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Interview mit Haibikes Head of Engineering Ingo Beutner

Wer sind die Köpfe hinter den bekanntesten E-Mountainbike-Marken? Wir haben Designer, Ingenieure und Produktmanager interviewt, um mehr über sie und über die Philosophie hinter ihren Entwicklungen zu erfahren. Heute im Gespräch: Haibikes Head of Engineering, Ingo Beutner.

Bevor wir über die Produkte sprechen, lass uns kurz über dich reden: Woher kommst du und was ist deine größte Leidenschaft?

Geografisch komme ich aus dem kleinen Städtchen Gemünden am Main, was direkt an der Grenze zwischen Spessart und Rhön liegt. Damit habe ich quasi zwei wunderschöne Bike-Reviere genau vor der Haustür und besonders der Spessart als größter Laubmischwald Deutschlands hat es mir sehr angetan.
Nach meinem ingenieurwissenschaftlichen Studium habe ich recht früh mein Hobby zum Beruf machen können und bin nach fünf Jahren bei einer kleinen amerikanischen Gravity-Schmiede als Ingenieur zu Haibike gekommen.
Meine größte Leidenschaft ist natürlich – wie sollte es anders sein – das Bike. Schon in meiner Kindheit und Jugend habe ich das befreiende Gefühl genossen, durch das Bike eins mit der Natur sein zu können. Das hat sich seitdem nicht mehr geändert und wird es hoffentlich auch nie!

Du arbeitest bei Haibike, für was bist du dort genau zuständig?

Ich bin seit Anfang 2012 bei der Winora Group für den Bereich Engineering Haibike angestellt und leite mittlerweile seit ein paar Jahren die Ingenieur-Abteilungen für E-Performance und Performance als Head of Engineering. Das beginnt bei der ersten Idee, geht weiter über das Design (in enger Absprache mit unserem Design-Center in München) und die Rahmenentwicklung selbst bis hin zu Peripherieteilen und Komponenten.
Ich persönlich kümmere mich vor allem um die technische Umsetzbarkeit bei Konzepten für neue Rahmenplattformen und arbeite dann im 3D.Programm beispielsweise die Gravity Casting Interfaces oder die Carbon-Rahmenformen aus.

Wie bist du zu E-Mountainbikes gekommen?

Im Grunde genommen direkt durch meinen beruflichen Wechsel zur Winora Group. Haibike hatte im Modelljahr 2011 das erste echte E-Performance-Bike unter dem damaligen Namen eQ XDURO im Programm und wurde dafür von der Konkurrenz und dem Markt eher belächelt. Als ich im darauffolgenden Jahr bei Haibike einstieg, erkannte auch ich sofort das riesige Potenzial dieser völlig neuen Bikegattung und startete im Produktmanagement umgehend mit der Neukonstruktion der zweiten XDURO-Generation für Modelljahr 2014 mit dem neuen Bosch-Motor mit kleinem Antriebsritzel.

Das Haibike Hardtail eQ Xduro RX 29 wurde vom E-MOUNTAINBIKE Magazine 2013 getestet.

Was war deine letzte Ausfahrt auf einem E-Mountainbike und welches Modell bist du gefahren?

Neben dem alltäglichen E-Bike-Radeln auf der Arbeit war meine letzte große Ausfahrt am Wochenende bei mir im Spessartwald. Leider kann ich an der Stelle nicht sagen, auf welchem Modell, da wir uns momentan wieder mal im Prototypen-Test befinden, aber ich fahre eigentlich fast jedes Wochenende ein anderes Bike – einer der vielen Vorteile als Entwickler bei einem Bikehersteller. Die letzten Wochen und Monate war natürlich sehr oft ein SDURO EVO-Modell dabei, um unser neues E-Connect-System auf Herz und Nieren zu prüfen.

Das Haibike SDURO Nduro 8.0 + eConnect war unter den Gewinnern des Design & Innovation Award 2017.
Anlässlich der EUROBIKE 2016 wurde das Haibike eConnect der Öffentlichkeit vorgestellt.

Was war bislang deine beste Ausfahrt auf einem E-Mountainbike und warum?

Eigentlich ist immer die nächste Ausfahrt die beste Ausfahrt, weil es wieder irgendetwas Neues zu testen gilt. Seien es neue Antriebssysteme, die wir als Marktführer immer wieder zum Probefahren ins Haus bekommen, neue Rahmenprototypen, die fast noch heiß aus unserer Fabrik in Taiwan kommen, oder neue Teile wie beispielsweise Federelemente, Schaltungen, Bremsen, Laufräder etc.
Ich erinnere mich aber sehr gerne an zwei ganz besondere Ausfahrten: Zum einen der Jungfern-Ride des allerersten XDURO Nduro-Prototyps (2013) mit satten 180 mm Federweg und damals noch 26″-Laufrädern. Ich liebe ja Gravity und bei der Neukonstruktion der zweiten XDURO-Generation keimte recht früh die Idee auf, ein solches Bike auf die Räder zu stellen. Dank unseres S.E.S.-Fahrwerks mit Pulley Wheel war die Adaption auf große Federwege relativ unproblematisch und der Rahmen entstand recht schnell in 3D auf meinem Computer. Tja und irgendwann stand dann das reale Bike vor uns und ich dachte nur: „Wow! Geil!“ Das Fahrgefühl auf meinen Hometrails war dann einfach unbeschreiblich.
Zum anderen erinnere ich mich gerne noch an einen epischen Ride in Kalifornien, wo ich mit einem XDURO erst durch die Redwoods oberhalb von Santa Cruz und dann bis hinunter zur Pazifikküste gefahren bin. Das war wirklich absolut traumhaft, Natur pur, und das E-Bike war das perfekte Bike dafür.

Ingo mit seinem Haibike am Lighthouse Point in Santa Cruz, Californien.

Wo bist du überwiegend mit dem E-Bike unterwegs und wo am liebsten?

Klare Antwort: am liebsten im Gelände! Wie schon erwähnt, habe ich mit dem Spessart einen riesigen Wald samt Trails und Wegenetz vor der Haustür und genieße jeden Meter davon. Natürlich nutze ich, um zu den Trails zu kommen, auch Rad- und Schotterwege – das gehört im Alltag halt dazu, machen wir uns nichts vor. Doch sobald die Stollen Waldboden, Wurzeln und Steine berühren, bin ich definitiv in meinem Element.

Wie würdest du deinen Fahrstil beschreiben?

Ich fahre so viel wie möglich Gelände und dabei sehr gerne auch gröbere Trails und schnelle Downhills, bevorzuge bei Letzterem aber eher natürliche Strecken ohne künstlich angelegte Doubles oder riesige Northshores. Für die großen Dinger bin ich einfach nicht Profi genug und bevor es mich deswegen komplett zerlegt und ich wochenlang im Job ausfalle, überlasse ich solche Tests lieber Guido und Co.
Aber ich würde mich schon eher als sportlichen Fahrer einstufen, jedoch weniger mit Ultra-Wettkampf-Ambitionen. Für mich stehen der Spaß, der Genuss, das Erleben und der Nervenkitzel bei einer knalligen Abfahrt deutlich mehr im Vordergrund und gerade hierfür ist das E-Bike die perfekte Spaßmaschine.

Fährst du auch noch ohne „E“?

Natürlich fahre ich auch noch Bikes ohne Antrieb, aber dann eher mal das klassische Rennrad. Beim Mountainbiken bin ich fast immer elektrifiziert unterwegs – es ist einfach die perfekte Kombination. Die Erlebnisrange von Non-E-Bikes reicht von Qual über Training und Spaß bis zu Nervenkitzel. Bei E-Bikes fällt nur der Faktor „Qual“ weg, alles andere bleibt in meinen Augen erhalten. Ich kann mich genauso auf dem E-Bike verausgaben und komme ins Schwitzen, aber halt nicht mit einem Puls von über 200 und der anschließenden Notwendigkeit eines Sauerstoffzelts.

Was zeichnet deiner Meinung nach ein gutes E-Mountainbike aus?

Ein gutes E-Mountainbike ist für mich ein guter Allrounder in allen Bereichen, am besten als Fully. Ähnlich einem modernen Sportwagen, der mittlerweile über Lenkradheizung und Massagesitze verfügt, muss das perfekte E-Mountainbike in meinen Augen zwischen Sportlichkeit und Komfort ausbalanciert sein. Man fährt deutlich längere Touren mit einem E-Bike und benötigt z. B. durch die Motorunterstützung beim Uphill nicht unbedingt die 1.000-prozentig perfekte und biomechanisch optimierte Sitzposition, die einem dann auf Dauer Rücken und Handgelenke schmerzen lässt. Vielmehr sollte man in allen Situationen harmonisch im Schwerpunkt des Rades sitzen und nach jeder Tour mit einem breiten Grinsen absteigen können.

Wo liegen deiner Meinung nach zukünftig die größten Herausforderung bei der Entwicklung von E-Mountainbikes?

Die zukünftige Spielwiese bei der Entwicklung von E-Mountainbikes werden weiterhin die Integration vom Antrieb – sprich Motor, Batterie, Display und Remote – und von Komponenten wie Fahrwerk und Schaltung sein; und natürlich das große Thema der Digitalisierung. Hier besteht noch immer großer Entwicklungsbedarf. Wir haben uns beiden Themen von Beginn an angenommen, doch wir sind noch lange nicht am Ende angekommen, sofern es das überhaupt gibt.
Batterien werden jedoch auch in Zukunft bei gleicher Kapazität sicher nicht dramatisch im Volumen oder Gewicht schrumpfen, selbst wenn irgendwelche Internet-Artikel einen das vielleicht glauben lassen wollen. Ebenso beim Motor: Es wird, salopp gesagt, immer ein größerer Batzen Metall nötig sein, um die nötige Kraft und Haltbarkeit zu bieten. Diese beiden Bauteile geschickt anzuordnen und einzubauen ist sicher eine der Herausforderungen der Zukunft, die wir gerne zusammen mit Herstellern solcher Systeme angehen. Es gibt noch viel zu verbessern.

Was ist dein persönliches Highlight aus eurer E-Mountainbike-Modellpalette und warum?

Ganz klar die Nduro-Modelle, sowohl die Variante mit Bosch CX-Motor als auch das neue Modell mit Yamaha PW-X Antrieb! Schon alleine, weil seit Jahren ganz viel persönliches Herzblut in diesen Bikes steckt. Kaum ein anderes E-Bike in unserem Portfolio hat zudem so viel Aufsehen erregt. Sicher hat es von Beginn an einen großen Teil zu unserem Erfolg beigetragen. Eventuell auch, weil wir als erster Hersteller diesen Weg gegangen sind.
In meinen Augen ist das Nduro der perfekte Allrounder: dank Motor perfekt im Uphill, dank 180 mm Federweg perfekt im Downhill, stabile Komponenten, die mit ihren üppigeren Proportionen perfekt zum muskulöseren E-Bike-Rahmen passen – es gibt bei dem Bike einfach keine Kompromisse, die man eingehen muss … außer vielleicht die 25-km/h-Maximalunterstützung.

Haibike XDURO NDURO Pro 2016 im Test des E-MOUNTAINBIKE Magazine.

Worauf lag der Fokus bei der Entwicklung der Nduro-Modelle?

Wir wollten beim Nduro ein Bike kreieren, das es so noch nicht gab. Jeder hat die langhubigen Parkbikes, Freerider und Downhiller bergab geliebt, aber bergauf ohne Lift oder mit mühsamem Schieben haben sie einfach keinen Spaß gemacht. Durch den Motor haben wir diesen abfahrtsorientierten Spaßmaschinen quasi einen Lift eingebaut.
Natürlich durfte das Bike nicht nur auf schnellen Abfahrten Spaß machen, sondern sollte auch bergauf und auf gemütlicheren Touren angenehm zu fahren sein. Aus diesem Grund haben wir die Winkel und Längen nicht ganz so extrem gemacht wie üblicherweise bei den Non-E-Bikes mit 180 mm Federweg und haben das Rad auf den Namen „Nduro“ getauft, denn genau für diese Klasse war es gemacht.
Wie bereits erwähnt, konnten wir durch unser S.E.S.-Fahrwerk 180 mm Federweg ohne größere Platzprobleme selbst mit einem kurzen Hinterbau realisieren. Die Wendigkeit blieb also erhalten und gerade bei ruppigen Downhill-Passagen konnte unsere Kinematik mit hohem Drehpunkt ihre Vorteile voll ausspielen – ein Erfolgsrezept, das bis heute Bestand hat! Im Modelljahr 2016 haben wir – zwei Jahre nach dem Nduro – mit dem XDURO Dwnhll sogar noch eine 200-mm-Variante draufgelegt. Dennoch wird unser Nduro immer der Wegbereiter für diese Gattung von E-Bikes bleiben.

Was ist deine Vision für die Zukunft der E-Mountainbikes?

Meine Vision vom E-Mountainbike der Zukunft ist relativ klar: Es wird sich immer stärker vom „normalen“ Fahrrad abspalten und eine eigene Gattung von „Zweirad“ begründen. Das Fully wird sich dabei mehr und mehr durchsetzen und Antriebssysteme werden kompakter, effektiver und nicht mehr das primäre Unterscheidungsmerkmal sein. Komponenten wie Federgabel, Dämpfer, Schaltung und Bremsen werden speziell nur für E-Bikes konzipiert und konstruiert werden und sich smart mit dem E-Bike vernetzen. Die elektrische Fortbewegung wird mehr und mehr zum Standard und das E-Bike wird für künftige Generationen ein selbstverständlicher Teil unserer digitalen Welt sein. Doch trotz all der Zukunftsmusik wird das E-Bike immer vom wichtigsten Teil abhängig bleiben: dem Mensch, der es antreibt!

Ingo, wir danken dir für das Gespräch.

Das Haibike XDURO AllMtn 8.0 im Test.
Das Haibike XDURO HardSeven Plus RX ist ein erstklassiges E-Hardtail…den vollständigen Test findet ihr hier.
Haibike SDURO Linie 2017 im First Look.

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Words: Manne Schmitt Photos: Ingo Beutner, E-MOUNTAINBIKE Magazine

Über den Autor

Manne Schmitt

Als stolzer Daddy von Robin und Max-Philip ist Manne der Mann der ersten Stunde und die „graue Eminenz“ im Redaktionsteam. Sein erstes Rad-Rennen gewann er im Grundschulalter beim Schulfest. Nach weniger erfolgreichen Versuchen im Fußball fand er über den Ausdauersport (Marathon) im Jahr 1989 seine Passion fürs Biken! Das Thema Racing verfolgt ihn noch immer, niemand im Team kennt die EWS-Profis besser als Manne. Als ehemaliger Chef-Analyst einer Landesbehörde weiß er, wie man richtig recherchiert, und findet exklusive News, die sonst niemand hat. Als Prokurist unterstützt er seine Söhne erfolgreich im Alltag – viva la familia!