Bauraum für Plus-Reifen zu schaffen, greifen manche Hersteller tief in die Trickkiste.
Um Bauraum für Plus-Reifen zu schaffen, greifen manche Hersteller tief in die Trickkiste.

Die dicken Reifen kosten Platz, das ist klar. Das ist gerade bei der Konstruktion eines kompakten, wendig-agilen E-Mountainbikes eine klare Herausforderung. So setzt FLYER beispielsweise auf ein kleineres 26″-Laufrad am Heck, um den Hinterbau kompakter zu konstruieren und ein agileres Fahrverhalten zu erreichen. Doch ein viel entscheidenderer Faktor als der Platzbedarf der dicken Reifen ist die Integration des Mittelmotors im Tretlagerbereich. Würden die Motorenhersteller bessere Integrationsmöglichkeiten und Kompatibilitäten – gerade für E-Mountainbike-Fullies – bieten, dann würde dies die Platz-Problematik eindeutig entschärfen.

E-Fatbikes zeigen, dass die Konstruktion auch mit deutlich breiteren Reifen über 4.0″ funktioniert. Der neue Boost-Standard bietet außerdem eine perfekte Grundlage für stabilere Laufräder und genügend Platz an der Front und im Hinterbau, um die breiten Reifen zu beherbergen.

Durch den Boost-Standard entsteht mehr Platz in der Gabel und am Hinterbau.
Durch den Boost-Standard entsteht mehr Platz in der Gabel und am Hinterbau.

Das Komponentenangebot ist aufgrund der Neuheit der Plus-Größen natürlich noch beschränkt, aktuell stellen sich aber auch große Hersteller wie z. B. DT Swiss mit speziellen Laufradsätzen auf diesen neuen Trend ein. Besonders bei den Reifen ist, wie bereits zuvor erwähnt, noch viel Verbesserungspotenzial zu finden. Abgestimmt auf konventionelle Mountainbikes wurde hier bis auf wenige Ausnahmen hauptsächlich auf die Waage geschaut, damit die höheren Gewichte der breiten Reifen-/Felgen-Kombi nicht gleich zu Beginn potenziell davon profitierende Zielgruppen abschrecken. Das geht natürlich zulasten der Pannensicherheit und der Fahrstabilität. Versionen mit verstärkten Seitenwänden und einer stabilen Karkasse sind hier wünschenswert, wenn nicht sogar – aufgrund des Zusatzgewichts von Motor und Akku – notwendig. Doch die Hersteller werden ihre Palette sicher in diese Richtung ausweiten, sobald erste aussagekräftige Erfahrungswerte vorhanden sind.

Wie sieht also die Zukunft aus?

E-Mountainbike-Hardtails für den Gelände-Einsatz sind – bei allem Respekt – in der Redaktion aktuell nicht sonderlich beliebt. Im technischen Uphill verliert man schnell Traktion, bergab bieten die schweren Bikes meist nicht das Handling und die Sicherheit, die wir uns wünschen würden. Gleichzeitig muss mit höheren Luftdrücken gefahren werden, um Durchschläge zu verhindern. Bei Hardtails werden Plus-Reifen daher einen erheblichen Unterschied machen können. Vorausgesetzt, die Reifen sind stabil genug konzipiert, um die Vorteile des großen Volumens und der niedrigen Luftdrücke auch voll nutzen zu können.

Mit mehr Herstellern auf dem Plus-Markt wird auch das Angebot an für E-Bikes brauchbaren Komponenten zunehmen.
Mit mehr Herstellern auf dem Plus-Markt wird auch das Angebot an für E-Bikes brauchbaren Komponenten zunehmen.

Folglich werden die niederen Preisklassen enorm von den Vorteilen der Plus-Reifen profitieren und E-Mountainbikes damit für mehr Fahrer attraktiv machen. Besonders Einsteiger und Tourenfahrer werden sich über das Plus an Traktion, Komfort und Sicherheit freuen.

Spaß an der Sache haben – darauf kommt es an!
Spaß an der Sache haben – darauf kommt es an!

Unser Fazit

Fakt ist, Plus-Reifen würden für E-Mountainbikes einen ernormen Zugewinn an Sicherheit bedeuten, den Fahrspaß steigern und sie gerade für Einsteiger deutlich attraktiver machen. Wir sind gespannt darauf, wie die Industrie diesen Trend aufgreift und ob sie ihn zeitnah umsetzen wird. Wir halten euch auf dem Laufenden!

Text: Andreas Maschke Foto: Divers


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