Das Antiblockiersystem ist beim Auto schon lange Standard und für neue Motorräder mittlerweile zur Pflicht geworden. Mit dem eBike ABS von Bosch ist die Technik jetzt auch in der Fahrradwelt angekommen. Kann das System die Bikewelt im selben Maß sicherer machen, wie all die elektronischen Helferlein es für unsere Autos getan haben?

„Spiegel, Blinker, Schulterblick – und jetzt bitte noch eine Gefahrenbremsung!“ Aus voller Fahrt mit aller Kraft bis zum Stillstand in die Bremse treten. In der Fahrschule haben wir das nach anfänglichem Zögern alle hinbekommen. Aber wie ist es auf dem Fahrrad? Die brachiale Power moderner Bremsen kann für ungeübte oder unaufmerksame Biker schnell zur Gefahr werden. Wer nicht mit viel Gefühl am Bremshebel und mit gleichzeitigen Gewichtsverlagerungen arbeitet, riskiert den Abgang über den Lenker. Auf nasser Fahrbahn oder losem Untergrund kommt dann noch die permanente Gefahr des Wegrutschens hinzu. Schon das leichteste Antippen der vorderen Bremse führt zum Blockieren des Vorderrades, wodurch es unkontrolliert zur Seite rutschen kann. Das eBike ABS von Bosch soll durch Regeln der Vorderradbremse genau das verhindern und bietet dadurch ein deutliches Plus an Sicherheit. Doch für wen ist das ABS sinnvoll und wie funktioniert es eigentlich? Wir haben das ABS im Riese & Müller Delite GT Touring einem ausführlichen Praxistest unterzogen.

Der Aufbau des Bosch eBIKE ABS

Beim eBike ABS setzt Bosch auf das Bremsen Know-how von MAGURA. Der Bremsenspezialist hat die CMe ABS-Bremse und die dazugehörigen Sensorbremsscheiben speziell für das eBike ABS-System entwickelt. Bei aktiviertem System verhindert die Kontrolleinheit das Blockieren des Vorderrades, indem es den Bremsdruck reduziert. Den Bedarfsfall ermittelt es dabei aus den präzisen Geschwindigkeitsmessungen an beiden Rädern. Als Sicherheitsfeature ist das eBike ABS ist bei eingeschaltetem Motor immer aktiv und funktioniert auch noch, wenn der Akku fast vollständig entladen ist. Eine Kontrollleuchte informiert über den Zustand des Systems und warnt, wenn es nicht einsatzbereit sein sollte. Uns stört daran jedoch, dass die Leuchte in einem zusätzlichen Gehäuse auf dem Vorbau angebracht und nicht in das Bosch Intuvia-Display integriert wurde. Zusammen mit der wuchtigen Kontrolleinheit unterm Lenker und den vielen Kabeln und Leitungen wirkt das Cockpit unseres Testbikes überladen und unaufgeräumt.

Nicht noch ein Display
Auch wenn es nur eine Kontrollleuchte ist, wünschen wir uns eine bessere Integration in die ohnehin vorhandenen Displays
Überladen
Wegen der Kontrolleinheit und vielen Kabel und Leitungen wirkt das Cockpit unaufgeräumt
Too much information
Bosch verwendet noch immer einen ungenauen Speichensensor, obwohl ein Hightech-Modell die Geschwindigkeit am selben Rad deutlich genauer ermittelt. Integration ist das Stichwort!

Die Funktion des Sicherheitssystems

Im E-Mountainbike-Einsatz haben uns die Vierkolbenbremsen von MAGURA bisher immer mit brachialer Bremspower überzeugt. Von dieser Bremspower können wir an der neu entwickelten vorderen Bremse trotz des großen Hebels auch bei deaktiviertem ABS (E-Bike-Motor ausgeschaltet) nicht mehr viel spüren. So ist es nicht verwunderlich, dass relativ viel Handkraft für eine Vollbremsung benötigt wird. Dafür darf man dank des ABS aber auch beherzt zupacken und beide Bremshebel mit aller Kraft zum Lenker ziehen. Das System regelt dann auf Asphalt die Vorderradbremse runter, sobald das Hinterrad droht abzuheben. Dadurch ist der gefürchtete Abgang über den Lenker schier unmöglich. Obwohl das Hinterrad dabei blockiert und dicke schwarze Striche auf den Asphalt malt, bleibt das E-Bike dank des geregelten Vorderrades super kontrollierbar. Beeindruckend kurz fällt dabei der Bremsweg auf trockener Straße aus.

Abgang über den Lenker
Mit aktiviertem ABS kann man an den Bremshebeln beherzt zupacken, ohne kurz danach mit dem Gesicht den Asphalt zu küssen – top!

Doch wie funktioniert das System im strömenden Regen oder auf Schotter- und Waldwegen? Bei so wenig Grip wird es selten zu einem Überschlag kommen. Viel wahrscheinlicher ist, dass das Vorderrad beim Bremsen schlagartig blockiert und seitlich wegrutscht. Auch dagegen kann das eBike ABS helfen – zumindest beim geradeaus Fahren. Und tatsächlich kommen wir auch bei Vollbremsungen auf nassem Moos oder rutschigem Laub sicher zum Stehen. Obwohl das Vorderrad mehrmals für den Bruchteil einer Sekunde blockiert, bricht es nicht aus. Plötzlich auftretende Hindernisse stellen aber weiterhin ein großes Problem dar. Die Bremskraft des Vorderrades wird nach unserem Verständnis teilweise zu stark reduziert, sodass sich der Bremsweg unnötig verlängert. Wenn die Bremse wie in solchen Fällen sehr lange durchgehend gezogen wird, stößt das System an seine Grenzen und lässt das Vorderrad im Extremfall doch blockieren. Das ABS ist also kein Allheilmittel gegen Stürze und deshalb gilt unter widrigen Bedingungen die alte Weisheit unseres Fahrlehrers: „Angepasste Fahrweise!“

Das eBike ABS gibt es nicht zum Nachrüsten. Es wird allerdings ab Herbst 2018 in ausgewählten City-, Touring- und Trekkingrädern mehrerer Hersteller verfügbar sein. Damit ist die Zielgruppe des ABS jedoch auch schon abgedeckt. Für den Einsatz im sportiven Bereich greift das System einfach (noch) zu stark und undifferenziert ein. Ungeübte oder unsichere Fahrer profitieren allerdings ungemein von der hinzugewonnenen Sicherheit. Deshalb ist das eBike ABS von Bosch wie geschaffen für den E-Bike-Verleih beispielsweise im Tourismus, kann aber auch beim täglichen Pendeln auf die Arbeit oder für ungeübte Fahrer die Unfallgefahr verringern.

Fazit

Das Bosch eBike ABS ist ein tolles Safety-Feature für den City-, Touring- und Trekkingeinsatz und überzeugt mit seiner großartigen Funktion auf Asphalt. Gerade deshalb hat es den Pioneer Award des Design & Innovation Awards 2018 gewonnen. Der gefürchtete Überschlag wird dank des ABS im Normalfall effizient verhindert. Auch auf losem Untergrund kann das System brenzlige Situationen entschärfen. Allerdings stößt es bei sehr rutschigen Bedingungen an seine Grenzen und kann den Bremsweg ungeahnt weit erhöhen.


Mehr Infos unter: bosch-ebike.com


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Words: Photos: Valentin Rühl